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Liechtenstein spricht von deutschem "Angriff"

Die deutsche Jagd nach Steuerhinterziehern hat in Liechtenstein Empörung ausgelöst und die Debatte um Steueroasen in Europa angeheizt.

“Es ist ein vollkommen überrissener Angriff gestartet worden gegen Liechtenstein”, sagte das amtierende Staatsoberhaupt des Landes, Erbprinz Alois, am Dienstag in Vaduz.

“Es ist sicher eine Krise, wenn man von diesem Großstaat so angeschossen wird”, sagte er einen Tag vor dem Besuch des Regierungschefs Otmar Hasler bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Das Vorgehen gegen Verdächtige, die über Stiftungen in Liechtenstein Steuern hinterzogen haben sollen, zeige eine neue Strategie der Steuereintreibung.

Das US-Wirtschaftsblatt “Wall Street Journal” hat nach eigenen Angaben den angeblichen Beschaffer der CD mit brisanten Steuerdaten aus Liechtenstein identifiziert, die der deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) übernommen und den Steuerbehörden weitergegeben hat. Der ehemalige Angestellte der Bank LTG befinde sich heute vermutlich in Australien, schreibt das US-Blatt. Einer der Autoren des Artikels, David Crawford, sagte zudem am Dienstag bei “N24”, auch die US-Behörden hätten Daten gekauft und arbeiteten seit einigen Monaten damit.

Der angebliche Informant habe seine Informationen in den vergangenen 18 Monaten mehreren Ländern angeboten. Anfang dieses Jahrzehnts sei der heute etwa 50-Jährige in Liechtenstein in Betrugsermittlungen verwickelt gewesen. Dabei habe er versucht, die Ermittler mit dem Hinweis zu erpressen, dass er brisantes Material an die Öffentlichkeit bringen könne. Damals glaubten die Liechtensteiner Behörden, der Mann sei nur “ausgerastet” und habe die gestohlenen Daten zurückgegeben. Er sei verurteilt und dann freigelassen worden. Dann verlor sich der Vaduzer Behörden-Kontakt zu ihm.

Die EU-Finanzminister wollen auf ihrer nächsten Sitzung das Thema “Steuerflucht” besprechen. Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) kritisierte Liechtenstein weiter als unkooperativ. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International warf Liechtenstein Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor und forderte Konsequenzen. Die Razzien gegen Hinterzieher in Deutschland liefen unterdessen weiter: Unter anderem wurden die Dresdner Bank in München und die Berenberg Bank in Hamburg durchsucht.

Ob der deutschen BND bei den Ermittlungen in Liechtenstein auch auf Gelder aus Österreich gestoßen ist, ist nach wie vor unklar. “Wir warten weiter, was die Ermittlungen in Deutschland ergeben werden. Dann sehen wir weiter”, bekräftigte ein Sprecher des Finanzministeriums in Wien am Dienstag auf APA-Anfrage.

Das liechtensteinische Staatsoberhaupt Erbprinz Alois nannte es in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz äußerst fragwürdig, dass die Ermittler auf Daten zurückgriffen, die der BND für einen Millionenbetrag von einem Unbekannten kaufte: “Offensichtlich will man in großem Stil Hehlerei betreiben.” Dem Staatsoberhaupt zufolge handelt es sich um einen Mann, der vor einigen Jahren des Daten-Diebstahls überführt und mit Gefängnis bestraft wurde. Offenbar habe er aber eine Kopie der Daten gehabt, die nun an die deutschen Behörden verkauft wurden. Zwei Berliner Rechtsanwälte zeigten am Dienstag Regierung und BND an. Steuergelder dürften nicht dafür verwendet werden, Straftaten zu bezahlen, sagte Anwalt Ferdinand von Schirach.

Auch Erbprinz Alois nannte es fragwürdig, wenn ein Staat Daten unter Bruch der Gesetze eines befreundeten Staates und wahrscheinlich auch unter Bruch seiner eigenen beschafft. “Offensichtlich hat die deutsche Regierung immer noch nicht verstanden, wie man mit befreundeten Staaten umgeht, die eine direkte Demokratie kennen.” Das Fürstentum prüft jetzt rechtliche Schritte. Die Staatsanwaltschaft in Vaduz hat bereits “ein Verfahren gegen unbekannte Täter” eingeleitet. Sobald der Ermittlungsbericht vorliege, werde “die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob zur lückenlosen Aufklärung des Sachverhalts auch ein Rechtshilfeersuchen an Deutschland zu stellen ist”, sagte Justizminister und Vizeregierungschef Klaus Tschütscher.

Liechtenstein ist das sechstkleinste Land der Welt. Der Anteil der Finanzdienstleistungen am Bruttoinlandsproduktes (BIP) des Fürstentums beträgt 30 Prozent, den Löwenanteil daran erwirtschaften die Banken.

Der Chef der SPD, Kurt Beck, wertete die Vorwürfe aus Liechtenstein als “Ausdruck eines berechtigten schlechten Gewissens”. Er rief das Fürstentum auf, sich “so zu benehmen, wie es für gesittete Staaten” angemessen sei. “Alles andere ist schlicht daneben”, so Beck. Das deutsche Finanzministerium verwahrte sich ebenfalls gegen die Vorwürfe: “Es gibt keinen Angriff auf Liechtenstein. Es gibt einen Angriff auf deutsche Kriminelle”, sagte ein Sprecher.

Der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker kündigte an, die Finanzminister der EU würden sich beim nächsten Treffen Anfang März mit der Steuerflucht beschäftigen. Mit Blick auf Liechtenstein sagte Juncker, der auch Vorsitzender Euro-Finanzminister ist: “Dass es noch Schlupflöcher gibt, ist unverkennbar.” Es gebe allerdings auch Fortschritte in Liechtenstein, dort gehe es seriöser zu als früher. Und: er betonte: “Nicht Liechtenstein ist der Steuersünder, sondern die Steuersünder haben die deutsche Staatsbürgerschaft.”

Liechtenstein macht jetzt mit einer schon länger geplanten Reform seines Stiftungsrechts ernst. Die Regierung in Vaduz hat am Dienstag die seit einem Jahr in Begutachtung befindlichen Reform endgültig abgesegnet. Details wollte Justizminister Tschütscher erst am Mittwoch vorlegen. Laut bisherigem Entwurf soll zumindest der kleine Teil der gemeinnützigen Stiftungen künftig anmeldepflichtig werden und die Kontrolle zur liechtensteinischen Finanzmarktaufsicht wandern. Außerdem sollen auch die Möglichkeiten der Treuhänderschaft nun etwas eingeschränkt werden.

Schätzungen gehen laut “Neuer Züricher Zeitung” (Dienstag-Ausgabe) davon aus, dass etwa zwei Drittel der liechtensteinischen Gesellschaften in den Stiftungsbereich gehören, was über 50.000 Stiftungen entsprechen würde, und dass im liechtensteinischen Gesellschaftswesen zwischen 200 bis 300 Mrd. Franken (124 bis 186 Mrd. Euro) Kapital investiert ist.

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