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Anschlag in Wien: Heftige Kritik an Regierung

MEINL-REISINGER - BELAKOVITSCH-JENEWEIN - KICKL
MEINL-REISINGER - BELAKOVITSCH-JENEWEIN - KICKL ©APA/HERBERT NEUBAUER
Vizekanzler Werner Kogler hat sich unterdessen in der Nationalrats-Sondersitzung am Donnerstag für einen "Neustart" des BVT ausgesprochen.

Das österreichische Parlament ist am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Drei Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt gedachte der Nationalrat in einer Sondersitzung der Opfer.

Kogler für "Neustart" des BVT

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat sich in der Nationalratssondersitzung nach dem Terroranschlag in Wien für einen "Neustart" und eine "Neuausrichtung" des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ausgesprochen. "Es werden dort auch Missstände zu beseitigen sein", meinte Kogler. Die Tat müsse konsequent aufgeklärt werden, und man müsse aus Fehlern lernen.

"Es gibt gar nichts, was einen derartigen Anschlag rechtfertigen kann", betonte Kogler. Man werde konsequent, entschlossen und besonnen reagieren. Man müsse die Ereignisse umfassend aufklären, es gehe auch darum, "wenn Fehler passiert sind, zu lernen". Der Vizekanzler verwahrte sich aber auch gegen "voreilige Schuldzuweisungen". Es werde eine unabhängige Untersuchungskommission geben, man werde jene, die möglicherweise Fehler gemacht haben, identifizieren. Aus den Erkenntnissen sollen auch Konsequenzen gezogen werden, versicherte er.

Konkret nannte der Vizekanzler das BVT, aber auch die entsprechenden Landesämter. Es werde Maßnahmen und Ressourcen zur besseren Bekämpfung des Terrorismus brauchen, es brauche auch einen "Neustart" und eine "Neuausrichtung" des BVT. "Es werden dort auch Missstände zu beseitigen sein." Unter anderem sprach Kogler das Thema Informationsweitergabe an. Die Justiz hat ja offenbar vom BVT nicht erfahren, dass der Attentäter im Sommer versucht hatte, Munition in der Slowakei zu besorgen. Es brauche eine Terrorabwehr, die für eine umfassende Überwachung, aber auch für eine "klare und umgehende Informationsweitergabe" an Staatsanwaltschaft und Justiz sorge, forderte Kogler.

Das Gefühl, wenn man sich dieser Tage in der Innenstadt und der Nähe der Tatorte bewege, sei "beklemmend", befand Kogler. Dieses Gefühl werde wohl lange bleiben, ebenso wie die Gedanken an die Opfer. Dank und Anerkennung zollte Kogler den Einsatzkräften, die rasch und teils unter Einsatz ihres Lebens für Sicherheit und Versorgung der Opfer gesorgt hätten. Der Vizekanzler dankte auch jenen, die Zivilcourage und Zusammenhalt bewiesen hätten - darunter seien auch viele Menschen mit Migrationshintergrund gewesen, hob Kogler hervor.

Man dürfe sich nicht spalten lassen, das werde man nicht zulassen. Der Anschlag treffe das Land in einer Zeit, die ohnehin schon sehr belastend sei, meinte Kogler mit Verweis auf die Corona-Pandemie. Er sei aber zuversichtlich, dass man in einigen Monate zurückschauen werde und man sehen könne, dass man die Situation gemeinsam gut bewältigt habe. "Gemeinsam können wir das schaffen."

Zadic kritisiert Verfassungsschutz

Nach dem Terroranschlag in Wien kritisiert Justizministerin Alma Zadic (Grüne) den Verfassungsschutz, der informiert wurde, dass der Täter im Minution kaufen wollte und die Justiz darüber aber nicht informiert hat.

Scharfe Oppositionsangriffe gegen Regierung

Die Opposition hat die Sondersitzung des Nationalrats zum Terroranschlag in der Wiener Innenstadt zu scharfen Angriffen auf die Regierung, speziell auf Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) genutzt. SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner empfahl den beiden Verantwortung zu übernehmen statt diese abzuschieben. Der freiheitliche Fraktionschef Herbert Kickl nannte Nehammers Verhalten feig, NEOS-Obfrau jenes von Kurz wenig staatsmännisch.

