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Irak: Gewaltwelle reißt nicht ab

Im Irak ist drei Wochen vor den Wahlen ein weiterer Politiker ermordet worden. In Khalis erschossen Aufständische einen Funktionär der pro-iranischen Schiiten-Partei "Oberster Rat der Islamischen Revolution im Irak".

Das bestätigte die Polizei in der Provinzhauptstadt Bakuba. Die Angreifer hatten an einer Tankstelle aus einem vorbeifahrenden Auto das Feuer auf den Politiker eröffnet, dessen Name zunächst nicht bekannt gegeben wurde. Nach einer von den US-Behörden durchgeführten Umfrage würden 90 Prozent der irakischen Sunniten die Wahlen boykottieren.

SCIRI-Chef Abdelaziz al-Hakim wäre nach Umfrageergebnissen der sichere Sieger bei Präsidentenwahlen und würde dem Übergangs-Premier Iyad Allawi eine Niederlage zufügen. Hakim ist der Bruder und Nachfolger von Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim, welcher 2003 bei einem verheerenden Bombenanschlag in der Pilgerstadt Najaf mit annähernd 120 weiteren Menschen ums Leben kam. Die irakische Bevölkerung ist mehrheitlich schiitisch. Am Donnerstag war der SCIRI-Sitz in Mussaib, 60 Kilometer südlich von Bagdad, überfallen worden. Dabei wurden zwei Menschen getötet und drei weitere verletzt.

In Mossul im Nordirak war am Mittwoch ein wichtiger sunnitischer Politiker ermordet worden. Die Leiche von Omar Mahmud Abdullah, einem der Führer der Irakischen Islam-Partei, wurde in einem östlichen Vorort gefunden. Im Dezember hatte die Islam-Partei, die als wichtigste Partei der Sunniten angesehen wird, beschlossen, die von der Übergangsregierung in Bagdad durchgeführten Wahlen zu boykottieren.

Aufständische haben unterdessen innerhalb weniger Stunden neun US-Soldaten getötet. Allein bei einem Anschlag in Bagdad seien am Donnerstagabend sieben US-Soldaten getötet worden, teilte eine Armeesprecherin mit. Zwei weitere US-Soldaten kamen nach Armeeangaben in der Anbar-Provinz westlich von Bagdad ums Leben. Die sieben Soldaten seien in einem Schützenpanzer vom Typ Bradley auf einer Straße unterwegs gewesen, als neben dem Fahrzeug ein Sprengsatz explodiert sei und die gesamte Besatzung in den Tod gerissen habe, sagte die Sprecherin.

Neun von zehn Sunniten würden nicht an den für den 30. Jänner geplanten Parlamentswahlen teilnehmen, sollten Aufständische mit Angriffen auf die Wahllokale drohen. Das ist das am Freitag bekannt gewordene Ergebnis einer von den US-Behörden durchgeführten Umfrage, das bisher nicht veröffentlicht worden ist. Von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit würden demnach 38 Prozent aus Sicherheitsgründen von der Möglichkeit der Stimmabgabe Abstand nehmen. Lediglich zwölf Prozent der befragten Sunniten – gegenüber 52 Prozent der Schiiten – glauben an „freie und faire“ Parlamentswahlen. Nach Angaben der Wahlkommission sind 14 bis 15 Millionen Iraker wahlberechtigt, davon eine Million im Ausland. In rund 6000 Wahllokalen sollen 240.000 Wahlbeauftragte und -helfer zum Einsatz kommen. Aufständische, die die Abstimmung wegen der US-Militärpräsenz als nicht legitim erachten, haben vor allem in den sunnitischen Kerngebieten und Teilen der Hauptstadt Bagdad ihre Anschläge und Terrorakte gegen die Infrastruktur des Wahlprozesses verstärkt. Bisher fielen sieben Wahlbeamte Anschlägen zum Opfer.

Unter dem Eindruck der unkontrollierten Sicherheitslage im Irak hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld laut einem Pressebericht einen ehemaligen General mit der Überprüfung der Militärstrategie beauftragt. Wie die „New York Times“ (NYT) am Freitag berichtete, soll der pensionierte General Gary E. Luck herausfinden, wie die irakischen Soldaten und Polizisten – die Hauptzielscheiben der Aufständischen – am besten ausgebildet werden könnten. Der Sonderbeauftragte werde dabei Zugang zu allen Bereichen des Irak-Einsatzes bekommen, berichtete das Blatt unter Berufung auf Pentagon-Vertreter.

