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"Jungen lassen es knallen"

Wie bekommen wir unsere Jungen durch die Pubertät.
Wie bekommen wir unsere Jungen durch die Pubertät. ©Symbolfoto: Bilderbox
Bregenz - Der Blog von Christine Flatz-Posch - aus der Reihe "Wertvolle Kinder" des Vorarlberger Kinderdorfes -  befasst sich mit pubertierenden Jungs.

Wie bringen wir unsere Buben gut durch die Pubertät?

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Würden Sie unsere Nerven nicht so strapazieren, könnte man nach dem Vortrag des Pädagogen und Therapeuten Reinhard Winter in der Reihe „Wertvolle Kinder“ geradezu Mitleid mit ihnen haben: Pubertierende Jungen verwandeln sich angesichts eines enormen Testosteron-Überschusses und einer „Gehirn-Erweichung“ nämlich nahezu in Zombies. „Über weite Strecken befinden sich Buben in der Pubertät in einem Zustand, der durchaus mit Unzurechnungsfähigkeit vergleichbar ist“, so Winter im bis zum letzten Platz besetzten ORF-Landesstudio. „Milliarden von Nervenverbindungen und weite Teile des Gehirns lösen sich auf, v. a. jene, wo Vernunft und Moral angesiedelt sind.“

Pubertät ist keine Krankheit

Zudem setze der pubertätsbedingte Testosteron-Schub Impulse in Richtung Aktivität, Position und Status. „Unbändige Kräfte werden freigesetzt, die die Jugendlichen mental noch nicht richtig im Griff haben, das Geltungsbedürfnis steigt, Gefahren werden ausgeblendet.“ Aus dieser brisanten Kombination ließen sich auch „völlig verblödete und durchaus riskante Aktionen“ erklären. Die „Pubertiere“, wie der Autor und Journalist Jan Weiler sie nennt, bräuchten in dieser Phase vor allem eines: Eltern, die mit liebevoller Gelassenheit Halt und Orientierung geben. „Pubertät ist keine Krankheit, kein Tor zur Kriminalität und nicht das Ende der Elternschaft“, erklärte der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen, der auch auf eigene jahrelange Erfahrungen als „Schwerst-Betroffener“ mit einem heute 19-jährigen Sohn referenzierte.

Loslassen unabdingbar

Es helfe auch, die Unterschiede in der Kommunikation von Mädchen und Buben zu beachten. „Jungen kommunizieren weniger und unpersönlicher. Sie sind nach außen orientiertet, fallen auf und lassen es knallen, sind aber auch ehrlich und fair.“ Pubertät setze bei Buben zwar in der Regel ein bis zwei Jahre später ein als bei Mädels – im Durchschnitt mit 14, 15 –, „dümple“ jedoch meist davor schon länger vor sich. Eltern sollten nicht auf den „Initialknall“ warten, sondern genau hinschauen und bereit sein, ihre Söhne los- und ziehen zu lassen und damit auch ein Stück Elternidentität aufzugeben.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Was bis dahin im Blick des Heranwachsenden durchaus schon differenziert wahrgenommen wurde, kann in der Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein wieder ins Klischeehafte kippen. „Die Bilder werden schwarzweiß und plakative Kernbotschaften aktuell, etwa dass Männer stark, mutig und leistungsfähig sein und auf alles eine Antwort wissen müssen.“ Da darf man/frau sich nicht wundern, wenn das Geschirrspüler-Einräumen plötzlich „Frauensache“ ist oder der weibliche Schiri am Fußballplatz „an den Herd gehört“ – nicht wundern, aber doch prompt und pointiert reagieren. „Solche Aussagen dürfen natürlich nicht im Raum stehen gelassen werden“, stellte Winter klar.

Jungs brauchen gute Autorität

In diesem Zusammenhang lernen Jungs früh, dass es „Führer“ und „Gefolgschaft“ gibt. „Sie prüfen, ob Eltern es wert sind, dass man ihnen folgt“, erläuterte der Experte. „Jungen brauchen gute Autorität. Sie haben ein Grundbedürfnis, geführt und gehalten zu werden.“ Dafür müssten Eltern ihren Führungsanspruch markieren und in ihren Ansprüchen klar sein. Eine gehörige Portion Gelassenheit und die Fähigkeit, „auch mal wildere Aktionen auszuhalten“ sei unabdingbar, aber genauso das Setzen von Grenzen, wenn der mufflige, maulfaule Sohn mal wieder über die Stränge schlägt.

Klare Ansagen bei Grenzüberschreitungen

„Wenn unser Sohn am Mittag heimkommt, wirft er uns wüste Kraftausdrücke an den Kopf. Sollen wir hier gelassen reagieren?“, fragte eine Frau aus dem Publikum. „Innerlich können Sie sehr wohl gelassen bleiben, aber Sie müssen auf jeden Fall intervenieren“, so die Antwort des Pädagogen. „Bei Grenzüberschreitungen braucht es klare Ansagen und Konsequenzen.“

Und ansonsten?

Halbherzigkeiten vermeiden, präsent sein und Kontakt halten, Interesse zeigen, die Zeit vor Playstation, auf Facebook & Co begrenzen (Alter dividiert durch 10 ergibt Stundenzahl pro Tag), nach Provokationen dreimal durchatmen, einmal am Tag gemeinsam essen, und vor allem: Ruhe bewahren. „Nehmen Sie’s gelassen“, so der abschließende Ratschlag des Experten. „Es geht in den allermeisten Fällen gut!“

Zur Autorin:
Die ehemalige Journalistin Christine Flatz-Posch ist selbst Mutter von zwei Kindern und beim Vorarlberger Kinderdorf für PR und Medien zuständig. Sie studierte zudem an der Fern-Universität Hagen Soziologie und Psychologie.

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Der Beitrag stammt aus der VOKI-Serie “Wertvolle Kinder”

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