Köhlmeiers ungleiche Freunde Chaplin und Churchill: "Zwei Herren am Strand"

Dass Michael Köhlmeier Episches nicht scheut, hat er bereits in Mammutromanen wie “Abendland” oder seinen Nacherzählungen der Sagen des Klassischen Altertums, von Shakespeare-Dramen oder Bibel-Geschichten hinreichend unter Beweis gestellt.
Am Anfang steht ein Spaziergang
Für “Zwei Herren am Strand” hat der Vorarlberger Autor sich an zwei der größten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gemacht: Charlie Chaplin und Winston Churchill. Deren Freundschaft trotz aller Verschiedenheiten rund um das verbindende Element der Depression steht im Zentrum seines neuen Romans.
Charlie Chaplin, bekanntlich einer der einflussreichsten Komiker, Schauspieler und Filmproduzenten seiner Zeit, trifft 1927 bei einer Party in Santa Monica auf Winston Churchill, den bedeutenden Staatsmann, der während des Zweiten Weltkriegs britischer Premierminister sein würde. So der Auftakt von “Zwei Herren am Strand”. Gemeinsam machen sich die beiden ungleichen Männer – Chaplin stammte aus bescheidenen Verhältnissen, Churchill aus einer angesehenen britischen Familie – an einen Strand-Spaziergang, dem viele weitere folgen sollen, und aus dem eine besondere Freundschaft entsteht.
Kampf gegen den “Schwarzen Hund” Depression
Denn in der Erzählung Köhlmeiers stellen Chaplin und Churchill fest, dass sie Mitglieder einer Art Club sind, dem man nicht unbedingt angehören möchte: Beide leiden unter Depressionen und tragen sich zuweilen mit Selbstmordgedanken. In Anlehnung an ein Zitat des Schriftstellers Samuel Johnson sprechen sie hinsichtlich ihrer Anfälle von Depression bzw. Melancholie von einem “Schwarzen Hund”, dem es zu widerstehen gilt und der jeden der beiden immer wieder heimsucht.
Chaplin und Churchill werden im Zuge des Romans Leidensgenossen und Verbündete im Kampf gegen die Depression, die wie eine weitere Protagonistin deren gemeinsamen Weg stillschweigend mitgeht, und sich immer wieder unangenehm bemerkbar macht. Sie geben einander das Versprechen, “dass, wann immer einer Hilfe benötigt, der andere, wo immer auf der Welt er ist, alles liegen und stehen lässt und kommt”. Und dieser Pakt hält und wird im Zuge des Romans immer wieder eingelöst.
Die Methode des Clowns
Ihre “talk-walks”, zu denen sie sich im Abstand von Jahren immer wieder treffen, werden eine Art der Therapie. Was gegen die Depression ebenfalls helfen soll, ist dem Komiker zufolge die “Methode des Clowns” nach Buster Keaton: Man schreibe sich selbst einen überdimensionalen Brief, indem man sich bäuchlings nackt auf einen riesengroßen Bogen Papier auf den Fußboden lege und das Blatt spiralförmig von außen nach innen mit Text fülle.
Mit einem Stift könne man auf diese Art “ausholen gegen die Bestie und zuschlagen”, denn, so erläutert Chaplin: “Gegen den Gedanken, ich könnte verrückt sein, hilft nur, etwas Verrücktes zu tun.”
Köhlmeiers Strategien gegen Depression
Politische Zusammenhänge und geschichtlich bedeutsame Ereignisse des 20. Jahrhunderts wie der sich anbahnende Zweiten Weltkrieg sind in “Zwei Herren am Strand” zwar wichtige Kulisse, aber weniger Hauptthema. Generell kann man das Buch als eine Art Anleitung zum Umgang mit Depression lesen – auch für Angehörige.
Bis zur Erschöpfung Spazierengehen solle man mit von Depression Betroffenen, wie Köhlmeier erläutert. Laut vor sich hinreden, was man gerade tut, um den Leidenden auf die Realität aufmerksam zu machen, empfiehlt sich ebenfalls. Den Depressiven auf andere Gedanken bringen, indem man sich Mühe gibt, komisch zu wirken, Dritte in seiner Gegenwart anlügen, den Leidenden damit zum Komplizen machen, sich gaunerhaft geben – all das soll helfen, den “Schwarzen Hund” im Zaum zu halten. Zumindest empfiehlt dies ein Psychologe im Roman für den Umgang mit Winston Churchill – und hat damit Erfolg.
“Zwei Herren am Strand”
Fazit: “Zwei Herren am Strand” erzählt die anekdotenreiche Geschichte zweier Männer und zweier Kämpfe, wobei Köhlmeier die Grenzen zwischen belegter Überlieferung und freier Ausschmückung mit der gewohnten Freude am Fabulieren gerne verwischt. Gekämpft wird von Chaplin und Churchill gegen die Depression und gegen Hitler – “der eine mit Lachen, der andere mit Krieg”. Und das Ergebnis ist absolut lesenswert.
Michael Köhlmeier: „Zwei Herren am Strand“. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2014. 256 S., gebunden, 18,40€.
(DHE)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.