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Noch mehr Macht für Erdogan: Davutoglu gibt auf

Kniefall: Davutoglu hatte sich mit Erdogan überworfen - und findet doch nur lobende Worte für ihn.
Kniefall: Davutoglu hatte sich mit Erdogan überworfen - und findet doch nur lobende Worte für ihn. ©AP
Die AKP bekommt einen neuen Parteichef, die Türkei einen neuen Ministerpräsidenten: Davutoglu gibt auf. Oppositionsführer Kilicdaroglu warnt vor einem Machtzuwachs Erdogans - und vor einer "Diktatur" in der Türkei.

In den Büros der türkischen Regierungspartei AKP hängen die Porträts von Staatschef Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu noch nebeneinander. In der Realität ist es mit der Eintracht vorbei: Die Davutoglu-Bilder werden bald abgehängt und entsorgt werden.

Seit langem schwelt ein ungleicher Machtkampf zwischen den beiden islamisch-konservativen Politikern, den Erdogan jetzt gewonnen hat. Im Machtkampf mit Erdogan gibt der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu seine Ämter als Partei- und Regierungschef auf. Davutoglu kündigte in Ankara einen Sonderparteitag der AKP am Sonntag in zweieinhalb Wochen an, bei dem er nicht mehr für den Vorsitz der islamisch-konservativen Partei kandidieren werde. Das bedeutet auch, dass Davutoglu danach nicht mehr als Regierungschef weitermachen wird. Er werde seine Arbeit als Abgeordneter weiterführen, sagte er.

Das hat nicht nur schwerwiegende Konsequenzen für die Türkei, in der Erdogan nun noch mächtiger werden wird – sondern auch für die EU.

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Unmittelbar nach seinem größten politischen Erfolg steht Davutoglu vor dem Scherbenhaufen seiner langjährigen AKP-Laufbahn: Am Mittwoch erst empfahl die EU-Kommission das Ende der Visumpflicht für Türken – eine der ältesten und wichtigsten Forderungen Ankaras könnte damit schon Ende Juni Wirklichkeit werden. Noch davor wird am 22. Mai allerdings ein Sonderparteitag der AKP stattfinden, bei dem Davutoglu nicht mehr antreten wird, wie der scheidende Parteichef und Ministerpräsident selber ankündigte.

Der 57-Jährige wird seit Tagen von Erdogan-Anhängern sturmreif geschossen. Auf einer Internetseite, die seit Sonntag online ist und für Schlagzeilen in der Türkei sorgt, werden schwere Anschuldigungen gegen den Regierungschef erhoben. Dieser schmiede Pläne hinter Erdogans Rücken, wolle den Präsidenten schwächen oder gar stürzen und sei ein “Verräter”, heißt es dort. Die anonymen Davutoglu-Feinde haben ihre Internetseite “Pelikan-Akte” genannt – in Anlehnung an einen Verschwörungsthriller von Bestsellerautor John Grisham.

Der hohe Preis für Erdogans Gunst

Dabei hatte Erdogan selber Davutoglu zu seinem Nachfolger als Partei- und Regierungschef eingesetzt, als er sich im August 2014 zum Staatspräsidenten wählen ließ. Vorrangige Aufgabe Davutoglus sollte die Einführung eines Präsidialsystems mit Erdogan an der Spitze sein. Davutoglu sollte also seine eigene Macht demontieren.

Kniefall vor dem türkischen Präsidenten

Davutoglu hatte sich zwar mit Erdogan überworfen. Dennoch versuchte er den Eindruck zu zerstreuen, sein Rücktritt sei auf einen Konflikt mit Erdogan zurückzuführen. “Ich werde die Loyalitätsbeziehung zu unserem Präsidenten bis zu meinem letzten Atemzug weiterführen”, sagte Davutoglu. “Seine Familienehre ist meine Familienehre. Seine Familie ist meine Familie.” Davutoglu drückte auch Bedauern aus und sagte, dass sein vorzeitiges Amtsende nicht seine Wahl war, sondern das “Ergebnis einer sich ergebenden Notwendigkeit”.

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erdo ©Machtzuwachs für Erdogan: Der türkische Präsident (rechts), der ohnehin als starker Mann in Regierung und Partei gilt, könnte seine Macht nach Dautoglus (links) Rücktritt nun weiter festigen – indem er Davutoglu durch einen weniger eigenständigen Nachfolger ersetzt. Als mögliche Kandidaten gelten unter anderem Erdogans Vertrauter Binali Yildirim und Energieminister Berat Albayrak, ein Schwiegersohn des Staatspräsidenten. Foto: AP

Machtkampf zwischen Erdogan und Davutoglu

Türkische Medien hatten über wachsende Unzufriedenheit Erdogans mit Davutoglus zunehmend eigenmächtiger Partei- und Regierungspolitik berichtet. Auch aus der AKP waren entsprechende Stimmen zu hören. Am Mittwochabend war es zu einem Treffen Davutoglus mit Erdogan im Präsidentenpalast gekommen. Der AKP-Parteivorstand hatte Davutoglus Macht erst kürzlich beschnitten und dem Vorsitzenden das Recht genommen, Funktionäre auf Bezirks- und Provinzebene zu ernennen.

Erdogan-Anhänger verdächtigen Davutoglu, die Macht des Präsidenten untergraben zu wollen. Die beiden Spitzenpolitiker lagen nach Medienberichten unter anderem wegen einer von Erdogan angestrebten Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems im Clinch. Die Änderung würde Erdogan als Staatsoberhaupt mehr Macht verleihen.

Erdogan ist nach der Verfassung zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet, doch der 62-Jährige hat das Amt schon immer anders ausgefüllt. “Er ist nach wie vor der Anführer der Bewegung und wird auch von den Parteigremien so betrachtet”, heißt es aus der AKP. “Ein anderer hätte ohne seinen Segen niemals eine Chance.”

