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"longing to tell": Wien Modern hatte den Blues

akua naru im schauspielerischen Volleinsatz
akua naru im schauspielerischen Volleinsatz ©APA/Wien Modern/Fabian Hammerl
Es ist eine tragische Geschichte, und doch eine unter vielen im Amerika des 20. Jahrhunderts, die "longing to tell" erzählt. Basierend auf der Vita einer Afroamerikanerin zeigt das irreführend als "blues opera" titulierte Stück einen Abstieg und das Platzen eines Traumes. Am Mittwochabend feierte das im Sommer uraufgeführte Werk im Rahmen des Wien Modern-Festivals Premiere - überraschenderweise. Denn stilistisch sticht das Werk aus dem sonstigen Programm heraus.

Hinter "longing to tell" steht einerseits der US-Musiker Tyshawn Sorey, der nicht nur die Musik komponiert hat, sondern auch am Schlagzeug gleichsam als Basso continuo den Abend leitet. Andererseits die Hip-Hopperin und Lyrikerin akua naru, die das Libretto nach dem gleichnamigen Interviewband von Tricia Rose verfasst hat, dem sie die reale Hauptfigur der Linda Rae entnommen hat, die von ihr selbst rezitiert wird.

17 Kapitel eines Abstiegs

In 17 Kapiteln wird eine Lebensgeschichte erzählt, die Pars pro Toto für viele afroamerikanische Frauen im 20. Jahrhundert steht. Es ist ein Leben, das bereits mit Missbrauch und Gewalt in der Familie beginnt, sich in früher Schwangerschaft und Drogenabsturz fortsetzt, in der Ermordung des kleinen Sohnes durch den Lebensgefährten und einer späten Totgeburt kulminiert und letztlich zwischen Prostitution, Drogensucht und Gewalt endet.

Diese Sturzfahrt auf den Abgrund zu erzählt "longing to tell" in einem kahlen, schwarzen Raum, der lediglich hie und da von Spotlights erhellt wird. Die Hamburger Kultformation Ensemble Resonanz, die bereits wiederholt mit akua naru kooperiert hat, ist in Streicherformation vertreten, während sich zu Tyshawn Sorey noch Piano, Gitarre und ein Multiinstrumentalist gesellen.

Und während akua naru bei ihrer Poetryperformance in atemberaubender Wandlungsfähigkeit von einer Sekunde auf die andere zwischen Verzweiflung, Freude und Drogenrausch wechselt, ergänzen sie drei Stimmen im Hintergrund. Journi Sings, Raymond Thompson und die herausragende Bluesstimme Monique B Thomas wechseln dabei zwischen kurzen Rollen als Nebenfiguren und dem Part eines kommentierenden Chores.

Eher Performanceprosa mit Musik als Oper

Aus diesem mosaikartigen Aufbau schält sich "longing to tell" weniger als Oper denn als Performanceprosa mit Musik. Jazzpassagen, Streicherteppiche zur Abfederung der Sprachperformance, Gospelelemente und Bluessongs geben sich die Hand. Die gesprochenen Passagen dienen gleichsam als Rezitative und wechseln sich mit Gesang und selten auch instrumentalen Sequenzen ab. Und bei der finalen Gospelapotheose mutiert dann selbst das Ensemble Resonanz zur Mitklatschgemeinde.

So entsteht ein durchaus berührender, unkonventioneller Abend, der eine möglicherweise klischeehafte und doch mutmaßlich äußerst reale Geschichte nahe bringt. Einzig die Entscheidung, die Rezitation eines langen Textes mit Südstaatenakzent und dem Slang der afroamerikanischen Community, der immer wieder von lauten Musikpassagen übertönt wird, ohne Übertitel zu zeigen, ist die grundfalsche.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "longing to tell. a blues opera" im Rahmen von Wien Modern im Museumsquartier, Halle E, 1070 Wien. Libretto: akua naru nach "Tricia Rose: Longing to Tell. Black Women Talk About Sexuality and Intimacy". Künstlerische Leitung und Rezitation: akua naru, Künstlerische Leitung und Schlagzeug: Tyshawn Sorey, Stimmen: Monique B Thomas, Journi Sings, Ray Thompson, dem Ensemble Resonanz u.a.. )

(APA)

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