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Mädchensein in allen Farben

„Mütter sind das erste weibliche Modell“
„Mütter sind das erste weibliche Modell“ ©privat
Mädchen heute: Auch coole Heldinnen und umwerfende Gipfelstürmerinnen brauchen ein sicheres Basislager.


„Kinder sind Flügel des Menschen.“ Die Psychologin Elisabeth Raffauf bezog sich zu Beginn ihres Vortrags in der Reihe „Wertvolle Kinder“ auf dieses arabische Sprichwort. „Mit unseren Kindern verbinden wir auch die Hoffnung, manche unserer eigenen Träume zu verwirklichen, alte Wunden zu heilen und die Welt ein bisschen besser zu machen.“ Was aber, wenn unsere HoffnungsträgerInnen ganz andere Vorstellungen haben? Insgesamt hätten Mädchen heute mehr Möglichkeiten, zu experimentieren und sich auszuprobieren. In der Multioptionsgesellschaft sei das Repertoire an Verhaltensweisen, wie Mädchen sein sollen und dürfen, größer geworden. Gewachsen sind aber auch die oftmals widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen: Die Identitätsfindung von Mädchen definiert sich heute in einem Farbenspektrum von rosa bis pechschwarz.

Mädchen sind verschieden

„DAS Mädchen gibt es nicht“, stellt Elisabeth Raffauf fest. „Mädchen sind laut oder leise, mutig oder vorsichtig, tough oder sozial, burschikos oder feminin, Öko-Aktivistin, Chatt-Queen oder Punk.“ Mädchen sind verschieden, ihre Wünsche, Ängste und Hoffnungen jedoch seien dieselben: „Werde ich gesehen? Wie kann ich meinen Platz in der Welt finden? Bin ich gut so wie ich bin?“ Viele der Mädchen, mit denen Elisabeth Raffauf im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit zu tun habe, kämen mit dem Gefühl: „Mit mir stimmt etwas nicht, ich bin nicht richtig.“ Kaum erstaunlich in einer Welt, in der es oft scheint, als wäre die Super-Woman Realität geworden. Denn auch die Erwartungen sind gestiegen und die vielen Möglichkeiten nicht selten Zwang. Es gilt, mitzuhalten, dazuzugehören, mehr noch: im Mittelpunkt statt außen vor, an der Spitze zu sein. Viele Mädchen bekommen viel hin, manche zahlen dafür einen hohen Preis, reagieren mit Essstörungen, Selbstverletzungen oder Rückzug ins Schneckenhaus.

„Früher galt: Jungs weinen nicht. Heute weinen auch Mädchen nicht.“

Mädchen müssen schön UND cool sein

„Mädchen haben es nicht leichter oder schwerer als Jungs, sie haben andere Probleme, für die es andere Lösungen braucht“, konstatiert die Beraterin. Dass sie schön sein müssen zum Beispiel. „Das Aussehen ist für Mädchen sehr wichtig.“ Die Pop- und Style-Ikonen leben’s vor: „Gewinnen ohne Grenzen“ heißt die Devise von Lady Gaga, Katie Perry & Co, die sich als selbstbewusste starke Super-Frauen präsentieren – von nichts und niemandem aus der Bahn zu werfen, nicht nur schön, sondern auch noch cool.

Mädchen pubertieren früher

Ein Blick hinter die Kulissen der neuen medial propagierten und sexualisierten Role Models bringt dann allerdings auch düstere Seiten wie Alkoholsucht oder Bulimie zutage. Oft stimmt auf dem Weg zum Erwachsenwerden das äußere Erscheinungsbild noch nicht mit der inneren Gefühlswelt überein. „Mädchen kommen durchschnittlich zwei Jahre früher in die Pubertät als Jungen“, so die Autorin. „Die Vorpubertät beginnt etwa mit zehn, zwölf Jahren – die sogenannten ,Tweens‘ sind mitunter körperlich schon voll entwickelt, interessieren sich aber noch für Bibi Blocksberg.“

Mädchen brauchen Vorbilder

Apropos Vorbild: „Mütter sind das erste weibliche Modell“, so Elisabeth Raffauf, um gleich mehrere Fragen ans großteils weibliche Publikum zu richten: „Sind Sie mit sich selbst zufrieden? Wie betrachten Sie sich im Spiegel? Sagen Sie Ihre Meinung, wenn Ihnen etwas nicht passt? Fühlen Sie sich wertgeschätzt?“ Je selbstbewusster und zufriedener eine Mutter ist, desto vertrauensvoller und stabiler sei die Beziehung zur Tochter, je eher fühlen sich die Mädchen unterstützt und aufgehoben. Denn auch coole Heldinnen und Gipfelstürmerinnen bräuchten ein „Basislager“, in dem sie Sicherheit, Mut und Geborgenheit auftanken können, um dann gestärkt den Stürmen des Lebens zu trotzen.

Mädchen brauchen Väter

Dabei spielen auch die Väter eine maßgebliche Rolle. Es brauche „präsente Väter, die sich in die Erziehung einmischen und sich für ihre Töchter interessieren“ – gerade wenn in der Pubertät die Fetzen fliegen, könnten sie Halt geben, los lassen und eine „andere, wichtige Farbe“ einbringen. Dass Freundschaft und Familie auch bei den heutigen Mädchen hoch im Kurs stehen, belegt im Übrigen auch die aktuelle heuer erschienene Shell-Jugendstudie.

Mädchen brechen mit alten Zöpfen

Die starken Frauen der Erfolgsgeneration brechen mit alten Zöpfen, aber schnüren sie die neuen Freiheiten in ein anderes Korsett? Mädchen und junge Frauen müssen alles sein: klug, leistungsfähig, schön, stark, familiär und verständnisvoll, zielstrebig und anschmiegsam. Welchen Weg sie wirklich einschlagen wollen, ist angesichts vielfältiger Anforderungen und Erwartungen manchmal schwer herauszufinden. Dabei werden Mädchen und Jungs von Erwachsenen nach wie vor mit zweierlei Maß gemessen. Ärger, Aggression oder Wut beispielsweise werden noch immer eher bei den Buben akzeptiert. Remo Largo bezeichnet Mädchen als „systemkonformer und angepasster“, sie tun sich deshalb in der Schule leichter, kommen besser durch und fallen erst später auf. Mädchen sollten, so Elisabeth Raffauf, darin bestärkt werden, einen eigenen Willen zu entwickeln, manchmal auch Wut oder Aufregung zu zeigen. „Zickige Mädchen“ müssten ernst genommen statt im Regen stehen gelassen und abgewertet werden. „Du bist gut so wie du bist“ laute das Credo, das Eltern an ihre Töchter weitergeben sollten, denn Mädchen wünschen sich unisono, dass ihre Eltern stolz auf sie sind. „Wir müssen unsere Mädchen mit Zuwendung und Wohlwollen ohne begluckende Enge, aber durchaus mit Grenzen begleiten.“ Und genau hinschauen, wenn unsere heranwachsende Heldin erschreckend abgebrüht daherkommt . . .

(Autorin: Christine Flatz-Posch)

Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit dem ORF Vorarlberg und Russ Media durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/ Fachbereich Kinder- und Jugend finanziert. Infos und Vorträge zum Nachhören in der Vokithek.

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