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Leitl:"Maul nicht zu weit aufreißen"

Der Umgang mit der Wirtschaftskrise führt zu Spannungen zwischen Deutschland und Österreich: Aus dem Nachbarland heißt es nicht nur, Wien drohe wegen des Ostrisikos gar der Staatsbankrott.

Berlin zeigt auch wenig Verständnis für den Ruf von Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) nach einer verstärkten Unterstützung für die mittel- und osteuropäischen Länder. Im „VN”-Interview reagiert Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl heftig. Das Ostrisiko sei überschaubar, meint er. Und „die Deutschen sollen zuerst einmal Ordnung machen im eigenen Haus. Die Deutschen waren vor zwei Jahren noch als Budgetsünder auf der schwarzen Liste der EU. Die sollen das Maul nicht zu weit aufreißen.”

Die Steuerreform, die der Nationalrat heute beschließt, ist laut Leitl indes ausreichend: „Wir gehen stufenweise vor. Es hat keinen Sinn, jetzt mit Katastrophenszenarien zu arbeiten; das bringt niemandem etwas.”

Die Steuerreform wird nach Ostern spürbar: Allein die Änderungen im Bereich der Lohn- und Einkommenssteuer bringen Arbeitnehmern bis zu 112,50 Euro mehr Geld pro Monat.

Die Steuerreform wird rückwirkend mit dem 1. Jänner 2009 in Kraft treten. Entlastungen, die seither zustande gekommen sind, werden voraussichtlich im Mai auf einmal ausbezahlt.

Interview:

VN: Herr Präsident, der Nationalrat beschließt heute die Steuerreform; angesichts der Wirtschaftskrise kann das doch nur ein erster Schritt sein, oder?

 

Christoph Leitl: Wir gehen stufenweise vor. Es hat keinen Sinn, jetzt mit Katastrophenszenarien zu arbeiten; das nützt niemandem etwas. Wir wissen, dass es einige Branchen gibt, wie wirklich massiv betroffen sind, können andererseits aber feststellen, dass es Bereiche gibt, die durchaus stabil sind. Gerade in schwierigen Zeiten kann es beispielsweise eine Chance für den Tourismus in Vorarlberg sein, wenn nicht mehr so viele Fernreisen gemacht werden.

 

VN: Sind Sie so optimistisch, dass Sie sagen, ohne weitere Steuerreformen und Konjunkturpakete kommt es schon bald zum Aufschwung?

Ich kann nicht sagen, wann es zum Aufschwung kommt. Das hängt in erster Linie davon ab, wie sich die Finanzwirtschaft weiterentwickelt. Ich bin derzeit aber wahrscheinlich der ungeduldigste Mensch in diesem Land, weil mir alles viel zu langsam geht: Ich verstehe nicht, dass konjunkturbelebende Maßnahmen wie die thermische Sanierung, die die Regierung vor einem halben Jahr angekündigt hat, noch immer nicht in Schwung gekommen sind. Ich verstehe nicht, dass Genehmigungsverfahren für baureife Projekte nicht schneller abgewickelt werden. Ich habe manchmal den Eindruck, dass man sich das für die übernächste Krise aufhebt.

 

VN: Schneller geht‘s bei den Sparmaßnahmen. Ist es überhaupt klug, auf die Wirtschaftskrise auch mit Sparpaketen zu antworten?

Der Finanzminister muss diesen Kurs fahren: Die Geier lauern und die Rating-Agenturen beurteilen Österreich schon ein einem abträglichen Licht.

 

VN: Internationale Medien erwähnen Österreich aufgrund des Ostrisikos bereits in einem Satz mit der Ukraine, Rumänien und Griechenland.

Was ist das Ostrisiko? Das Ostrisiko ist, dass unsere Banken dort vernünftige Projekte gemacht haben; dass sie Einlagen aus diesen Ländern haben, die das eingegangene Obligo (Verpflichtungen; Anm.) zu einem guten Teil abdecken.

 

VN: Die 290 Milliarden Euro an Krediten sind nicht faul, wie unterstellt wird?

Ich wüsste nicht, wo unsere Banken faule Kredite gegeben haben. Sie haben Investitionen finanziert, die sie vorher geprüft haben, mit Geldern, die sie vorher in diesen Ländern aufgenommen haben.

 

VN: Und Sie haben deswegen keine unruhigen Nächte?

Nein, überhaupt nicht.

 

VN: Laut FAZ und „Spiegel” droht Österreich wegen des Ostrisikos der Bankrott.

Die Deutschen sollen zuerst einmal Ordnung im eigenen Haus machen. Die Deutschen waren vor zwei Jahren noch als Budgetsünder auf der schwarzen Liste der EU. Die sollen das Maul nicht zu weit aufreißen. Und der Herr Steinbrück (deutscher Finanzminister; Anm.) wird noch einsehen, dass es sich um eingesamteuropäisches Anliegen handelt: entweder ist Europa eine Solidargemeinschaft oder es ist eine Ansammlung von Egoisten; dann werden wir nicht weiterkommen. Finanzminister Pröll liegt zu 100 Prozent richtig, wenn er sagt, dass es ein gesamteuropäisches Anliegen ist, dass wir die (mittel- und osteuropäischen) Länder, die rasch gewachsen sind, unterstützen. Es ist ja nicht so, dass wir armen Brüdern etwas schenken müssen; diese Länder liefern, wenn man sich die Handelsbilanz anschaut, 60 Milliarden Euro mehr in den Westen als sie importieren.

 

 

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