Zu Davutoglu verlautet aus der Partei: “Er wusste, unter welchen Vorgaben er zum Parteivorsitzenden auserwählt wurde. Erdogan erwartet, dass wichtige Entscheidungen mit ihm abgesprochen werden.” Davutoglu hätte sich mit ihm – ganz nach türkischer Tradition – wie mit einem “älteren Bruder” abstimmen sollen. Die Machtverhältnisse in der AKP seien klar: “Wenn die Partei vor der Entscheidung stehen würde, dann würden die allermeisten auf der Seite Erdogans stehen.”

Davutoglu: Türkischer Architekt des Flüchtlingspakts

Davutoglu war Erdogan als Partei- und Regierungschef nachgefolgt, als dieser im August 2014 zum Präsidenten gewählt wurde. Für die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel war Davutoglu in der Flüchtlingskrise der Verhandlungspartner auf der türkischen Seite. Davutoglu und Merkel gelten als die Architekten des Flüchtlingspakts, mit dem der Ansturm auf die griechischen Inseln gebremst wurde. Erst im vergangenen Monat besuchten beide gemeinsam ein Flüchtlingscamp im südosttürkischen Gaziantep. Seit Merkels Reise nach Istanbul im vergangenem Oktober kamen die beiden Regierungschefs immer wieder zusammen. Über die vielen Gespräche sei ein “enges Vertrauensverhältnis” entstanden, heißt es von deutscher Seite. Ein Vertrauensverhältnis, wie es Merkel zu Erdogan nicht hat.

TURKEY-GERMANY-DIPLOMACY
TURKEY-GERMANY-DIPLOMACY ©Architekt der türkischen Ostorientierung: Jahrelang war Davutoglu der Chefberater Erdogans, als dieser noch Ministerpräsident und Vorsitzender der islamisch-konservativen AKP war. Er ist Professor der Politologie und gilt als Architekt der türkischen Ostorientierung. Gemeinsam mit Merkel gilt er als einer der Hauptarchitekten des Flüchtlingsdeals. AFP

Rückschlag auch für die EU

Dennoch gab sich Davutoglu bis zuletzt als loyaler Gefolgsmann Erdogans. “Seine Familienehre ist meine Familienehre”, sagte Davutoglu, als er seinen Rücktritt ankündigte. “Seine Familie ist meine Familie.” Aus Erdogans Sicht regierte sein Ministerpräsident allerdings immer eigenmächtiger. Und Davutoglu profilierte sich zunehmend als Regierungschef. Besonders in der Flüchtlingskrise erarbeitete sich Davutoglu Respekt auch auf internationalem Parkett.

Dass er nun abtritt, ist ein Rückschlag für die EU und besonders für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei den EU-Gipfeln in Brüssel war Davutoglu das auf Kompromiss bedachte, stets lächelnde Gesicht der Türkei – während Erdogan polternd mit der Öffnung der Grenzen drohte.

Erdogan-Vertrauter oder doch Erdogans Schwiegersohn als Nachfolger?

Um ein Verfassungsreferendum über das Präsidialsystem abzuhalten, benötigt die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament. Dazu fehlen der Partei zurzeit 13 Sitze. Als mögliche Nachfolger Davutoglus werden nach einem Bericht der Zeitung “Cumhuriyet” Verkehrsminister Binali Yildirim und Erdogans Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, gehandelt. Beide gelten Erdogan gegenüber als absolut loyal.

“Davutoglu-Rücktritt bekräftigt Diktatur in Türkei”

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu befürchtet nach einem Wechsel im Amt des Regierungschefs eine Ausweitung der Macht Erdogans. Davutoglus Rücktritt werde zu einer “Bekräftigung der Diktatur in der Türkei” führen, sagte Kilicdaroglu der Deutschen Presse-Agentur in Ankara. “Erdogan möchte einen Ministerpräsidenten, der ihm zu hundert Prozent gehorcht.”

Der Chef der Mitte-Links-Partei CHP sagte weiter, Erdogan habe immer wieder Druck auf Davutoglu ausgeübt und nie gewollt, dass der Regierungschef “außerhalb des Willens des Staatspräsidenten agiert”. Eine Zustimmung seiner Partei zu dem von Erdogan und der AKP angestrebten Präsidialsystem schloss Kilicdaroglu kategorisch aus. “Wir akzeptieren kein Präsidialsystem, unter keinen Bedingungen.” Erdogan sei für ihn schon jetzt “ein Diktator”.

Spekulationen um vorgezogene Neuwahlen

Möglicherweise wird Kilicdaroglu dabei allerdings nichts zu melden haben. Türkische Medien spekulieren, Erdogan könnte bald nach Davutoglus Ablösung vorgezogene Neuwahlen ausrufen. Umfragen zufolge würde die CHP als einzige der drei Oppositionsparteien nicht unter die Zehnprozenthürde fallen. Die AKP käme dann auf eine satte Zweidrittelmehrheit – und hätte mehr als genug Sitze, um aus eigener Kraft die Verfassung zu ändern.

Davutoglu: Trete lieber mein Ego mit Füßen

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hatte Davutoglu bereits am Dienstag angedeutet, dass er nicht um jeden Preis an seinem Amt festhalten werde. Er werde eher sein “Ego mit Füßen treten”, als dem Wohle der Partei zuwiderzuhandeln, sagte er demnach bei einer Rede in Ankara.

Wegen des Machtkampfes stürzte die Türkische Lira ab. Am Donnerstag fiel sie gegenüber dem Euro auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Monaten. (dpa/APA/red)

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