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Irak: Aus der Sicht von Bloggern

Im Zeitalter des Bloggens ist es uns möglich, Informationen in allen Formen der Erzählung zu finden. Junge Leute schreiben (auf Englisch) und geben somit der Welt Einblick in die Ansichten normaler irakischer Bürger.

Seyad ist 27 Jahre alt und arbeitet als Zahnarzt in einer Regierungsklinik. Die Behandlungssessel dort sind kaputt, Betäubungsmittel gibt es nicht. Zu Hause, wenn in der Nachbarschaft Schüsse zu hören sind und sich seine Familie verschanzt und betet, sitzt der 27-Jährige am Rechner und schreibt. Seyad ist ein Blogger.

Blogs geben dem normalen Iraker eine Stimme – eine Chance, laut über die Veränderungen im Land nachzudenken. Für die Außenwelt bieten die anonymen Internetpostings Einblick in das Leben im Irak, in dem Trauer und Freude, Hoffnung und Verzweiflung, Angst und Trotz einander abwechseln. Und in dem Gewalt und konfessionelle Teilung an der Tagesordnung sind.

„Der Westen sollte dem einfachen Iraker zuhören. Doch er hört nur auf Analysten und Politiker“, sagt Seyad. Aus Angst um seine Sicherheit will er seinen Nachnamen nicht nennen. Seyad hat seinen ersten Eintrag in seinem „Healing Iraq“ genannten Blog (zu deutsch:
Den Irak heilen) im Oktober 2003 geschrieben, Thema war die neue irakische Währung. Seither schreibt er regelmäßig seine Gedanken über das Leben im neuen Irak auf.

Seyad sagt von sich selbst, er sei Agnostiker. Seine Familie hängt der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an. Seyad war wütend, als der damalige Inneminister 2003 verkündete, dass jeder, der während des islamischen Fastenmonats Ramadan in der Öffentlichkeit isst, mit drei Tagen Gefängnis und einer Geldstrafe bestraft werden sollte. „Am liebsten hätte ich jemanden umgebracht, als ich das las“, schreibt Seyad. „Von wegen freies Land!“

In späteren Postings spricht er davon, dass er wegen des zunehmenden Einflusses moslemischer Geistlicher Angst um die Freiheit im Irak habe. „Ich will mir Wodka kaufen können, ohne mich umsehen zu müssen. Ich will mit meiner Freundin Hand in Hand gehen können, ohne dass die Leute uns anstarren. Ist das zu viel verlangt? Muss ich mein Land verlassen, weil ich all das will?“

Doch manchmal berichtet er in seinen Blogs auch voller Stolz und Freude über die Ereignisse in seinem Land. Zum Beispiel, als die Iraker im Jänner 2005 in großer Zahl zur Wahl gingen. „Erinnere dich, dass du ein Iraker bist“, schrieb Seyad an diesem Tag. „Meine Mutter brach in Tränen aus, als sie die Bilder aus dem ganzen Land sah. Ich hoffe sehr, dass dieser kleine Schritt der Anfang ist für viel größere.“

In der letzten Zeit ging es bei ihm um Grausames: Explosionen, Hinrichtungen, Straßenkämpfe. „Bitte fragt mich nicht, ob der Irak am Rande eines Bürgerkriegs steht“, schreibt Seyad. „Alles, was ich sehe, ist, dass beide Seiten mit Rache beschäftigt sind.“

Auch wenn in seinem Land derzeit Gewalt zum Alltag gehört – Seyad weiß, dass er unter dem Regime von Saddam Hussein nicht von einem Blog zu träumen gewagt hätte. Ganz zu schweigen davon, die Regierung öffentlich zu kritisieren.

Genau wie der 27-jährige Zahnarzt sind die meisten irakischen Blogger jung und gebildet. Und sie schreiben auf Englisch. Sie beschäftigen sich oft mit denselben Ereignissen, doch ihre Meinungen sind unterschiedlich, häufig auch den Konfessionen entsprechend pro-sunnitisch oder pro-schiitisch.

So hat der dritte Jahrestag der Irak-Invasion bei den Bloggern unterschiedliche Gefühle hervorgerufen. Der Blogger „The Mesopotamian“ beklagt zwar die Gewalt im Irak, lobt aber den Krieg, durch den Saddam verdrängt wurde. „Das Blut und die Opfer der amerikanischen Soldaten werden nie in Vergessenheit geraten“, schreibt er dankbar. „Es war richtig, gerecht und von Gott gewollt, dass der Mörder und Tyrann gestürzt wurde.“

Die Bloggerin „Riverbend“ ist da anderer Meinung: Sie schreibt in ihrem „Baghdad Burning“-Blog, dass „der Krieg die Unabhängigkeit des Iraks beendet hat“.

Die Texte von „Riverbend“ – oft kritisch, aber auch humorvoll – haben die Aufmerksamkeit auf irakische Blogger gelenkt. Einige ihrer Einträge sind in einem Buch veröffentlicht, dass in den USA und in Großbritannien erschienen ist. Und sie schreibt noch immer über die ganz alltäglichen Sorgen Nöte im Irak. „Was mir derzeit am meisten Sorgen macht: Dass sich die Diskriminierung aufgrund von Konfessionen so stark ausgebreitet hat“, stellte sie kürzlich fest. „Der irakische Traum ist mittlerweile, einen sicheren Hafen im Ausland zu finden.“

http://healingiraq.blogspot.com

http://messopotamian.blogspot.com

http://riverbendblog.blogspot.com

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