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Irak: Ex-Häftling klagt auf Entschädigung

Ob er der Mann war auf dem Foto, das die Welt schockierte, weiß er nicht. Möglich wäre es. Ali el Shalal erzählt, was ihm als Häftling im berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad im Irak zugestoßen ist.

Einen Umhang und eine Kapuze stülpten ihm die US-Soldaten über, dann musste er sich auf eine Kiste stellen. An seinem Körper wurden Stromkabel befestigt – genau wie bei jenem unbekannten Iraker in Abu Ghraib, dessen Bild vor einem Jahr um die Welt ging und auf den Titelseiten politischer Magazine im Westen gedruckt wurde. Dieses und andere Bilder aus dem Inneren des Gefängnisses lösten einen Skandal aus. Für Shalal, das Opfer, waren die Erlebnisse ein Wendepunkt: Er kämpft nun um Gerechtigkeit für die Opfer.

Der 42 Jahre alte Iraker gründete eine Häftlingsvereinigung und reichte mit anderen eine zivile Gruppenklage vor einem US-Gericht ein. Sie wollen Schadenersatz von den US-Sicherheitsfirmen CACI International und Titan Corp, deren Übersetzer bei den Misshandlungen dabei gewesen und an ihnen beteiligt gewesen sein sollen. „Seit ich im Jänner 2004 freikam, hatte ich keinen frohen Tag“, berichtet Shalal. „Der Alptraum, den ich durchgemacht habe, hängt mir nach. Noch schlimmer ist es, die Gerichtsverfahren der Folterer zu sehen, ohne dass eines der Opfer Gerechtigkeit verlangen kann.“

Shalal findet, dass die bisherigen Urteile gegen die Verantwortlichen des Skandals zu milde ausgefallen sind. Ein Untersuchungsausschuss des US-Verteidigungsministeriums sprach den ehemaligen Oberbefehlshaber im Irak, Ricardo Sanchez, und drei weitere ranghohe Offiziere von jeglicher Verantwortung frei. Die wegen des Folterskandals bereits von ihrem Kommando über die Militärpolizei entbundene Brigadegeneralin Janis Karpinski wurde kürzlich zum Oberst der Reserve herabgestuft, zudem wurden einige niederrangige Soldaten verurteilt.

Der ehemalige Gefangene Schalal hat bereits zehn Ex-Häftlinge in die jordanische Hauptstadt Amman mitgenommen, wo sich die Gruppe mit US-Anwälten traf. In der Klage wird die US-Regierung als Mitverantwortliche benannt. Die in Philadelphia ansässige Anwältin Susan Burke sagt, bislang hätten sich 120 irakische Exgefangene der Klage angeschlossen. Sie will Gerechtigkeit für die Opfer – und vor allem Aufklärung. „Wir müssen wissen, wie dies geschehen konnte. Die Welt muss es wissen“, sagt sie.

Mit Schrecken erinnert sich Shalal an den Tag seiner Festnahme. Am 13. Oktober 2003 sei er an einem Parkplatz nahe einer Moschee im Bagdader Stadtteil Amariyah festgenommen worden. Tags darauf sei er nach Abu Ghraib gebracht und mit anderen Häftlingen in einem Zelt untergebracht worden. Gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf wurde er später in eine Zelle im Innenbereich verlegt – in die „Hölle“, wie er es nennt. „Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte Koalitionsgruppen angegriffen. Ich habe ihnen gesagt: Schaut euch meine Hand an, wie soll ich jemanden angreifen?“ Shalals Hand ist seit einem Schusswaffenunfall verstümmelt.

Was Shalal dann erzählt, lässt ihn schaudern. Soldaten hätten eine Pistole an seinen Kopf und seine Genitalien gehalten und mit Exekution gedroht. Er wurde an das Gitter seiner Zelle gefesselt, während aus einem Lautsprecher neben ihm der Disko-Song „By the Rivers of Babylon“ von der Pop-Gruppe Boney M dröhnte. Eines nachts sei er geweckt worden, er musste sich den Umhang überziehen, die Drähte wurden an ihm befestigt, Strom wurde hindurchgeleitet. Bei dritten Stromstoß sei er umgefallen und konnte nicht wieder aufstehen. „Meine Gebiss zuckte, ich schmeckte Blut in meinem Mund, weil ich mir auf die Zunge gebissen habe.“

Dass die Soldaten Fotos von ihm schossen, bekam Shalal manchmal mit. „Sie fotografierten mich, als ich gerade nackt war. Ich murmelte Koranverse und wünschte, ich würde sterben.“ Heute ist er der Überzeugung, dass die Bilder bei aller Demütigung auch einen guten Zweck hatten: „Sie haben die Skeptiker von der Wirklichkeit überzeugt. Vorher haben uns viele Leute nicht geglaubt.“

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