Die wichtigsten kurdischen Parteien in der ölreichen Stadt Kirkuk haben am Freitag die Rücknahme eines angekündigten Wahlboykotts bekannt gegeben. Man habe mit der zentralen Wahlkommission in Bagdad eine befriedigende Lösung gefunden, um das Wahlrecht jener Kurden zu sichern, die unter dem Regime des früheren Machthabers Saddam Hussein vertrieben worden waren und inzwischen zurückgekehrt sind. Das sagte der Vertreter der Kurden-Partei PUK (Patriotische Union Kurdistans) von Jalal Talabani, Adnan al-Mufti, am Freitag in Kirkuk. Zurückgekehrte Kurden können sich nun am Wahltag nachträglich registrieren lassen und anschließend ihre Stimme abgeben, fügte der PUK-Funktionär hinzu.

Ex-US-Sicherheitsberater Scowcroft erwartet Bürgerkrieg im Irak

Der frühere US-Sicherheitsberater Brent Scowcroft hat starke Zweifel daran, dass die für den 30. Jänner geplanten Wahlen dem Irak Stabilität bringen. Er sei im Laufe der Zeit pessimistisch über die Zukunftsaussichten für das Land geworden, zitierte die Zeitung „Washington Post“ am Freitag Scowcroft, der unter Präsident George Bush, dem Vater des jetzigen Amtsinhabers, im Weißen Haus diente.

„Anstatt ein viel versprechender Wendepunkt zu werden, bergen die irakischen Wahlen großes Potenzial zur Vertiefung des Konflikts“, sagte Scowcroft. Er erwarte, dass sich die Gräben zwischen Sunniten und Schiiten nach dem 30. Jänner noch vertieften und ein Bürgerkrieg das Land erschüttern werde. Die beste Chance, den Irak vom Chaos zu befreien, läge in einer Übergabe der US-Operation an die NATO oder die Vereinten Nationen, denen die Iraker nicht so feindselig gegenüber stünden wie den Amerikanern.

Irakische Prediger fordern Boykott oder Verschiebung der Wahlen

Prediger in den irakischen Moscheen haben am Freitag einen Boykott oder eine Verschiebung der für den 30. Jänner geplanten Wahlen gefordert. Der radikale Schiitenführer Moqtada al-Sadr sprach sich in seiner von einem Stellvertreter verlesenen Predigt in der Al-Mohsen-Moschee im Bagdader Stadtteil Sadr City erneut dafür aus, nicht wählen zu gehen. Der Urnengang sei wegen der zu erwartenden Nichtteilnahme vieler Sunniten „illegal“ und „undemokratisch“. Sadr rief die Schiiten zugleich zur Einigkeit mit den sunnitischen Landsleuten auf. „Lasst Euch nicht von gottverdammten Grüppchen spalten“, sagte er.

Auch der sunnitische Geistliche Scheich Mahmud al-Sumaydai warnte vor einer Teilung des Landes. „Sorgt dafür, dass der Islam unser Banner ist, und nicht das Schiitentum, das Sunnitenum oder der Salafismus“, sagte er vor den Gläubigen in der Um-al-Qura-Moschee in Bagdad. Der Würdenträger forderte eine Verschiebung der Wahlen. Unter den jetzigen Bedingungen könnten diese nicht frei sein. Wegen der anhaltend schlechten Sicherheitslage vor allem in den von Sunniten bewohnten Gebieten hatten zahlreiche Geistliche und Parteien dieser Glaubensrichtung eine Verschiebung der Wahlen gefordert.

Auch am Freitag gab es im Norden Iraks wieder Kämpfe, bei denen acht Iraker starben. Zwei Soldaten seien bei Gefechten in Samarra 125 Kilometer nördlich von Bagdad getötet worden, sagte ein Offizier der irakischen Armee. Ein Arzt des örtlichen Krankenhauses sagte, ein Zivilist sei tot in das Hospital eingeliefert worden. Nahe Duluiya kamen laut irakischer Armee zwei Soldaten und ein Rebell bei Kämpfen ums Leben. Bei weiteren Vorfällen starben ein weiterer Zivilist und ein irakischer Dolmetscher der US-Armee.

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