Wien. Rendi-Wagner stieß sich vor allem daran, dass Spitzen der ÖVP versucht hatten, vermeintliche Fehler der Justiz in den Vordergrund zu rücken. Warum also werde in der Öffentlichkeit immer das Gemeinsame betont, wenn man dann das genaue Gegenteil tue, fragte sich die SPÖ-Vorsitzende.

Es gehe nicht um Vernebelung, Ablenkung und Plattitüden, es gehe auch um die Übernahme von Eigenverantwortung, empfahl sie den ÖVP-Ministern. Nun müssten die Vorgänge ehrlich aufgearbeitet werden mit dem Mut, auch Fehler einzugestehen. So sei zu hinterfragen, wie es passieren konnte, dass der Täter unbemerkt ein Kriegsgewehr beschaffen habe können und warum er nicht engmaschig kontrolliert worden sei, nachdem aus der Slowakei die Information gekommen war, dass der Mann dort Munition kaufen habe wollen.

Dort setzte auch Kickl an, indem er an Nehammer adressierte: "Was Sie Kommunikationsfehler nennen, ist das Todesurteil für vier unschuldige Menschen gewesen." An der Stelle des Innenministers wüsste er, was nun zu tun sei, legte er Nehammer einen Rücktritt ans Herzen. In seinem Haus habe es ein furchtbares Versagen gegeben: "Dieser islamistische Anschlag hätte verhindert werden könne."

Dass ein Mitglied einer terroristischen Organisation überhaupt vorzeitig entlassen und auf die Bevölkerung "losgelassen" werden konnte, ist für den FP-Klubchef Schuld von "verantwortungslosen Weltverbesserern und Fantasten." Wenn der Kanzler nun heute von falscher Toleranz rede, dann sei das eine einzige Selbstanklage. Was es jetzt brauche, sei unter anderem ein Verbotsgesetz gegen den politischen Islam.

Die Angriffe der ÖVP auf die Justiz fand NEOS-Klubobfrau Meinl-Reisinger "schäbig". Denn es gab ja im Bereich des Innenministeriums, konkret im BVT, massive Fehler. Die aufzudecken brauche es nun eben eine Untersuchungskommission, in die aber bis hin zur Vorsitzwahl die Opposition eingebunden werden müsse.

Meinl-Reisinger warnte auch indirekt vor überschießenden Maßnahmen als Folge des Terrorakts: "Die liberale Gesellschaftsordnung darf nicht aufgegeben werden. Sonst hätten die gewonnen." Die Errungenschaften von Aufklärung und Säkularität gelte es zu verteidigen und zwar mit den Mitteln des Rechtsstaats. "Wir können den Abend nicht ungeschehen machen und wir können auch nur bedingt Angst und Schrecken vom Tisch wischen, wir können aber zeigen, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen und keinen Millimeter weichen", meinte die NEOS-Chefin.

Noch wisse man viel zu wenig über die Hintergründe des Anschlags und auch noch nicht mit Sicherheit, ob er verhindert werden hätte können, sagte die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Warum der Mann nicht ausreichend vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, müsse schonungslos aufgeklärt werden.

Dazu gebe es die vom Innenminister angekündigte Untersuchungskommission. Man werde sich auch der Frage widmen müssen, ob unsere Systeme gut genug aufgestellt sind - das "auf Basis der demokratischen Grundrechte." Hass und Terror seien der Versuch zu spalten. Es sei ein Angriff auf Vielfalt, Toleranz, Respekt und Gleichheit aller Menschen gewesen. Ermutigend sei, dass jetzt der Zusammenhalt so viel stärker als der Hass sei.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger forderte, jegliche Art von Extremismus den Boden zu entziehen: "Wehret den Anfängen", meinte der Fraktionschef auch mit Blick auf Verwüstungen in katholischen Kirchen. Die islamistischen Täter schilderte Wöginger als krank: "Dieser Krankheit müssen wir entschieden entgegentreten."

Polizei und Justiz müssten dazu effektive Mittel in die Hand gegeben werden. Das BVT müsse wieder schlagkräftiger werden, um jeden Extremismus zu bekämpfen. Es sei nicht die Zeit, rund um die Sicherheitsbehörde Sündenböcke zu suchen.

(APA)

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