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Mordanklage gegen NS-Verbrecher Demjanjuk

Die Staatsanwaltschaft München hat am Montag den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen angeklagt. Einen Termin für den Prozess gibt es noch nicht.
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Anklage gegen Demjanjuk

Demjanjuk soll als Wachmann 1943 im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen tausende Juden in die Gaskammern getrieben haben. Der 89-Jährige sitzt seit seiner Abschiebung aus den USA im Mai in München in Untersuchungshaft.

Hauptbeweismittel der Ankläger ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393. Zudem geht aus einer Verlegungsliste von März 1943 hervor, dass Demjanjuk damals nach Sobibor verlegt wurde. Vergangene Woche hatte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung Demjanjuks aus den USA nach Deutschland für rechtens erklärt.

Nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten werde von der Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten ausgegangen, erklärte die Staatsanwaltschaft München weiter. Allerdings hätten die Ärzte empfohlen, die tägliche Verhandlungsdauer auf zweimal eineinhalb Stunden zu beschränken.

Über das weitere Verfahren habe nunmehr das Landgericht München II zu entscheiden, teilte die Anklagebehörde mit. Nach der Zustellung der Anklage an Demjanjuk und dessen Verteidigung haben diese eine Frist für ihre Äußerung. Erst danach kann das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zulassen. Demjanjuks Münchner Anwalt Günther Maull sagte am Montag, er rechne mit einem möglichen Prozessbeginn nicht vor Ende September.

Die Deutsche Presse-Agentur dpa dokumentiert Demjanjuks wechselvolle Geschichte:

- Der Ukrainer Ivan Demjanjuk gerät 1942 als Sowjetsoldat in deutsche Kriegsgefangenschaft. Den Ermittlungen zufolge entscheidet er sich zur Kooperation mit den Nazis und wird Aufseher im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen. Im Oktober 1943 wird er in das bayerische Lager Flossenbürg abkommandiert und ist dort bis Dezember 1944 Wachmann mit der Dienstnummer 1393. Nach dem Krieg lebt Demjanjuk an verschiedenen Orten – unter anderem in einem Lager im bayerischen Feldafing -, bevor er Anfang der 1950er Jahre in die USA einwandern kann.

- Aufgrund einer Mitte der 1970er Jahre von Sowjetbehörden an die USA übersandten Liste mit den Namen von 70 angeblich in den Vereinigten Staaten lebenden mutmaßlichen NS-Verbrechern befasst sich die amerikanische Justiz mit ihm. Bei weiteren Recherchen glauben Überlebende des Todeslagers Treblinka, in ihm den Gaskammerwärter “Iwan den Schrecklichen” wiederzuerkennen.

- Im Februar 1986 liefert ihn die US-Regierung an Israel aus, ein Jahr später beginnt dort sein Prozess. Am 25. April 1988 endet das Verfahren mit einem Todesurteil. Das Sondergericht spricht Demjanjuk wegen der Beihilfe zum Mord an mehr als 800.000 Juden sowie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das jüdische Volk schuldig. Er bestreitet bis zuletzt, jemals KZ-Wächter gewesen zu sein und bezeichnet sich als Opfer eine Verwechslung.

- Nach der Verurteilung tauchen neue Beweise auf, die den Zweifel an der Identität des Mannes erhärten. Am 29. Juli 1993 hebt das Oberste Gericht Israels das Todesurteil auf, weil seine Identität nicht einwandfrei geklärt werden kann. Demjanjuk kehrt in die USA zurück, wo er als Staatenloser bei seiner Familie in Seven Hills bei Cleveland im Bundesstaat Ohio lebt.

– Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg nimmt jedoch erneut die Arbeit auf und sammelt neue Beweise. Im November 2008 übergibt sie das Material der Staatsanwaltschaft München. Im Dezember überträgt der Bundesgerichtshof (BGH) dem Landgericht München II die Zuständigkeit für das Verfahren.

- Nachdem ein Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes die Echtheit seines SS-Dienstausweises bestätigte, erlässt das Amtsgericht München am 11. März 2009 Haftbefehl gegen Demjanjuk. Er sei verdächtig, 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor Beihilfe zum Mord an Tausenden Juden geleistet zu haben.

– Nach wochenlangem Tauziehen wird Demjanjuk am 11. Mai von den USA nach Deutschland abgeschoben. Er trifft am 12. Mai per Sondermaschine in München ein und wird in die Haftanstalt Stadelheim gebracht.

– Am 3. Juli gibt die Anklagebehörde bekannt, dass der mittlerweile 89-Jährige laut ärztlichem Gutachten verhandlungsfähig ist. Die Mediziner schränken aber ein, dass gegen ihn je Prozesstag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden darf – insgesamt also nicht mehr als drei Stunden.

– Am 13. Juli erhebt die Staatsanwaltschaft München I Anklage zum Landgericht München II.

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