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Mikl-Leitner will Ostbalkanroute dicht machen

Flüchtlinge nehmen jetzt andere Routen nach Europa
Flüchtlinge nehmen jetzt andere Routen nach Europa
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat am Sonntag auf eine Schließung der Ostbalkanroute gedrängt. Nach der Schließung der Westbalkanroute und dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei gebe es nun ein Potenzial von 1,1 Millionen Menschen, die sich auf den Weg Richtung Bulgarien machen könnten, warnte Mikl-Leitner in der ORF-"Pressestunde". Die EU-Vereinbarung mit der Türkei sieht sie skeptisch.


Dieser Deal löse das Problem nicht. Man erkenne bereits Ausweichbewegungen Richtung Bulgarien, weil jetzt die Grenze von Griechenland nach Mazedonien dicht ist. Die Vorzeichen – vermehrte Aufgriffe und Schleppertätigkeit – Richtung Bulgarien seien bereits erkennbar, warnte die Innenministerin, dass hier ein neuer Korridor für Massenmigration entstehen könnte. Deshalb seien die Kraftanstrengungen nun in diese Richtung zu lenken. Die Innenministerin hat bereits den Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit mit Vorarbeiten beauftragt; vorige Woche war Mikl-Leitner gemeinsam mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil schon selbst in Bulgarien. Mikl-Leitner bekräftigte ihre Auffassung, dass aus Europa “eine Festung” werden müsse – “jetzt sind wir gerade dabei diese zu bauen”.

Die Innenministerin betonte, dass deshalb auch trotz des Deals mit der Türkei die österreichischen Grenzen weiter geschützt werden. Wenn nötig werde man auch weitere Grenzübergänge ausbauen, möglich seien so wie in Spielfeld weitere Container und Zäune sowie zusätzlich Polizisten zur Sicherung.

Mikl-Leitner bestätigte, dass in den letzten Tagen rund 100 Asylanträge pro Tag gestellt wurden, allerdings nicht mehr an den Grenzen, sondern im Landesinneren. Wenn es so weiter gehe, werde die vereinbarte Obergrenze von 37.500 Asylanträgen im Herbst erreicht. Die Innenministerin hält daher weitere Maßnahmen für nötig, um diese nicht zu überschreiten. Sie erläuterte, dass die beiden Gutachten von Bernd-Christian Funk und Walter Obwexer, die eine absolute Obergrenze kritisch sehen, nun zusammengeführt und dann Schlussfolgerungen gezogen werden. Dann werde man kommunizieren, was geht und ob Gesetze geändert werden. Sie will jedenfalls “Maßnahmen ableiten”, um die Zahl von 37.500 für heuer nicht zu überschreiten.

Derzeit gebe es einen Rückstau von etwa 60.000 Asylanträgen und eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von sieben Monaten, erläuterte Mikl-Leitner. Weiter beschleunigen will sie Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern. Ende April will die Innenministerin dazu gemeinsam mit Doskozil nach Marokko fliegen.

Die Vereinbarung der EU mit der Türkei betrachtet Mikl-Leitner skeptisch. Beschlüsse habe es schon viele gegeben, jetzt komme es auf die Umsetzung an. Sie forderte die EU auf, ganz genau zu schauen, wie die Türkei mit Grundrechten und mit Flüchtlingen umgehe. Für die vereinbarte Visa-Befreiung verlangte die Innenministerin die Kündigungsklausel, um diese schnell beenden zu können, wenn sich die Türkei nicht an Vereinbarungen halten sollte. Außerdem forderte Mikl-Leitner die EU auf, die Türkei als sicheres Herkunftsland einzustufen, damit türkische Staatsbürger rückgeführt werden können, wenn sie sich auf den Weg nach Europa machen sollten.

Für Griechenland kündigte Mikl-Leitner Hilfe an, 4.000 zusätzliche Beamte seien nötig. Auch Österreich werde seinen Teil dazu beitragen. Am Samstag hat es dazu bereits eine Telefonkonferenz der 28 EU-Staaten mit der EU-Kommission gegeben. Österreich habe dabei 50 Sicherheitskräfte “eingemeldet”, derzeit seien 25 vor Ort.

