Nach Inhaftierung von İmamoğlu: Proteste in der Türkei, Zurückhaltung in Vorarlberg

Die Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu und seine Inhaftierung sorgen international für Kritik. Ekrem İmamoğlu ist der derzeit prominentester Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er wurde am Wochenende von seiner Partei CHP offiziell zum Präsidentschaftskandidaten nominiert – trotz Untersuchungshaft.
Wenig Gesprächsbereitschaft in Dornbirn und Lustenau
Während in der Türkei landesweit gegen seine Inhaftierung protestiert wird, äußern sich in Vorarlberg nur wenige zur politischen Entwicklung. VOL.AT war am Montagvormittag rund zwei Stunden lang in Dornbirn und Lustenau unterwegs – sowohl im Zentrum als auch bei unterschiedlichen türkischen Geschäften und Lokalen. Die Gesprächsbereitschaft war gering.

"Ich will keine Gäste verlieren" – Sorge um geschäftliche Folgen
Ein türkischer Geschäftsbetreiber in Lustenau erklärte gegenüber VOL.AT: "Ich möchte mich nicht öffentlich dazu äußern, wie meine private Meinung aussieht. Ich habe Gäste – natürlich sind das nicht nur Türken – und die haben unterschiedliche Meinungen." Einige seien klar für, andere gegen İmamoğlu bzw. Erdogan. "Wenn ich mich öffentlich als Geschäftsbetreiber auf eine Seite stelle, befürchte ich, dass dann jene, die anders denken, nicht mehr zu mir kommen könnten." Er wollte daher auch lieber nicht namentlich genannt werden.
Ayse aus Dornbirn: "Für mich ist Erdogan die Nummer eins"

Eine Ausnahme bildete Ayse Arslan aus Dornbirn. "Für mich ist Erdogan der Beste", betont sie. Die Mehrheit stehe weiterhin hinter dem Präsidenten – die Proteste spiegelten nur einen kleinen Teil der Bevölkerung wider, so Arslan. "Was Erdogan gesagt hat, hat er auch getan. Das sieht man." İmamoğlu dagegen kündige viel an, aber man sehe keine Ergebnisse. "Er sagt immer, er möchte eine Schule bauen oder etwas tun, aber bewirken tut er nichts", so die Dornbirnerin. Zudem sprach sie von Vorurteilen und ständiger Kritik, die İmamoğlu begleiteten, ohne dass konkrete Leistungen folgten. Auch wenn ihre Haltung klar ist, nimmt Arslan wahr, dass sie in der öffentlichen Debatte kaum sichtbar sei: "Viele sind für Erdogan, aber man sieht es nicht – es wird schlecht dargestellt." Dass Europa vieles nicht sehe, was in der Türkei tatsächlich passiere, sei ebenfalls Teil des Problems. "Aber für mich ist Erdogan die Nummer eins, der Beste."
Ländle-CHP-Obmann Kaplan sieht politische Willkür

Wie sieht Savas Kaplan die aktuellen Entwicklungen? Er ist Vorarlberger Vertreter der hier als Verein eingetragenen CHP. Als Stadtrat und Stadtteilvertreter für Blumenegg stand er bei der Gemeindewahl auf Platz sieben des "Team Bregenz" von Michael Ritsch (SPÖ). Im Gespräch mit VOL.AT äußerte sich Kaplan zur Absetzung und Inhaftierung von Ekrem Imamoğlu, dem Istanbuler Bürgermeister und Präsidentschaftskandidaten seiner Partei. Er kritisiert die Inhaftierung scharf.
Wahlbeteiligung in Vorarlberg überraschte
"Wir wissen, die letzten 22 Jahre waren schon immer Ungerechtigkeiten, aber jetzt speziell die Verhaftung von unserem stärksten Kandidaten [...] das ist nicht gerechtfertigt", so Kaplan. İmamoğlu sei "eigentlich gegen Erdogan als Bundespräsidentenkandidat angetreten" und habe bei der internen CHP-Vorwahl knapp 14,85 Millionen Stimmen erhalten – auch in Vorarlberg. Laut Kaplan haben am Sonntag rund 1.200 Menschen in Vorarlberg ihre Stimme für İmamoğlu abgegeben. In Hard wurde hierfür vier Stunden lang ein Saal angemietet.
"Leute waren sehr empört über die ungerechte Verhaftung"
Dass viele in der türkischen Community nicht offen über das Thema sprechen wollen, kann Kaplan nachvollziehen: "Wenn man in die Türkei einreist, gibt es Probleme, wenn man falsche Aussagen macht. Zum anderen, weil man sich vor der Gesellschaft scheut." Der Zuspruch zur Wahl in Vorarlberg habe ihn aber überrascht: "Es sind Leute aus Friedrichshafen, Wangen und der Schweiz gekommen. Die Leute waren sehr empört über die ungerechte Verhaftung von İmamoğlu."
"Viele Leute waren nicht sprachlos"
Zur politischen Lage in der Türkei meint Kaplan: "Die CHP hat bei den letzten Gemeindewahlen die AKP überholt – wir sind jetzt die stärkste Partei." AKP habe rund 30, die CHP knapp 32 Prozent der Stimmen, bilde bis zur nächsten Präsidentschaftswahl eine Koalition. Dass İmamoğlu trotz Inhaftierung Präsidentschaftskandidat bleibt, steht für ihn außer Frage. Sorgen bereitet Kaplan aber ein Punkt: "Man hat ja seinen Abschluss aberkannt. Wenn es so bleibt, kann er laut Verfassung nicht mehr antreten." Trotz aller Hürden bleibt er optimistisch: "Viele Leute waren nicht sprachlos. Sie haben sich für unseren neuen Bundespräsidentenkandidaten eingesetzt."

ATIB-Vereine schweigen zu den Entwicklungen
Eine Anfrage von VOL.AT an mehrere verschiedene ATIB-Vereine in Vorarlberg blieb bisher unbeantwortet. ATIB vertritt den sunnitischen Islam und stellt den Moscheegemeinden staatliche Imame aus der Türkei zur Verfügung. Der Kulturverein wird daher auch gerne als verlängerter Arm Erdogans in Zentraleuropa bezeichnet.
(VOL.AT)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.