Neue Normen für Norma: Kosmos Theater zeigt "Retrotopia"

Das Institut für Medien, Politik und Theater ist ein interdisziplinäres Kollektiv, das an der Schnittstelle von Theater und Journalismus arbeitet und sich nach seinem Debüt mit "Die Fellner Lesung" u. a. mit dem Tiroler Wintertourismus, dem "Fall Julia K.", der österreichischen Innenpolitik und der #metoo-Debatte samt Arbeitsbedingungen am Theater auseinandergesetzt hat. Die neue Produktion, bei der Felix Hafner und Jennifer Gisela Weiss für Regie und Text verantwortlich zeichnen, beschäftigt sich satirisch mit Retro-Tendenzen in der Gesellschaftspolitik. Zurück zum Herd - das hat heute eine schickere Bezeichnung: Tradwife.
Frauen sollen "zahm und zart" sein
Die Grundidee ist ziemlich böse: In einer künftigen Gesellschaft, in der Frauen die neuen Normen, die sehr nach ganz alten Regeln aussehen, nicht akzeptieren wollen, werden die Verweigerinnen aus dem Verkehr gezogen. In Lagern werden sie so lange gefügsam gemacht, bis sie sich "zahm und zart" nicht mehr als Macherinnen, sondern als Trösterinnen und Helferinnen sehen. Denn: "Norma ergänzt Norman in angeborener Unterlegenheit." Und wenn sie nicht angeboren ist, muss sie antrainiert werden.
Irem Gökçen, Tamara Semzov, Birgit Stöger und Katarina Maria Trenk spielen inmitten von vier überdimensionalen Kochfeldern und mit einem großen, multifunktionalen Rolltisch Frauen, die aus unterschiedlichsten Gründen bei der Umerziehung gelandet sind: Sie haben Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch geleistet, Frauenfußball gespielt, in queeren Beziehungen gelebt oder am Amt aus Versehen gegendert. Die restriktiven Regeln dieses dystopischen Orts namens Retrotopia sind mannigfaltig und drehen alles zurück, was im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte von Frauen an Terrain erkämpft wurde.
Thea Ehre als Super-Wife
Als Neuzugang stößt Thea Ehre dazu. Die 25-jährige oberösterreichische Trans-Schauspielerin, 2023 für ihre Rolle als verdeckt im Drogenmilieu ermittelnde Transfrau in dem Thriller "Bis ans Ende der Nacht" mit dem Silbernen Bären der Berlinale ausgezeichnet, spielt eine Super-Wife, die nicht weiß, warum sie hier gelandet ist, weil sie eh' alle Normen der Anpassung und Unterordnung übererfüllt. Daraus entsteht in dem knapp 75-minütigen Stück so etwas wie Konflikt und Handlung - was "Retrotopia" auch dringend braucht. Denn so tadellos die bedrückenden Recherche-Resultate in den Text eingearbeitet wurden, so wenig theatral sind sie in eine Geschichte gegossen worden.
"Retrotopia" ist weniger ein Stück als eine mit manchen witzigen und irritierenden Szenen und feinen Musikeinlagen aufwartende gesellschaftspolitische Anklage. Am verstörendsten ist dabei der Umstand, dass man das meiste in der politischen Debatte der vergangenen Jahre tatsächlich gehört hat. "Retrotopia" leistet in seiner Zuspitzung einen Beitrag dazu, dass man sich daran nicht gewöhnt, sondern weiterhin darüber erschrickt.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Retrotopia", Konzept, Text und Recherche: Institut für Medien, Politik und Theater, Regie und Text: Felix Hafner, Jennifer Gisela Weiss, Recherche und Text: Emily Richards, Anna Wielander, Bühne und Kostüm: Marie Sturminger, Komposition: FARCE, Live-Musik: Katarina Maria Trenk. Mit Thea Ehre, Irem Gökçen, Tamara Semzov, Birgit Stöger, Katarina Maria Trenk. Uraufführung im Kosmos Theater, Wien 7, Siebensterngasse 42. Uraufführung. Nächste Vorstellungen: 18., 19., 20., 24.-27.9., )
(APA)
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