Im Zusammenhang mit der Situation an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni hielt Mikl-Leitner den NGOs eine “unverantwortliche” Vorgangsweise vor, weil sie den Flüchtlingen einreden würden, im “Schlamm” zu bleiben, weil dann die Balkanroute vielleicht doch wieder geöffnet werden könnte. Die Innenministerin betonte aber die Entschlossenheit, hier konsequent zu bleiben. “Europa ist kein Wunschkonzert”, die Flüchtlinge könnten sich ihr Zielland nicht aussuchen, sie seien auch in Griechenland sicher.

In absoluten Zahlen habe man bei den Asylwerbern einen Anstieg der Kleinkriminalität – Körperverletzung, Diebstahl, Drogen – registriert, doch sei dieser geringer ausgefallen als der Zuwachs der Asylwerberzahl insgesamt. Mit vermehrtem Streifendienst vor Asylquartieren und dem Einsatz von Kontaktpersonen, die vor allem über Werte und Rechte informieren, habe die Polizei bereits Maßnahmen gesetzt.

Bezüglich des in Brüssel verhafteten, mutmaßlichen Paris-Attentäters Salah Abdeslam, der auch in Österreich bei einer Routinekontrolle angehalten worden war, sicherte Mikl-Leitner den Behörden in Belgien und Frankreich die Unterstützung Österreichs zu. Sie betonte, dass der Mann damals noch nicht zur Fahndung ausgeschrieben gewesen sei, deshalb habe man nur eine Meldung nach Frankreich gemacht. Bezüglich zweier Personen, die in Salzburg in U-Haft sitzen, bekräftigte Mikl-Leitner, dass dies eine “Verschlusssache” sei. Mit Frankreich sei man jedenfalls im Gespräch über eine etwaige Überstellung.

Mit Gerüchten über eine etwaige Übersiedlung in ihr Heimatbundesland Niederösterreich als Landeshauptfrau beschäftigt sich Mikl-Leitner nach eigenen Angaben nicht. Sie sei “von Herzen gerne Innenministerin” und habe noch viel vor.

Die Opposition reagierte mit der erwarteten Kritik. Während FPÖ und Team Stronach der Innenministerin noch mehr Maßnahmen in Richtung Abschottung fordern, gehen den Grünen und den NEOS die Beschlüsse und Ankündigungen zu weit. Die Grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun hielt Mikl-Leitner vor, dass die von ihr propagierte “Festung Europa vielen Kindern, Frauen und Männern auf der Flucht das Leben kosten” werde. Ohne legale Fluchtwege nach Europa werde es noch mehr Tote geben.

Die NEOS vermissen einen langfristigen Plan und fordern einen “umfassenden nationalen Asyl- und Integrationsplan”. Menschenrechtssprecher Niki Scherak warf der Innenministerin vor, mit den angekündigten neuen Grenzzäunen und dem Festhalten an der Obergrenze nicht nur das rechtsstaatliche Prinzip in Österreich zu ignorieren, sondern auch das Ende des Schengen-Raums und damit das Ende von wesentlichen Grundfreiheiten in der EU in Kauf zu nehmen.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky warf der Regierung vor, “eine Politik der Augenauswischerei” zu betreiben. “Im Ergebnis bleiben Ankündigungen ohne Umsetzungen und ein asyl- und fremdenpolitisches Chaos, das zu Lasten der österreichischen Bevölkerung geht.” Vilimsky forderte erneut die Schließung der österreichischen Grenzen für illegale Migranten, einen Aufnahmestopp für Asylwerber und die Einhaltung des Dublin-Abkommens.

Für das Team Stronach kommt der Kurswechsel der Regierung in der Flüchtlingsfrage viel zu spät. Sicherheitssprecher Christoph Hagen forderte eine “Obergrenze Null”. Abgewiesene Asylwerber sollten in EU-Wartecamps – ähnlich Schutzzonen – in Nordafrika untergebracht werden “bis bilaterale Abkommen die reguläre Rücknahme garantieren”.

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