Der Leidensweg des Ali Saleh Kahkah al-Marri begann unter einem schlechten Vorzeichen. Ausgerechnet am 10. September 2001, einen Tag vor den Terroranschlägen, reiste der Informatiker aus dem Emirat Katar mit Familie zum Aufbaustudium in die USA. Kurz darauf wurde er festgenommen und strandete in der gefürchteten Dunkelzone der US-Terrorjustiz: Jahrelange Haft ohne Anklage, weggesperrt auf einem Armeestützpunkt. Zu Unrecht, entschied ein US-Gericht am Montag, und bereitete Präsident George W. Bush damit die dritte derartige Niederlage binnen einer Woche. Die Richter rütteln an den Pfeilern seiner Anti-Terror-Justiz und bringen das gesamte System ins Wanken.
Erneut erteilten Richter dem Präsidenten eine schallende Ohrfeige – und eine peinliche Lektion in Staatsbürgerrecht: Der Präsident hat nicht die Vollmacht, das Militär anzuweisen, Marri unbegrenzt festzuhalten, stellten die Richter fest. Dem Präsidenten ein solches Recht zuzugestehen, hätte katastrophale Folgen für die Verfassung und das Land, warnten sie. Gefällt wurde das Urteil am Bundesgericht in Richmond, das als konservativ und eher Bush-konform gilt. Es ist dasselbe Gericht, das etwa dem Deutschen Khaled al-Masri unter Verweis auf die nationale Sicherheit mehrfach verwehrte, in den USA auf Schadenersatz für seine vermutete Entführung durch den Geheimdienst CIA zu klagen.
Das Urteil reiht sich ein in eine Kette von Niederlagen für die US-Regierung: In der Vorwoche hatten zwei Militärrichter im US-Gefangenenlager Guantanamo überraschend die Verfahren gegen den Kanadier Omar Khadr und den Jemeniten Salim Ahmed Hamdan platzen lassen. Wie Marri waren sie von den USA zu feindlichen Kämpfern erklärt worden und sollten als solche nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern vor eigens geschaffenen Militärtribunalen mit eingeschränkten Grundrechten abgeurteilt werden. Es waren Zweifel an diesem Verfahren, welche Richter in den drei Fällen die Notbremse ziehen ließen. Über Schuld oder Unschuld der Verdächtigen wurde dabei noch gar nicht befunden.
Das Marri-Urteil wirkt wie ein Echo auf die Kritik, die Bushs erster Außenminister Colin Powell am Vortag geübt hatte. Das System der Militärtribunale untergrabe das Ansehen des Landes, sagte er dem Sender NBC. Den Gefangenen müsse der Weg vor ordentliche Gerichte in den USA geöffnet werden: Warum nicht? Wir sind in der Lage, mit üblen Kerlen fertig zu werden.
Die Richter in Richmond regten an, Marri entweder auszuweisen oder vor einem zivilen Strafgericht mit vollen Grundrechten anzuklagen. Dort könne über den Vorwurf befunden werden, Marri habe in den USA einer Zelle des Terrornetzwerks Al-Kaida angehört. Er ist der einzige feindliche Kämpfer, der in den USA selbst inhaftiert ist, die anderen sind in Guantànamo auf Kuba.
Marri kann sich freilich kaum Hoffnung auf einen raschen Ausweg aus der Armeezelle machen, wo er nach Angaben seiner Anwälte seit Jahren auf sechs Quadratmetern abgeschnitten von der Außenwelt festgehalten wird. Die US-Regierung sträubt sich, das System der Militärtribunale gegen die Terrorverdächtigen fallen zu lassen. Gegen die Entscheidung im Fall Marri will sie in Berufung gehen, ebenso bei Khadr und Hamdan, den beiden in Afghanistan aufgegriffenen Guantànamo-Häftlingen.
Die Bilanz der Regierung ist bisher mager. Fünf Jahre nach Beginn des Versuchs, ein gesondertes Rechtssystem für die Terrorverdächtigen zu etablieren, gibt es erst eine Verurteilung – die des Australiers David Hicks zu neun Monaten Haft. Unklar ist, wie es mit den Tribunalen weitergeht. In Guantànamo sitzen noch Hunderte von Verdächtigen. Rechtsprofessor Scott Silliman von der Duke University sagt, dass Fälle wie Khadr und Hamdan nur kleine Fische seien. Ihre einzige Bedeutung lag darin, sicherzustellen, dass das juristische System funktioniert – etwa für den Prozess gegen den Inhaftierten Khalid Sheikh Mohammed, der als Drahtzieher der Anschläge vom 11. September gilt. Diese Generalprobe sei nun aber gründlich gescheitert.
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