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„Kann schon auch provozieren“

Mit nicht einmal 18 Jahren verlor Leonie ihren Vater Gerold Hirn
Mit nicht einmal 18 Jahren verlor Leonie ihren Vater Gerold Hirn ©SAMS - Wann und Wo
Nach dem Tod ihres Vaters Gerold Hirn hat Leonie Hirn mit nur 21 Jahren die Leitung der Galerie Sechzig übernommen. Mit W&W sprach sie über Verlust, Provokation und Briefe an H.C. Strache.

WANN & WO: Vor fast exakt vier Jahren hatten wir deinen Vater genau hier, auf diesen Sesseln, interviewt. Damals hat er gesagt, dass in der Vorarlberger Künstlervereinigung „Arschlöcher und Flachwichser“ mit von der Partie seien. Haben wir jetzt im Interview mit dir eine ähnliche Wortwahl zu erwarten?

Leonie Hirn: Ich denke nicht (lacht). Mein Vater hat jahrzehntelange Erfahrungen in der Vorarlberger Kunstszene gesammelt. Aber ich möchte da nicht unbedingt anknüpfen, sondern meine eigenen Erfahrungen, gemeinsam mit meinem Freund Calvin, mit dem ich die Galerie Sechzig in diesem Jahr wiedereröffnet habe, sammeln. Natürlich, man kennt immer angenehmere und weniger angenehme Leute, aber das ist nicht unbedingt ein Vorarlberger Phänomen, sondern überall so.

WANN & WO: Dein Vater war gleichzeitig Galerist und Jurist. Wenn du schon in seine Fußstapfen trittst, wieso dann Kunst und nicht Jus?

Leonie Hirn: Meine Eltern haben mir immer freigestellt, was ich mache, solange ich die Schule beende. Die Kunst war aber für mich tatsächlich schon immer das Einzige, was mich interessiert hat und infrage kam. So bin ich zum Kunstgeschichte-Studium gekommen. Das mit der Galerie hat sich dann eigentlich aus sehr vielen positiven Zufällen ergeben.

WANN & WO: Aus Zufällen?

Leonie Hirn: Es war ursprünglich nicht geplant, dass ich in meinem Alter, mit 21 Jahren, schon mit meinem Freund gemeinsam die Galerie leite. Ich weiß auch nicht, ob ich das ihn zum jetzigen Zeitpunkt schon schaffen würde. Es ist einfach eine sehr große Aufgabe und als Team ist man natürlich stärker. Uns war es auch sehr wichtig, dass die Räume nach dem Tod meines Vaters nicht leerstehen. So haben wir dann zuerst für das Palais Liechtenstein Ausstellungen in der Galerie Sechzig kuratiert. Irgendwann war dann klar, dass wir das einfach selber machen wollen, von vorn bis hinten: Selber organisieren, kuratieren, finanzieren und alles, was dazu gehört. So hat sich das ergeben. Da gab es auch nie Druck von meinen Eltern, auch wenn es meine Mutter jetzt natürlich sehr freut und sie uns unterstützt.

WANN & WO: Du und dein Freund, ihr studiert beide noch. Das Modul „Wie führt man eine Galerie“ gibt es da aber sicher nicht. Wo nehmt ihr das Know-How her?

Leonie Hirn: Nein, vor allem nicht in Innsbruck. Aber das ist eigentlich ganz schön, dass ich an der Uni das Theoretische, Geschichtliche lerne und hier die praktischen Erfahrungen sammeln kann, die sonst Studenten in meinem Alter nicht sammeln können, selbst wenn sie für eine Galerie arbeiten. Wir machen hier wirklich alles selbst und das ist schon eine große Berufserfahrung.

WANN & WO: Die Galerie ist 30 Jahre alt und damit fast zehn Jahre älter als du. Wie ist das, ein so großes Erbe anzutreten?

Leonie Hirn: Schön. Ich schätze das extrem, auch dass mir meine Eltern in so jungen Jahren schon diese Leidenschaft für die Kunst in die Wiege gelegt haben. Dadurch, dass mein eigenes Interesse daran so stark ausgeprägt ist, bin ich umso glücklicher, dass ich die Chance, die Galerie weiterzuführen.

WANN & WO: Wie wurde diese Leidenschaft schon als Kind geweckt? Du wirst ja keinen Picasso neben dir in die Wiege gelegt bekommen haben.

Leonie Hirn: Nein, nein (lacht). Noch bevor ich schreiben gelernt habe, habe ich schon mit meinem Vater zusammen im Atelier gemalt. Mir hat man als Kind einen Buntstift in die Hand gedrückt und ich war ruhig für ein paar Stunden. Wir sind auch immer sehr viel gereist, das war meinen Eltern wichtig. Dort sind wir dann teils von einem Museum ins nächste gerannt. Als Jugendliche hat mich das schon manchmal genervt: Da ist man schon das erste Mal in New York und dann fährt man mit dem Taxi vom Guggenheim ins MoMA und wieder zurück und schaut sich jede Ausstellung an. Aber das prägt natürlich alles, auch wenn es in dem Moment anstrengend sein kann. Und jetzt bin ich selber so, dass ich im Urlaub von einer Ausstellung in die nächste renne.

