“Unsere Gesellschaften leben davon, dass wir im Wettstreit miteinander den besten Weg finden”, sagte Merkel. Das sei auch für Ungarn “das richtige Modell”. Orban konterte: Nicht jede Demokratie sei notwendigerweise liberal. Wer diese Meinung vertrete, der würde ein Privileg für ein Ideensystem fordern, was ihm nicht zustehe.
Merkels erster Ungarn-Besuch seit fünf Jahren
Merkel ist zum ersten Mal seit fünf Jahren in Ungarn, dessen Entwicklung Deutschland und anderen europäischen Staaten seit dem Amtsantritt Orbans 2010 Sorgen bereitet. Der rechtskonservative Politiker setzte dank der breiten Mehrheit seiner Fidesz-Partei Gesetzesänderungen durch, durch die insbesondere die Kontrolle der Regierung über Justiz und Medien verstärkt wurden.
Tausende protestieren gegen Orban
Kritiker werfen Orban eine antidemokratische Politik und die Einschränkung der Menschenrechte vor. Kurz vor Merkels Besuch hatten am Sonntag tausende Ungarn in Budapest und anderen Städten gegen Orban protestiert und klare Worte der Kritik von der Bundeskanzlerin gefordert.
Merkel und Orban sprachen bei ihrer Begegnung über die deutsch-ungarische Wirtschaftszusammenarbeit, die in den vergangenen Jahren intensiver geworden ist. Auch dank der Aktivitäten deutscher Unternehmen habe Ungarn eine so hohe Beschäftigungsrate wie seit Jahrzehnten nicht, sagte Orban in Budapest. Deutsche Unternehmen hätten in dem Land 300.000 Arbeitsplätze geschaffen. Im vergangenen Jahr hätten die ungarischen Ausfuhren nach Deutschland den Rekord von 21 Milliarden Euro erreicht. “Ich kann der Frau Bundeskanzlerin nur sagen: Danke Deutschland.”
Russland-Ukraine-Krise als Thema
Thema der Gespräche war auch die anhaltende Krise zwischen Russland und der Ukraine. Orban verwies darauf, dass die ungarische Wirtschaft ohne das über die Ukraine kommende russische Gas nicht funktioniere. Ungarn wolle deshalb “auf der Seite des Friedens stehen” und unterstütze die Position Deutschlands.
Merkel drängt auf Waffenstillstand
Merkel drängte erneut auf einen “möglichst schnellen” Waffenstillstand. Das Minsker Abkommen zwischen prorussischen Rebellen und ukrainischer Regierung vom September sei weiterhin “ein guter Ausgangspunkt”, um einen stabilen Zustand zu erreichen, bei dem “die ukrainische Territorialität gesichert ist”. Was die Abhängigkeit von russischem Gas angehe, müssten Deutschland, Ungarn und die anderen europäischen Länder sich weiter bemühen, “Energiebezugsquellen” zu diversifizieren.
Merkel will am Nachmittag noch mit Wirtschaftsvertretern und Repräsentanten der Zivilgesellschaft zusammenkommen. Außerdem wird sie eine Rede an der deutschsprachigen Andrassy-Universität halten. Eine dort geplante Kundgebung wurde unterdessen untersagt. Die Protestorganisatoren unter dem Motto “Wir gehören zu Europa!” wollten die deutsche Regierungschefin an die aus Sicht der Initiative undemokratischen Zustände in Ungarn erinnern. Die Kundgebung soll nun einen Häuserblock weiter von der Andrassy-Universität entfernt – und außer Sichtweite der besuchenden Kanzlerin – stattfinden.
Die jüngsten Aufreger Orbans
Der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sorgt mit Äußerungen und Maßnahmen immer wieder für Aufreger. Manchmal lösen sie in Ungarn Proteste hervor oder rufen die Kritik der Europäischen Union und der westlichen Bündnispartner auf den Plan. Eine Auswahl der ungewöhnlichen Schritte und Sprüche der vergangenen fünf Jahre:
Dezember 2014: Der Orban-Vertraute und Kommunalpolitiker Mate Kocsis kündigte die Einführung von Zwangsdrogentests für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren an. Nach Protesten schwächte Orban den Plan dahin gehend ab, die Drogentests für jene anzubieten, deren Eltern damit einverstanden sind.
Oktober 2014: Orban stellte in Aussicht, den Datenverkehr im Internet zu besteuern. Die Idee löste die bisher massivsten Proteste gegen den seit 2010 amtierenden Regierungschef aus. Nahezu 100.000 Menschen demonstrierten am 29. Oktober in Budapest. Auch die EU-Kommission meldete Bedenken an. Wenig später nahm Orban die Internet-Steuer wieder zurück.
Juli 2014: Orban erklärte auf einer Veranstaltung in Baile Tusnad (Rumänien), dass in Ungarn die “illiberale Demokratie” errichtet würde. Als Vorbilder nannte er Russland, China, Singapur und die Türkei. Bei den westlichen Partnern löste dies Kopfschütteln aus.
Mai 2013: Orban missverstand eine Äußerung von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihn eigentlich in Schutz nahm. Zum damaligen SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück, der einen möglichen EU-Ausschluss Ungarns angesprochen hatte, sagte Merkel in Anspielung auf dessen frühere Äußerungen zum Schweizer Bankgeheimnis, man werde “nicht gleich die Kavallerie schicken”. Orban entgegnete, dass Deutschland schon einmal, in der Zeit des Nationalsozialismus, Panzer nach Ungarn geschickt habe. In Berlin löste die Bemerkung einen Sturm der Entrüstung aus.
Anfang 2011: Ein neues, von Orban inspiriertes Mediengesetz trat in Kraft, das die Freiheit der Journalisten einschränkt. Nach Protesten, EU-Verfahren und Entscheiden des Verfassungsgerichts wurden einige Bestimmungen abgeschwächt oder außer Kraft gesetzt.
(APA)
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