Das Leben des früheren Straßenkämpfers, Frankfurter Spontis, Grünen-Abgeordneten und Außenministers verknüpft Regisseur Pepe Danquart mit der deutschen Nachkriegsgeschichte und den politischen Kämpfen der 68er-Bewegung. Wegweiser, Kommentator und Interpret der Jahrzehnte linker Politik ist in einer Person: JoschkaFischer. Auch der Regisseur verlässt niemals die Perspektive des Bewunderers und Verehrers. Zwar kommen in 140 Filmminuten auch politische Weggefährten des Politikers und des Regisseurs zu Wort, doch ergänzen sie nur Fischers Selbstbildnis, stellen es aber nicht infrage.
Technisch ist das Werk aufwendig inszeniert. Regisseur Danquart projiziert Sequenzen aus Fischers Leben auf mannshohe, transparente Glaswände, die in einem alten Berliner Heizkraftwerk stehen. Die Zuschauer sehen den doppelten Fischer, ständig umkreist von der Kamera: auf der Glasfläche der junge Revoluzzer, davor der behäbige Staatsmann im hellblauen Hemd und dunklen Anzug, der in der Gegenwart den eigenen Kampf der Vergangenheit kommentiert.
Dazwischen schneidet Danquart, der schon Radprofis und Extrem-Kletterer porträtierte (“Höllentour”, “Am Limit”), die bekannten Archivbilder aus der Nachkriegszeit, vom Mauerbau und Vietnamkrieg bis zur Umweltbewegung der 80er Jahre. Die Beatles singen von “Helter Skelter”, Jimi Hendrix malträtiert seine Gitarre, Rudi Dutschke ruft zur Revolution auf.
Durch die Jahrzehnte ziehen sich auch die zentralen Themen in Fischers Leben: Aufstieg und Kampf. Im muffigen Schwaben wehrt sich der Bub aus einer Vertriebenen-Familie gegen die Missachtung und wächst daran. “Es ist das Gefühl, du gehörst nicht dazu. Das hat mir eine gewisse Freiheit gegeben.” In den 60ern geht es gegen die brutale Frankfurter Polizei und die Gesellschaft, als Politiker schließlich gegen die CDU und innerparteiliche Widersacher bei den Grünen.
Das nächtliche Taxifahren in Frankfurt/Main führt bei Fischer zum Rückzug aus den Kreisen der linksradikalen und gewalttätigen Szene, die den Boden für den späteren Terrorismus bereitete. “Diese ganze Buntheit des Lebens hat mich zum Realisten gemacht”, erinnert er sich angesichts der Großstadtlichter. “Ich habe gemerkt, dass das Großartige und Hundsgemeine in jedem Menschen ganz nah zusammen liegt.”
Die begleitenden Interviews mit Zeitzeugen gestaltet Regisseur Danquart als nostalgische Reise zu den Ursprüngen der Linken. Eine ältere Atomkraftgegnerin lässt sich im einstmals besetzten Wald befragen, ein einstiger Flughafen-Gegner baut inzwischen selber Flughäfen und die Schauspielerin Katharina Thalbach darf als Alibi-Ostlerin ihre Thesen über linke Utopien in der DDR vortragen.
Amüsiert erinnert sich Fischers alter Freund Daniel Cohn-Bendit an sein Übersiedeln nach Deutschland und die verkniffenen und humorfreien Genossen vom Sozialistischen Studentenbund SDS: “Ich kam aus Frankreich. In Frankreich essen alle Austern und ich wollte hier auch Austern essen. Beim SDS war man nur entsetzt.”
In seltenen Momenten gesteht auch Fischer ein, dass in seiner Erfolgsgeschichte einiges schief lief. “Der Druck war enorm”, sagt er über seine ersten Jahre als Umweltminister in Hessen Mitte der 80er: “Ich habe alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.” Meist überwiegt jedoch der Stolz auf das eigene Leben, etwa in einem der emotionalsten Momente des Films, der leidenschaftlichen Parteitagsrede des Außenministers für einen Bundeswehreinsatz in Ex-Jugoslawien gegen den dortigen Völkermord.
Regisseur Danquart räumt ein, dass er kein kritisches Porträt drehen wollte: “Für mich ist das die außergewöhnlichste Biografie, die ich kenne.” Der frühere Frankfurter Apo-Aktivist und Theater-Gründer Johnny Klinke fasst es knapp zusammen: “Ja, das waren die frühen 70er Jahre: Das Leben war ein Genuss.” Für Fischer galt das sicher auch für andere Jahrzehnte.
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