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Japan schickt Krisen-Kommando

Allmähliches Abkühlen oder Kernschmelze: Japan will mit einem Krisen-Kommando aus Technikern, Feuerwehrleuten und Soldaten die Kontrolle über die vier beschädigten Reaktoren in Fukushima zurückgewinnen.
Mit Wasserwerfern bespritzten Soldaten am Freitag erneut den mit hoch giftigem Plutonium bestückten Reaktor 3. So sollen die erhitzten Brennstäbe gekühlt werden. Eine erste Notstromleitung in das AKW steht. Damit sollen die Kühlkreisläufe in Gang gebracht werden. Ob das gelingen kann, ist wegen der gewaltigen Zerstörungen in der Anlage ungewiss. In den Notquartieren der Erdbebenopfer ist die Lage weiter dramatisch.

Die Notbesatzung der Atomanlage, in den Medien als “Fukushima 50” bezeichnet, hat inzwischen neue Unterstützung von außen. Mehr als 120 Männer seien an dem strahlenden Wrack im Einsatz, darunter auch Spezialisten anderer Atomkonzerne, sagte ein Sprecher der Betreibergesellschaft Tepco am Freitag. Japanische Medien berichteten, es seien rund 140 Feuerwehrleute auf dem Weg zum Kraftwerk, um die dort operierenden Militärs zu unterstützen. Dank der jüngsten Einsätze sei die Strahlung leicht zurückgegangen, teilte der AKW-Betreiber Tepco am Freitag mit.

Ungeachtet dessen stuften die japanischen Behörden die Gefährlichkeit des Störfalls im Atomkraftwerk Fukushima hoch. Die Havarie wurde von der Stufe 4 auf die Stufe 5 der internationalen Bewertungsskala Ines eingeordnet, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo. Die Skala bewertet Stufe 4 als einen “Unfall mit lokalen Konsequenzen”, Stufe 5 als “Unfall mit weitreichenden Konsequenzen”. Die höchste Stufe 7 wurde bisher nur einmal erreicht – bei der Nuklearkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl.

Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA kritisierte die bisherige Informationspolitik Japans zum Fukushima-Drama. Japans Ministerpräsident Naoto Kan sicherte IAEA-Chef Yukiya Amano bei einem Treffen in Tokio zu, die internationale Öffentlichkeit besser über die Entwicklungen zu informieren. Aus dem AKW entwich am Freitag weiter radioaktiver Dampf, wie Regierungssprecher Yukio Edano sagte.

Mitarbeiter der IAEA sind erstmals auf dem Weg zum Unglücksmeiler, um sich persönlich ein Bild vom Ausmaß der Schäden zu machen. Sie sollen auch selbst die radioaktive Strahlung messen. Über das Ausmaß der Strahlung hatte es in den vergangenen Tagen häufig widersprüchliche Angaben von japanischer Seite gegeben. Es gab Kritik etwa aus den USA, dass Japan die Gefahren für die Menschen in der Region unterschätzt.

Meteorologen gaben für den Großraum Tokio mit etwa 35 Millionen Menschen zunächst weiter Entwarnung. Bis zum Wochenende wehe der Wind weiter aus Westen und damit vom AKW auf den Pazifik hinaus. Allerdings soll der Wind am Montag wieder Richtung Süden und damit auf Tokio drehen.

Am schlimmsten ist die Situation weiterhin an den Blöcken 3 und 4. Dort sollen die Wasserwerfer vorrangig zum Einsatz kommen.

Der AKW-Betreiber Tepco hofft, die Reaktoren 1 und 2 am Samstag mit Strom versorgen zu können. Das berichtete der Sender NHK. Es gab keine Hinweise darauf, dass die Reaktorblöcke wie am Donnerstag auch aus der Luft bewässert werden sollen. Hubschrauber hatten Wasser abgeworfen. Allerdings ließen Fernsehbilder auf eine eher geringe Trefferwahrscheinlichkeit schließen.

Für Sonntag sei auch ein Anschluss der Reaktoren 3 und 4 an das Stromnetz geplant, teilte ein Sprecher der japanischen Atomsicherheitsbehörde NISA am Freitagmorgen mit. Über den Zustand der Technik in den teilweise völlig zerstörten Reaktorhallen gab es keine genauen Angaben.

In Block 3 ist das giftige Plutonium in den Brennelementen enthalten, in Block 4 droht das Abklingbecken voll abgebrannter Brennstäbe zu überhitzen und todbringende Strahlung freizusetzen. Gute Nachrichten gab es aus den weitgehend unversehrten Blöcken 5 und 6. Dort sei die Notstromversorgung hergestellt worden, teilte Tepco mit. Wenn die Atomanlage insgesamt besser gekühlt wird, hoffen Experten auf ein allmähliches Abklingen der größten Gefahr.

Die Folgen von Erdbeben und Wasserwalze, die steigende Atom-Gefahr und Eiseskälte setzen den Überlebenden der Dreifach-Katastrophe immer heftiger zu. NHK zufolge sind mindestens 25 Flüchtlinge schon gestorben. Sie seien meist alt und total entkräftet gewesen – womöglich wären sie ohne den Kälteeinbruch noch am Leben.

Bei dem Erdbeben und dem Tsunami im Nordosten Japans sind mehr Menschen ums Leben gekommen als bei dem Beben in der japanischen Hafenstadt Kobe im Jahr 1995. Nach neuesten Angaben stieg die Zahl der Toten auf 6.539, berichtete der japanische Fernsehsender NHK unter Berufung auf die Polizei.

Es wird allerdings befürchtet, dass noch weit mehr Menschen der Katastrophe zum Opfer fielen. Bei dem Beben im Raum Kobe starben 6.434 Menschen. Nach dem Großbeben vor etwa einer Woche mit der Stärke 9,0 werden weiter mehr als 9.000 Menschen vermisst. Es gilt als praktisch ausgeschlossen, dass jetzt noch Opfer lebend aus den Trümmern geborgen werden.

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