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Kammerspiel in Tirol: Allzu klug konstruierte Dorftragödie

"Verschwinden in Lawinen" zeigte eine zerrissene Dorfgemeinschaft
"Verschwinden in Lawinen" zeigte eine zerrissene Dorfgemeinschaft ©APA/TIROLER LANDESTHEATER
Das Theaterstück "Verschwinden in Lawinen" nach dem Roman von Robert Prosser hat Freitagabend in der Regie von Mira Stadler in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters in Innsbruck seine Premiere und Uraufführung gefeiert. Das Stück zeigte vor ruralen Bühnenbauten eine gespaltene Dorfgesellschaft, deren Risse nach einem tragischen Lawinenabgang sichtbar wurden. Klug konstruiert mit vielen Kunstgriffen, war das Werk aber zu kopflastig, um zu berühren oder mitzureißen.

Dem Stück war nämlich sein Ursprung in einem sehr sprach- und formgetriebenen Romantext in jeder Sekunde anzumerken. Das versuchten Prosser und Stadler auch erst gar nicht zu kaschieren, ganz im Gegenteil: Als ersten Zugriff auf die Romanvorlage erklomm Prosser - noch ganz Autor und noch ohne Rolle - die Bühne, begrüßte das Publikum und begann aus seinem Roman zu lesen. Sodann entspann sich bald, fast unmerklich und ohne klare Trennung von Lesung und Theater, auch schon das Stück, mit ersten Schlagzeugeinwürfen des langjährigen Prosser-Kollaborateurs Lan Sticker.

Das Theaterstück als Erweiterung eines Duo-Settings

Dass das die Anfänge einer möglichen späteren Bühnenfassung waren, wurde damit klar aufs Tapet gebracht. Denn der gebürtige Alpbacher Prosser gibt selten Lesungen im klassischen Sinne, sondern trägt seine Texte meist frei und stakkatohaft vor, zerlegt seine Textkonstruktionen und baut sie zudem gerne gemeinsam mit Sticker im Schlagzeug-Wort-Duo neu zusammen. Diese Passagen gab es schließlich auch in der Theaterfassung, die sich damit gewissermaßen als Erweiterung des Duo-Settings begreifen ließe.

Schritt für Schritt wurde das Stück - je nach Perspektive - mehr und zugleich auch weniger, besser und schlechter als diese Fassung, die es schon auf den Bühnen des Landes zu erleben gab. Bühnenbauten spielten baldigst eine wichtige Rolle, den Figuren wurden Sprechrollen außerhalb des einstigen Romantextes zugewiesen und auch die Geschichte um den tragischen Lawinenabgang, bei dem Xavers Nichte, Tina und Noah, ihr Freund, verschüttet wurden, nahm zögerlich Fahrt auf. Dazwischen eingewoben: Auf den ersten Blick nicht als Rückblenden erkennbare Passagen über den Großvater des Protagonisten Xaver, der einst ebenfalls in den Bergen verunglückte. Weitere Rollen: Der Wunderheiler und Einsiedler Mathoi oben in den Bergen, eine alkoholkranke Mutter sowie ganz viel Lokalkolorit, den gelernte Tirolerinnen und Tiroler aus dem Effeff kennen.

Bühnenwerk blieb zu stark Entwurf und bloße Idee

Damit war alles angerichtet, gekonnt unterstützt mit Sounds und treibendem Schlagzeugspiel von Sticker, mit eindrucksvollen Spoken-Word-Einlassungen von Prosser, mit stimmungsvollen Wirtshaussettings und sogar einem Sessellift, der die touristisch geprägte Nicht-Idylle des Landlebens plastisch auf die Bühne brachte und symbolisierte. Nur: Das mit lediglich 80 Minuten ohnehin knapp bemessene Stück mochte nicht recht abheben. Es blieb zu viel Konstrukt mit zu wenig Leben, zu viel Entwurf und bloße kühne Idee mit dann doch zu wenig psychologischem Tiefgang.

Das dem Text hinzugefügte - also Bauten, Rollen und konkrete Figuren - schadete diesem eher, als es ihm half. Den Figuren fehlte zum Teil echte Emotionalität, manche Gefühlsregung war so in aller Kürze auf der Bühne dargelegt nur schwer nachvollziehbar. Am Ende blieben zwar größtenteils sehr gute Schauspielleistungen - allen voran von Florian Granzner als Xaver und Sara Nunius als seine Mutter Anna - doch stellenweise zerfiel der Text regelrecht auf der Bühne, blieb Fragment und wusste keinen wirklichen erzählerischen Sog aufzubauen.

Das Premierenpublikum in den ausverkauften Kammerspielen des Landestheaters im "Haus der Musik" reagierte schließlich wohlwollend, aber mitunter auch leicht verhalten. Allzu laute Beifallsbekundungen blieben insgesamt aus, der Autor Prosser und die Darsteller Granzner und Nunius wurden aber heftig beklatscht.

(Von Markus Stegmayr/APA)

(S E R V I C E: "Verschwinden in Lawinen" von Robert Prosser. Regie: Mira Stadler, Komposition und Sound: Lan Sticker, Bühne: Jenny Schleif, Kostüme: Monika Lechner. Mit: Florian Granzner (Xaver), Laetitia Toursarkissian (Marlen), Sara Nunius (Anna), Stefan Riedl (Großvater und Bergretter), Patrick Ljuboja (Flo und Wirtshausgast), Ulrike Lasta (Wirtin und Hamburgerin), Robert Prosser (Autor und Mathoi), Nevio Markt (Noah), Lan Sticker (Schlagzeuger). Weitere Vorstellungen: 25. und 28. September, 4., 17., 25., und 31. Oktober, 5., 14., 22., 26., 28., November, 3. Dezember. )

(APA)

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