WANN & WO: Wie ist das heute, bist du künstlerisch selbst aktiv?

Leonie Hirn: Nein, das ist leider verloren gegangen. Ab und zu beruhigt es mich, zu zeichnen, aber ich habe absolut kein Talent dafür. Ich male noch genau gleich wie mit sechs Jahren. Was das angeht, ist es so ein bisschen, als wäre ich in der Volksschule stehen geblieben (lacht).

WANN & WO: Dein Vater hat gern provoziert. Bist du selbst auch auf Krawall gebürstet oder eher der umgängliche Typ?

Leonie Hirn: Ich kann schon provozieren und habe das durchaus im Blut. Vielleicht nicht im gleichen Ausmaß wie mein Vater. Der war schon sehr einzigartig, was das betrifft. Aber persönlich bin ich lieber gutgestellt mit allen. Mein Vater hat ja auch nicht aus dem Nichts provoziert, er hatte schon seine Gründe. In dem Buch „Hirnsprünge“ hat er Geschichten aufgewühlt, die ihn lange beschäftigt hatten. Das verstehe ich. Er hatte auch mit Anklagen gerechnet und als er keine bekommen hat, hat ihn das schon geärgert – typisch Gerold Hirn (lacht). In dem Sinne komme ich schon nach dem Papa, aber in der entschärften Variante durch die Mischung mit der Mama.

WANN & WO: Du hast deinen Vater leider sehr früh verloren. Wie das war, braucht man freilich nicht zu fragen. Aber was hat es im Nach-hinein mit dir gemacht?

Leonie Hirn: Ich bin auf jeden Fall schneller erwachsen geworden. Bis zu seinem Tod steckte ich noch mitten in der Pubertät, damit war dann plötzlich Schluss. Man wächst an so etwas. Er spielt immer noch eine sehr große Rolle in unserem Leben, aber man muss weitermachen. Und ich glaube, ihm würde das extrem gut gefallen, dass ich mit Calvin einen Freund gefunden habe, der mich anspornt, dieser Leidenschaft nachzugehen und die Galerie mit mir anpackt.

WANN & WO: Die Galerie neben dem Studium, das ist sicher nicht gerade ein entspannter 9-to-5-Job.

Leonie Hirn: Nein, überhaupt nicht. Vor diesem Interview hier hatte ich sogar noch eine Prüfung an der Uni in Innsbruck, das hieß also direkt von der Prüfung ins Auto und nach Feldkirch. Und am Wochenende steht die Art Bodensee an. Aber die Rückmeldungen sind bisher sehr positiv. Die Leute aus unserem Umfeld unterstützen uns sehr und auch andere finden es toll, dass wir das in unserem Alter machen. Wir zeigen ja auch eher Kunst, die sonst nicht hier zu finden ist. Wir haben zwar auch Vorarlberger Künstler, aber das ist nicht unser Schwerpunkt. Der liegt auf Kunst, die hier zwar unbekannt, international aber anerkannt ist.

WANN & WO: Wie sind die weiteren Pläne für die Galerie?

Leonie Hirn: Es gibt ja viele Galerien, die ihre zehn, 15 Künstler haben, die sie immer wieder ausstellen und teilweise sogar unter Vertrag nehmen. Wir zeigen aber Künstler, die uns gefallen, mit Schwerpunkt auf junge zeitgenössische Kunst. International, nicht nur national und regional. Wir könnten uns vorstellen, dass wir in Richtung typische Programmgalerie gehen. Aber wir werden auf jeden Fall auch immer Künstler dazuholen und kein fixes Programm haben. Uns ist auch wichtig, Kunst nur zu zeigen, weil sie uns gefällt und nicht etwa, weil wir mit dem Künstler befreundet sind. Solche Anfragen gibt es schon auch mal. Da muss man aufpassen, dass man dann nicht in so eine Vetternwirtschaftsschiene rutscht.

WANN & WO: Apropos Vetternwirtschaft: Dein Vater hatte sich auch politisch klar positioniert, gerade in dem angesprochenen Interview vor vier Jahren. Darin hat er H.C. Strache als „Arsch“ bezeichnet und gesagt, man müsse, falls er mal Bundeskanzler wird, auswandern.

Leonie Hirn: Der Satz könnte genauso auch von mir kommen – oder ich hätte sogar noch schlimmer formuliert (lacht). Ich habe sogar mit 15 oder 16 Jahren mal einen Brief an Herrn Strache geschrieben. Wenn ich mich richtig erinnere, war das zur Zeit der großen Flüchtlingswelle. Mein Vater sagte dann, bevor ich den Brief abschicke solle ich besser eine Nacht darüber schlafen. Das habe ich getan und ich habe ihn dann tatsächlich nicht abgeschickt – er war sehr emotional. Aber ich stehe vollkommen hinter der Aussage von meinem Vater – und hätte wahrscheinlich noch schärfer formuliert. Wenn ich an das Ibiza-Video denke, da frage ich mich, wie blöd man eigentlich sein kann.

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