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Menschenrechtskonvention zum 75. Jubiläum unter Druck

Abkommen wurde am 4. November 1950 unterzeichnet
Abkommen wurde am 4. November 1950 unterzeichnet ©APA/AFP
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) feiert ihr 75. Jubiläum unter Druck. Über ihre Einhaltung wacht der Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), den mehrere Länder für seine Rechtsprechung angreifen. Zudem werden Urteile immer wieder nicht umgesetzt. Dabei sichert die EMRK wichtige Rechte zu, etwa das Recht auf Leben, das Verbot der Folter oder die Meinungsfreiheit. 

In einem offenen Brief im Mai hatten neun europäische Staats- und Regierungschefs - darunter von Dänemark, Italien, Österreich und Polen - den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für seine Auslegung der EMRK in Migrationsfragen kritisiert, weil sie den Handlungsspielraum der Staaten zu stark einschränke. 

Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), Beate Rudolf, blickt mit Sorge darauf. "Das ist alarmierend im Rechtsstaat", sagte Rudolf der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Kritik am Gerichtshof dürften die Staaten natürlich äußern, aber nicht durch öffentlichen Druck, sondern indem sie sich an den Gerichtsverfahren beteiligen.

Europaratschef Berset gesprächsbereit

Der Generalsekretär des Europarates, Alain Berset, kritisierte im APA-Interview "Druck" auf den Gerichtshof für Menschenrechte. Gleichzeitig zeigte sich Berset gesprächsbereit bei der Forderung, die Ausweisung ausländischer Straftäter zu vereinfachen. "Ich werde einen Vorschlag machen, aber es gibt zwei Bedingungen: Die Diskussion muss im Europarat stattfinden. Und der zweite Punkt, der sehr wichtig ist: Es muss eine politische Diskussion sein, das heißt nicht eine Art Druck auf den Gerichtshof", sagte Berset vergangene Woche.

Dana Schmalz, Expertin für Migrationsrecht und Menschenrechte am Max-Planck-Institut für Völkerrecht, wünscht sich eine differenziertere Debatte über die Entscheidungen des EGMR. Wahlweise heiße es, der Gerichtshof sei aktivistisch und schütze Migranten übermäßig, oder er sei gekippt und wahre die Menschenrechte nicht mehr, sagte Schmalz der dpa. Für beide Extreme gebe es keine Faktengrundlage, so die Rechtswissenschaftlerin.

Weit verbreiteter als verbale Attacken von Politikern sei aber das "stille Ignorieren von Urteilen", mit dem die Konvention untergraben werde, sagte Schmalz weiter. Der Gerichtshof stelle regelmäßig bei den Flüchtlingslagern in Griechenland Verletzungen der EMRK fest. Es ändere sich aber überhaupt nichts. Die Rechtswissenschaftlerin befürchtet, dass so die tatsächliche Wirkung der Institution und ihrer Entscheidungen abnehme. "Mit jedem Urteil, was die EU-Staaten ignorieren, kratzt man ein bisschen an der Autorität des Gerichtshofs." Die Menschenrechtskonvention und der Gerichtshof kämen "zunehmend unter Beschuss, insbesondere im Zusammenhang mit Migration", sagte der österreichische Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im Ö1-Mittagsjournal.

46 Staaten zur Achtung verpflichtet 

DIMR-Direktorin Rudolf fordert ein klares Bekenntnis vonseiten der Staaten zum Gerichtshof. "Wir sollten stolz darauf sein, dass wir in Europa einen Gerichtshof haben, der verbindlich und letztinstanzlich entscheidet bei Menschenrechtsverletzungen durch Staaten", sagte die Direktorin des Menschenrechtsinstituts. "Das haben wir über 75 Jahre entwickelt."

Am 4. November 1950 unterzeichneten die ersten Mitgliedstaaten des Europarats das Abkommen. 1953 trat es in Kraft. Mittlerweile verpflichtet die EMRK die 46 Staaten des Europarats, eine von der EU unabhängige Organisation.

Meinl-Reisinger für "maßgeschneiderte Ansätze"

Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) sagte im Menschrechtsausschuss, die Menschenrechte würden aktuell unter Druck geraten, deren Einhaltung sei gemeinsam mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aber "ein Garant für ein Leben in Wohlstand und Freiheit". Die Außenministerin sprach sich laut Aussendung für ein Eintreten für Menschenrechte "ohne erhobenen Zeigefinger" und für "maßgeschneiderte Ansätze" für verschiedene Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner aus. Denn oftmals sei lautstarkes Auftreten kontraproduktiv, weshalb sie auch bei Zusammentreffen "hinter verschlossenen Türen" Kritik an der Menschenrechtslage übe, so Meinl-Reisinger. Auch in Österreich gebe es in Bezug auf die Menschenrechte "noch Luft nach oben", weshalb sie die für 2026 geplante Staatenprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat begrüße.

Gesundheits- und Sozialministerin Korinna Schumann betonte in einer Aussendung: "Menschenrechte entfalten ihre Wirkung erst dann, wenn sie im Alltag spürbar werden - ganz besonders für jene, die Unterstützung brauchen oder gesellschaftlich benachteiligt sind." Gleicher Zugang zu Gesundheit, Pflege und sozialer Sicherheit sei kein Privileg, sondern Ausdruck gelebter Menschenwürde und Solidarität.

"Die Europäische Menschenrechtskonvention ist das Fundament unseres Rechtsstaats und Ausdruck unserer gemeinsamen europäischen Werte. Wer sie in Frage stellt, stellt die Grundpfeiler unserer Demokratie infrage", warnte Agnes Sirkka Prammer, Menschenrechtssprecherin der Grünen. Prammer kritisierte als "beschämend", dass sich Österreich der Initiative zu leichteren Abschiebungen angeschlossen habe.

(APA/dpa)

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