Weißrusslands staatliches Vertriebsmonopol weigert sich, die Zeitung Narodnaja Wolja (Volkswille) zu verteilen. Sie ist eine der wenigen Zeitungen, die noch nicht unter der Kontrolle des autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko steht. Auch an den staatlichen Kiosken darf sie nicht verkauft werden. Deshalb verbreitet die Redaktion ihre Nachrichten per Post.
Vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag – Lukaschenko strebt eine dritte Amtszeit an – haben die Behörden den Druck auf die wenigen unabhängigen Medien erhöht. Alle Fernseh- und Radiostationen gehören entweder dem Staat oder werden von ihm kontrolliert. Ihre Nachrichten bestehen aus Lobpreisungen auf den 51-jährigen Machthaber, der Weißrussland nun schon seit zwölf Jahren regiert. Alexander Milinkewitsch, der Präsidentschaftskandidat eines breiten Oppositionsbündnisses, beklagt, dass sein Name im Fernsehen nie genannt werde.
Die meisten Printmedien werden streng zensiert. Diejenigen, die sich der Regierungslinie nicht unterwerfen, müssen im Ausland gedruckt werden und alternative Vertriebswege nutzen. Sogar den Kauf eines Kopierers müssen sie sich vom Innenministerium genehmigen lassen.
Hinzu kommt ein zu Jahresbeginn in Kraft getretenes Gesetz, dass jede Diskreditierung des Staates oder der Behörden unter Strafe stellt. Kritiker befürchten, dass es dazu benutzt werden könnte, Journalisten und Lukaschenko-Gegner zum Schweigen zu bringen. Vieles deutet darauf hin, dass das Regime auch vor kriminellen Methoden nicht zurückschreckt, um Kritiker mundtot zu machen: Zwei regierungskritische Journalisten sind in den vergangenen Jahren unter mysteriösen Umständen ermordet worden, ein weiterer ist seit Juli 2000 verschwunden.
Jede Information, die der offiziellen Propagandamaschine widerspricht, wird blockiert, sagt Schanna Litwina, die Vorsitzende des weißrussischen Journalisten-Verbandes. Unter diesem Druck sind manche unabhängigen Zeitungen in den Untergrund gegangen oder veröffentlichen nur noch im Internet. Einige sind aber auch einfach eingestellt worden.
Narodnaja Wolja kämpft ums Überleben. Die Zeitung erscheint landesweit mit einer bescheidenen Auflage von 30.000 Exemplaren. Sie war die letzte unabhängige Tageszeitung, wegen der neuen Restriktionen erscheint sie jetzt nur noch drei Mal in der Woche.
Im vergangenen Jahr wurde die Redaktion von einem Gericht für schuldig befunden, einen regierungsnahen Politiker verleumdet zu haben, der im Untersuchungsbericht zum Öl-für-Lebensmittelprogramm der Vereinten belastet wurde. Die Zeitung wurde zu einer Geldstrafe von 42.000 Euro verurteilt. Da sie die hohe Summe nicht aufbringen konnte, bat die Redaktion ihre Leser um Hilfe, die daraufhin einen Großteil des Geldes spendeten.
Kaum dass die Zeitung die letzten 170 Euro der Strafe beglichen hatte, kündigten die staatliche Druckerei und der Vertrieb fristlos ihre Verträge, wie die stellvertretende Chefredakteurin Swetlana Kalinkina berichtet. Die Redaktionsleitung fand eine Druckerei im benachbarten Russland und entschied, die Zeitung per Post zu verschicken. So kommt das Blatt allerdings erst mit einer Verzögerung von zwei Tagen beim Leser an. Das war alles geplant. Die wollen uns kriegen, egal wie, sagt Kalinkina.
Am Dienstag wurde sogar die Gesamtauflage der Narodnaja Wolja konfisziert, als sie gerade aus Russland über die Grenze gebracht werden sollte. Eine Begründung wollte das Informationsministerium nicht abgeben. Bereits Anfang März hatten die Behörden an der Grenze die frisch gedruckten Zeitungen beschlagnahmt, damals hieß es, die Zeitung habe sich an einer Kampagne zur Präsidentschaftswahl beteiligt. Die Redaktion hatte in einer Extraausgabe Fotos gedruckt, auf denen zu sehen war, wie Sicherheitsbeamte einen Kandidaten der Opposition, mehrere Regierungsgegner und Journalisten zusammenschlugen.
Während die unabhängigen Zeitungen immer größerem Druck ausgesetzt sind, können sich diejenigen Medien, die dem Staat gehören oder loyal sind, über großzügige Subventionen freuen. Der Vorsitzenden des Journalisten-Verbandes zufolge haben die Medien ihr Budget verdoppelt, um die regierungsfreundliche Wahlberichterstattung noch weiter zu verstärken von insgesamt 26 Millionen im Jahr 2004 auf 51 Millionen Euro.
Lukaschenko sieht die Medienpolitik der Regierung als einen Weg, die – wie er es nennt – Informationssicherheit zu schützen, wie sie zu Zeiten der ehemaligen Sowjetunion üblich war. In einem Fernsehinterview sagte er, er gelobe, dem westlichen Druck zu widerstehen, ihn zu bekämpfen. Der Präsident hat wiederholt den Vorwurf erhoben, westliche Regierungen unterstützten Aufstände in ehemaligen Sowjetstaaten.
Durch den beschwerlichen Zugang zu freien Medien leben viele Weißrussen in einem Informationsvakuum. Boris, 38-jähriger Taxifahrer in Minsk, will Lukaschenko loswerden – seinen Nachnamen nennt er nicht, aus Angst vor Repressalien. Doch gefragt, ob er denn für Milinkewitsch stimmen würde, schaut er verdutzt und antwortet: Den kenne ich doch gar nicht.
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.