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Irak vor der Zerreißprobe

Schlimmer als der libanesische Bürgerkrieg (1975-90) sei das Morden im Irak, stellt Kofi Annan fest. Den meisten Irakern gehe es heute schlechter als unter Saddam Hussein.

Für viele Iraker ist das Ergebnis von Annans Analyse nicht überraschend. Ihr Kommentar: Die Erkenntnis kommt leider zu spät.

„Der Ruf nach einer internationalen Konferenz ist ein Zeichen dafür, dass das Gewissen der Staatengemeinschaft erwacht ist, wenn auch mit Verspätung“, erklärt der Vorsitzende der sunnitischen Nationalen Dialog-Front, Saleh al-Mutlak. Der Politiker, der die kleinere der beiden Sunniten-Fraktionen im Parlament leitet, gehört zu den Befürwortern eines raschen Abzugs der US-Truppen. Dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki wirft er Unfähigkeit vor. Das Schulterklopfen von US-Präsident George W. Bush für Maliki in der vergangenen Woche ist aus seiner Sicht das falsche Signal gewesen.

Als Mann, der in der Luft hängt und an dessen Füßen und Händen vier Gestalten reißen, stellt ein arabischer Karikaturist den Irak im vierten Jahr nach dem US-Einmarsch dar. Wer da in welche Richtung zieht, ist zwar nicht zu erkennen, doch sind viele Iraker überzeugt, dass ein Großteil der täglichen Gewalt in ihren Städten das Ergebnis ausländischer Einmischung ist. Als Schuldige machen die Iraker dabei je nach Konfessionsgruppe und Ideologie vor allem die USA©und Großbritannien, den Iran und Syrien aus, in eingeschränktem Ausmaß auch die Türkei und Saudi-Arabien.

Eine Schlüsselfigur in dem blutigen Konflikt ist Abdulaziz al-Hakim, Vorsitzender des pro-iranischen „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ (SCIRI), der stärksten religiösen Schiitenpartei. Der Politiker, der stets in den Gewändern eines Geistlichen auftritt, hat zwar in der religiösen Hierarchie keine hohe Position inne. Er leitet jedoch die mächtigste Partei der irakischen Regierungskoalition, die mit den Badr-Brigaden über eine teilweise im Iran ausgebildete schlagkräftige Miliz verfügt.

Das dürfte auch der Grund sein, weshalb er bei US-Präsident George W. Bush einen Gesprächstermin erhielt. Denn inzwischen gibt es einige amerikanische Experten, die meinen, wer zuerst die sunnitischen Aufständischen entwaffnen wolle, zäume das Pferd von hinten auf. Erst müssten die schiitischen Todesschwadronen ausgeschaltet werden, auf die Hakim und der radikale Schiiten-Prediger Muktada al-Sadr Einfluss haben. Für die Sunniten ist Hakim auch wegen seiner engen Beziehungen zu Teheran ein rotes Tuch. Mutlak behauptet gar, Hakim wolle, „dass der Iran den Irak regiert“.

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