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"Müssen als Kirche ehrlicher werden"

©Sams
Ostern ist das höchste christliche Fest. W&W hat mit Pater Vinzenz, Abt der Mehrerau, über Religion in der heutigen Zeit, Missbrauch und Gleichberechtigung gesprochen.

von Anja Förtsch/Wann & Wo

WANN & WO: Am Dienstag wurden Missbrauchsvorwürfe gegen einen heute 80-jährigen Mönch des Klosters Birnau am deutschen Bodenseeufer laut. Das Kloster gehört zur Zisterzienser-Abtei Mehrerau. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?

Pater Vinzenz: Mich machen nicht die Schlagzeilen, sondern die Situation rund um die Vorwürfe betroffen. Der betroffene Pater weist sämtliche Vorwürfe zurück. Um alles restlos aufzuklären, haben wir bereits vorige Woche die Staatsanwaltschaften von Feldkirch und Konstanz eingeschaltet und ihnen eine Sachverhaltsdarstellung übermittelt. Für die ganze Gemeinschaft ist es eine sehr herausfordernde Situation.

WANN & WO: Der Papst hat kürzlich zum Missbrauchsgipfel im Vatikan geladen. Die ausgearbeitete Erklärung wurde dann scharf kritisiert, als lediglich ein Schuldeingeständnis und ohne Lösungsansatz.

Pater Vinzenz: In den letzten Jahren wurde viel stärker hingeschaut, auch bei uns. Das ist schmerzlich, jedoch unsere Pflicht und Verantwortung. Die bis heute Leidenden sind die Opfer nicht die Täter, auch wenn die Taten oft schon Jahrzehnte zurückliegen. In solchen Situationen gibt es ein Spannungsfeld zwischen Aufklärung und Diskretion, das heißt Schutz der Opfer
heute vor weiteren Verletzungen durch die Öffentlichkeit. Die Opfer dürfen nicht noch zusätzlich verletzt werden – das gilt auch für den Journalismus. Deshalb finde ich das, was in Rom gesagt wurde gut. Es ist wichtig, dass wir die Menschen ermutigen, zu sprechen. Darum habe ich auch keine Scheu, denjenigen, denen in der Mehrerau etwas Schlimmes passiert ist, zu
sagen: Bitte meldet euch.

WANN & WO: Das heißt, es gab auch Kinder, die sich aufgrund von Missbrauch in der Mehrerau gemeldet haben?

Pater Vinzenz: Ja, bereits unter meinem Vorgänger wurde das Gespräch angeboten. Dabei haben sich verschiedene Persönlichkeiten bei uns gemeldet, die in ihren Kindertagen in der Mehrerau Übergriffe erlebt haben und heute noch darunter leiden. Hier war dieses Zuhören ein erster Schritt. Wir haben in den letzten zehn Jahren als weiteren wichtigen Schritt mit öffentlichen Stellen und dem Schulpsychologen einen Kodex entwickelt, der unseren Schülerinnen und Schülern jenes Rückgrat gibt, damit sie gestärkt werden und „Stopp“ sagen können, wenn sie Probleme haben. Dieser Kodex gilt für alle in der Mehrerau. Also auch für die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

WANN & WO: Für Schlagzeilen sorgte vor Kurzem auch die Karfreitags-Feiertags-Frage. Wie zufrieden sind Sie mit der Lösung?

Pater Vinzenz: Ich bin mit der vorliegenden Lösung unzufrieden. Für alle Christen ist der Karfreitag ein wichtiger Tag, insbesondere für unsere evangelischen Mitchristen. Ich verstehe die Argumente der Wirtschaft, aber es wird hier mit religiösen Gefühlen von Menschen gespielt. Besonders haarsträubend finde ich das Vorgehen: Erst war es ein Feiertag, dann ein halber
Feiertag, plötzlich ist es kein Feiertag mehr – als evangelischer Christ würde ich mich an der Nase herumgeführt vorkommen. Wir haben auch eine Verantwortung für Minderheiten. Die heutige Gesellschaft ist multikulturell und multireligiös. In diesem Miteinander ist es wichtig, dass wir den Menschen als Menschen sehen und ihn mit seinen Gefühlen ernst nehmen. Angst zu haben, dass Europa plötzlich einen religiösen Wandel vornimmt, brauchen wir, glaube ich, nicht zu haben. Wir sind zwar ein christlich geprägter Kontinent, der sich jedoch in den letzten Jahren immer mehr in eine post-christliche Richtung entwickelt hat.

WANN & WO: Das zeigt sich auch in den Kirchenaustritten, die immer weiter zunehmen. Sehen Sie die Kirche in einer Krise?

Pater Vinzenz: Inhaltlich nicht. Aber Leben und Verkündigung müssen ehrlicher werden. Wir sind auch eine moralische Institution und da müssen wir uns selbst an der Nase nehmen.

WANN & WO: Sie haben vorhin schon das Miteinander mit anderen Religionen angesprochen. Das scheint aber oft nicht zu funktionieren, wenn man sich die Feindlichkeit gegenüber Muslimen oder auch den weltweit wieder aufkeimenden Antisemitismus anschaut.

