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Mauern, die Geschichte atmen

©Stefan Hauer, Zottele Mallin Architekten
Das Stadtmuseum ist selbst das Ausstellungsstück Nr. 1.

Kein Stadtmuseum im üblichen Sinn ist das von Zottele Mallin Architekten verwandelte von Bludenz. Ist hier doch das Haus selbst das Ausstellungsstück Nr. 1, das Geschichte atmet und spannende Geschichten von der Bronzezeit bis heute erzählt.

Das obere Tor ziert an seiner äußeren Seite ein Fresko aus den 1960er-Jahren von Herzog Friedrich, an der inneren eines des mit dem Teufel kämpfenden Erzengel Michael. Gemalt 1903 von Florus Scheel.
Der Zugang zum Stadtmuseum Bludenz ist unverändert geblieben. Er erfolgt von der Kirchgasse aus über eine steile, hölzern eingehauste Treppe.

Das Museum der Stadt Bludenz ist keine "Hausmannskost", sondern eine "Delikatesse". Weniger ist da mehr, die Zutaten sind vom Feinsten, der Genuss nachhaltig. Wenn auch nur für maximal 15 Besucherinnen und Besucher gleichzeitig, die neugierig sind auf Geschichte und Geschichten rund um den 842 erstmals urkundlich erwähnten Ort "Pludeno", der 1329 zu einer Civitas im rechtlichen Sinn geworden ist. Die Civitas wurde immer wieder von verheerenden Bränden heimgesucht, von denen das obere Tor im Wesentlichen verschont geblieben ist. Es stammt aus dem späten 15. Jahrhundert, wurde 1774 umgebaut, steht seit 2007 unter Denkmalschutz und beherbergt das kleine Museum der Stadt seit 1918.

Die Erschließung der zweieinhalb Geschoße des immer wieder umgebauten oberen Stadttors ist eine komplexe Symbiose aus Alt und Neu.

An dieses erste Bludenzer Stadtmuseum erinnert, genauso wie an dessen Transformation in den frühen 1970er-Jahren, heute fast nichts mehr. Es ging den mit dem Umbau des Museums beauftragten Zottele Mallin Architekten nämlich primär darum, verborgene räumliche Strukturen freizulegen, um ein Spiel mit der Poesie des Atmosphärischen durchzudeklinieren. Für die beiden sensiblen Baukünstler „ein Lehrbeispiel, welch ungehobenen Schatz alte Formen heute noch bieten“. Bis es so weit war, musste allerdings das Gebäude – nach dem Abtransport der unzähligen bisher hier präsentierten Ausstellungsstücke – von Plastikbodenbelägen, die die schönen alten Ziegelböden zudeckten, oder von den die prächtigen Gewölbe verschandelnden Elektroleitungen befreit werden. Dann konnte in Abstimmung mit dem Denkmalamt der konsequente Rückbau des architektonischen Bestands angegangen werden. Um Schicht für Schicht vorzudringen in dessen Geschichte inklusive der Geschichten, die auch Mauern, Böden, Gewölbe und Fenster erzählen können. Etwa durch die Freilegung der Reste der alten Stadtmauer, die sich längs durch das gesamte Gebäude zieht. Immer auf der Hut vor bzw. neugierig auf Überraschungen, die dieses fast archäologische Tun mit sich bringt.

Wenn irgend möglich, wurden die Wände und Böden auf ihren originalen Zustand zurückgebaut. Geblieben sind auch die Butzenschieben aus den 1920er-Jahren.
Besonders schön ist der unter dem Krüppelwalmdach eingerichtete Ausstellungsraum ganz oben mit seinem gemalten Deckenmedaillon der "Mariä Himmelfahrt" aus dem späten 18. Jahrhundert.