Pater Vinzenz: Es ist unsere Aufgabe, unsere Kinder in dieser multireligiösen Gesellschaft so aufwachsen zu lassen, dass alles gemeinsam zu einem Lebensbaum erwächst. Ich finde es wichtig, dass Kinder ihre eigenen Wurzeln und ihre eigene Religion kennen, daneben aber auch den Raum haben, damit andere wachsen können. Kinder fragen nicht: Was ist dein kultureller Hintergrund, was dein religiöser oder dein sozialer Hintergrund? Kinder gehen einfach aufeinander zu und spielen miteinander.

WANN & WO: Muss es in einer solchen multikulturellen Gesellschaft auch okay sein, dass muslimische Frauen in der Öffentlichkeit Kopftuch tragen? Immerhin fordern manche Politiker hier im Land ein Verbot davon.

Pater Vinzenz: Wenn man in den Bregenzerwald geht, findet man auch Frauen mit Kopftuch, die keine Muslime sind (lacht). Aber im Ernst: Verschleierung ist etwas, was ich einer Frau nicht antun würde. Ich denke, dass ist eine kulturelle Entwicklung in Mitteleuropa und es soll jeder leben dürfen, wie er mag. Ein grundsätzliches Verbot finde ich nicht gut, aber es darf auch nicht auf die andere Seite kippen.

WANN & WO: Dass Sie das, wie Sie sagten, einer Frau nicht „antun“ wollen, hat das auch etwas mit Frauenrechten zu tun?

Pater Vinzenz: Wenn eine Frau das tragen will, dann soll sie es tragen dürfen. Wenn sie es nicht will, dann soll sie auch die Freiheit erhalten, es nicht zu tun. Ich denke, wir sind lange über die Zeit hinaus, in der wir Frauen etwas vorschreiben müssen.

WANN & WO: Das ist interessant, denn erst kürzlich hat die gesamte, weibliche Redaktion des Frauenmagazins im Vatikan geschlosse gekündigt, weil sie sich „unter direkter männlicher Kontrolle“ fühlt.

Pater Vinzenz: Die katholische Kirche und die Frau ist ein komplexes Thema. Die Kirche muss aufpassen, wie sie über Frauen redet und im gleichen Atemzug innerhalb der Institution mit ihnen umgeht. Ich sehe da tatsächlich ein großes Problem auf die katholische Kirche zukommen, wenn sie hier nicht lernt, umzudenken.

WANN & WO: Heißt das, dass sich die katholische Kirche in Ihren Augen in verschiedenen Punkten erneuern und auch offener werden muss?

Pater Vinzenz: Erneuerung ist ein wichtiges Element der Kirche, das wurde schon lange erkannt. Sie muss auch auf die Menschen der heutigen Zeit hören, besonders auf diejenigen, die die Zukunft sind: die Kinder und Jugendlichen.

WANN & WO: Wie behalten Sie selbst den Draht zur jungen Generation und deren Themen?

Pater Vinzenz: Ich habe durch meinen Lehrerberuf direkten Kontakt zu den Jugendlichen. Ich bin zudem selbst bei Instagram aktiv: Viel wichtiger aber, als das Herzchen im Social Media zu drücken, ist die echte Begegnung. Auch mal mit Jugendlichen am Abend zusammensitzen und zu reden oder einfach einmal einen Spaß mitzumachen. Dieses „Second Life“ über die modernen Medien ist eine ganz nette Geschichte, aber man darf darüber nicht vergessen, tatsächlich zu leben.

WANN & WO: Wie stehen Sie zu der #fridaysforfuture-Bewegung?

Pater Vinzenz: Finde ich super! Das ist prophetisches Handeln der Jugendlichen. Ich halte es mit der Weisheit: Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen erhalten. Da steckt viel Wahrheit drin. Und da dürfen sie sich wehren. Wenn wir alle so leben wie der Durchschnitts-Österreicher, brauchen wir drei Erden. Da sind wir alle gefordert und mitverantwortlich.

WANN & WO: Noch grünt und blüht der Klostergarten. Werden dort heute eigentlich auch Eier versteckt?

Pater Vinzenz: Weder versteckte Eier noch versteckte Osternester (lacht). Ich finde den Brauch aber sehr schön, weil er für die Kinder genau das zeigt, was Ostern ausmacht: Freude und Leben. Jesus hat für uns gelitten und ist in den Tod gegangen, am dritten Tag ist er auferstanden. Das ist die österliche Botschaft für uns – zum Leben berufen zu sein. Diese frohe Botschaft des Lebens feiern wir da. Ein Zeichen dafür sind die Osternester, Osterhasen und Ostereier – Leben und Freude soll damit ausgedrückt werden. Diese Freude und dieses Leben wünsche ich allen Menschen mit dem Wunsch von frohen und gesegneten Ostern, und dass sie am Spiel des Lebens, das uns durch die Auferstehung geschenkt ist, mitspielen können.

Hier können Sie die aktuelle Ausgabe der Wann & Wo lesen!

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