Die sieben, auf zweieinhalb Ebenen ausgebreiteten Räume mit insgesamt 100 Quadratmetern werden von der Kirchgasse aus durch eine steile, hölzern eingehauste Stiege erschlossen. Die, als kleiner Wermutstropfen, wie das gesamte kleine Museum leider nicht behindertengerecht ist – der Situation entsprechend schlicht und einfach nicht sein kann. Bereits im ersten Ausstellungsraum zeigt sich, welch kongenialen Partner das Architektenduo im Bludenzer Stadtarchivar, dem Historiker Christof Thöny, an der Seite hatte. Dieser musste nicht davon überzeugt werden, dass es nicht um die Menge der gezeigten Objekte geht, sondern um deren Qualität bzw. Aussagekraft. Davon, dass der Ort an sich schon so etwas wie ein Ausstellungsstück ist. Und wie wichtig es ist, wie das Präsentierte in Szene gesetzt wird. Etwa die bronzezeitlichen Pfeilspitzen, die in Ausstellungsraum Nr. 1 an Skulptürchen von Alberto Giacometti erinnernd in einer kleinen, weiß gekalkten Mauernische stehen, erklärt durch ihre per 3D-Drucker auf die wunderbar unregelmäßige Wand aufgebrachte Beschriftung.

In der Region gefundene bronzezeitliche Pfeilspitzen stehen in der Nische einer weiß gekalkten, poetisch unregelmäßigen Mauer. Die Beschriftung erfolgt per 3D-Druck.
Barockes Lebensgefühl verströmen durch ihre Stuckaturen und Holzböden die zwei seit 100 Jahren im Nachbargebäude liegenden, an das Obere Tor angedockten Ausstellungsräume.

Zur Geschichte des Hauses gehören allerdings auch die Einbauten aus Beton aus den 1920erJahren und die Butzenscheiben aus dieser Zeit. Genauso wie die selbstbewusst heutigen Eingriffe durch Christian Zottele und Markus Mallin in der Form von puren, in ihrer Radikalität fast skultpural daherkommenden neuen Stiegen, Rampen und Geländern. Was nicht daran hindert, sich in der Stube bzw. Waffenkammer des ehemaligen Torwächters im ersten Obergeschoß in das 16. Jahrhundert zurückversetzt zu fühlen. Sozusagen in das Herz des Gebäudes, das mit wenigen, ganz bewusst platzierten aussagekräftigen Objekten bestückt ist. Akzentuiert wie das ganze Museum durch ein reduziertes Lichtkonzept, bestehend aus in den Raumecken stehenden Lichtstelen bzw. am Boden liegenden Lichtwürfeln.

Einzelne Stellwände vergrößern die Ausstellungsfläche des mit seinen rund 100 Quadratmeter kleinen Museums. Gezeigt werden nur wenige, aber für das Bludenzer Selbstverständnis wichtige Objekte.
Freigelegt wurden die wenigen erhaltenen Teile der ehemaligen Stadtmauer, die sich durch das gesamte Obere Tor zieht.

Durch ihre Höhe, ihre Holzböden und stuckierten Decken verströmen dagegen die seit Gründung des Museums im Nachbarhaus zugemieteten Ausstellungsräume fast feudales barockes Lebensgefühl. Stimmungsmäßig komplett anders als der unter dem Krüppelwalmdach des neuen Tors eingerichtete, durch Schießscharten nur schwach erhellte, über eine steile Stiege erschlossene Raum ganz oben.

Daten und Fakten

Objekt Stadtmuseum Bludenz Umbau
Bauherr Amt der Stadt Bludenz
Architektur zottele.mallin architekten zt, Bludenz www.zottele-mallin.com
Fachplanung Ausstellungskonzept: Christoph Thöny; wissenschaftliche Beratung: Andreas Rudigier, Manfred Tschaikner; Bauaufnahme, historische Bauforschung: Raimund Rhomberg, Dornbirn und Klaus Pfeifer, Egg; Ausstellungsgestaltung: Nikola Bartenbach
Planung 06/2020–05/2021
Ausführung 10/2021–03/2022
Nutzfläche 120 m²
Bauweise Mauerwerk Bruchstein verputzt; Dielenboden: Fichte; Ziegelboden: Estrich; Betontreppe; Ziegelgewölbe verputzt
Besonderheiten Verlauf der ehemaligen Stadtmauer
Ausführung Restaurierung Mauerwerk und Maler: Markus Pescoller, Bruneck; Restaurierung Holzböden: Helge Bartsch, Immenstadt; Restaurierung Steinböden: Alpha Stone Tec, Dornbirn; Elektro + Beleuchtung: Licht und Wärme, Raggal; Schlosser: Gmeiner, Bludenz; Fenster: Bischof, Thüringerberg; Maler: Liepert, Bludenz; Möbel Tschabrun, Vandans
Kosten 85.000 Euro

Text: Edith Schlocker | Fotos: Stefan Hauer, Zottele Mallin Architekten

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