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Elif Dagli, Vorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) Vorarlberg, spricht mit VOL.AT über Corona in der muslimischen Community.
Elif Dagli, Vorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) Vorarlberg, spricht mit VOL.AT über Corona in der muslimischen Community. ©Reuters, handout/Dagli

Impfen im Islam? Corona in Zeiten des Ramadans

Gerade Muslime oder Menschen mit Migrationshintergrund werden gerne als Sündenböcke dargestellt, wenn es um die Einhaltung von Covid-Maßnahmen oder Impfbereitschaft geht. VOL.AT sprach mit Elif Dagli, Vorsitzende der islamischen Religionsgemeinde, und dem Land Vorarlberg über das heiß diskutierte Thema.

Wie hoch ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die mit Corona auf Intensivstationen liegen? Diese Debatte sorgte in den vergangenen Tagen für teils heftige Debatten, wie VOL.AT berichtete.

"Nach den uns derzeit vorliegenden Informationen ist festzustellen, dass Personen mit Migrationshintergrund über das Testen und Impfen im Zusammenhang mit der herrschenden COVID-19-Pandemie durch fundierte Informationen des Landes Vorarlberg und der Systempartner gut Bescheid wissen und sich auch entsprechend daran beteiligen. Besondere Auffälligkeiten hinsichtlich dieser Personengruppe sind in Bezug auf das Infektionsgeschehen nicht festzustellen", informiert Thomas Mair von der Landespressestelle auf VOL.AT-Anfrage.

Impfkampagne für Menschen mit Migrationshintergrund

Das Überwinden von sprachlichen Barrieren, gerade bei elementaren Themen wie Corona- oder Impfinformationen, werde im Rahmen der Kampagne "Wir wollen…" berücksichtigt: Es gebe Sujets  u.a. in folgenden Sprachen: serbo-kroatisch und Türkisch um auch diese in Vorarlberg lebenden Bevölkerungsgruppen über die Möglichkeit der Impfung zu informieren und sie zur Teilnahme an der Impfung zu motivieren. Neben Inseraten in den einschlägigen Medien und in den Social Media Kanälen werde es auch Testimonials von Personen mit Migrationshintergrund und auch Informationen an sog. Touchpoints (z.B. Lebensmittelläden) geben. Besonders heftig diskutiert wurde im Vorjahr die Frage, inwiefern Reiserückkehrer in Herkunftsländer für steigende Infektionszahlen verantwortlich sein könnten. "Die Verhandlungen zum 'Grünen Pass' sind im Gange. Diese Frage wird auch Gegenstand dieser Verhandlungen sein", meint Thomas Mair von der Landespressestelle abschließend.

Elif Dagli, Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinde Vorarlberg. ©handout/Dagli

"Solche Aussagen treiben einen Spalt in die Gesellschaft, den wir in Krisenzeiten nicht benötigen!"

Seit Dezember 2019 steht mit Elif Dagli (29) aus Mäder zum ersten Mal eine Frau an der Spitze der Islamischen Religionsgemeinde in Vorarlberg. Im ausführlichen Interview mit VOL.AT spricht die Religionslehrerin, die gerade an ihrem Master für Islamische Religionspädagogik feilt, über Corona während des Ramadans. Die Vorsitzende für das Referat für Gleichbehandlung und Frauenförderung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich möchte den Vorurteilen, mit denen Muslime gerade und auch wegen der Pandemie öfters konfrontiert werden, entkräften.

VOL.AT: "Ramadan Mubarak"– welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Fastenmonat?

Elif Dagli: Der Ramadan ist die wohl die wichtigste und segensreichste Zeit im islamischen Jahr und ein besonders wichtiger Aspekt dabei ist die Stärkung der Geschwisterlichkeit, des Zusammenhalts und des Gemeinschaftsgefühls. Doch genau diese Besonderheit des Ramadans bringt dieses Jahr auch eine besondere Verantwortung mit sich. Denn erneut begehen wir als muslimische Gemeinschaft den Fastenmonat Ramadan im Schatten der Coronapandemie und diese verlangt von uns, unseren religiösen und gesellschaftlichen Verpflichtungen gleichermaßen gerecht zu werden.

Den Fastenmonat Ramadan begehen wir daher unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen, schließlich liegt es auch im Interesse unserer Glaubensgemeinschaft, dass in unseren Gotteshäusern keine Ansteckungen stattfinden. Auf die Freude des gemeinschaftlichen Fastenbrechens in den Moscheen müssen wir in diesem Jahr folglich leider auch verzichten. Deshalb fällt das Gemeinschaftsgefühl leider etwas weg. Die regelmäßigen „offline“ Austausche werden auch schon sehnsüchtig vermisst.

Das diesjährige Motto für den Monat Ramadan lautet „Zeit neue Kraft zu schöpfen“, wir hoffen, dass wir mit neuen Energien aus dem Fastenmonat rauskommen und bitten den Schöpfer um anhaltende Kraft und Ausdauer für die letzte Phase zum Bekämpfung der Coronapandemie.

VOL.AT: Inwiefern hat sich das Leben der islamischen Community generell durch das Virus verändert?

Elif Dagli: Das Virus hat die ganze Welt verändert und auch die islamische Community in Österreich bzw. Vorarlberg. Es kam zu einer plötzlichen Veränderung der Gewohnheiten, denn auf fast alles, was bislang selbstverständlich war, muss nun verzichtet werden: der regelmäßige Moscheebesuch, die Gemeinschaftsgebete, Zusammenkünfte und soziale als auch Bildungsprogramme in der Moschee, der soziale Austausch allgemein. Seelsorgerische Angebote wurden angepasst und in den Online-Bereich verlagert oder erfolgen telefonisch, um trotz Distanz Nähe zu den Gemeindemitgliedern oder Menschen mit Problemen zu bewahren.

Die gewohnte Lebensweise von allen hat sich verändert, es war zunächst schwer sich an die neue Lebensweise umzustellen. Natürlich werden die Zusammenkünfte und Programme vor Ort vermisst, aber die Gesundheit und die Eindämmung des Virus hat zurzeit die höchste Priorität.

VOL.AT: Wie steht es generell um die Akzeptanz von Maßnahmen?

Elif Dagli: Jede und jeder in der Gesellschaft hat Sehnsucht endlich zurück zur Normalität zu kehren, in der wir wieder ohne Bedenken und Sorgen leben können. Um dies zu erreichen sind die Maßnahmen notwendig. Die islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) hat seit Anfang der Coronakrise die Vorgaben der Bundesregierung und die Empfehlungen der GesundheitsexpertInnen befolgt und einen Leitfaden zur Schutz- und Hygienemaßnahmen erstellt und regelmäßig adaptiert, um ihre Einrichtungen und die gesamte muslimische Community in dieser außergewöhnlichen Zeit so gut wie möglich zu unterstützen.

VOL.AT: Laut einem aktuellen Kurier-Artikel ist das Infektionsrisiko in Gruppen mit Migrationshintergrund besonders hoch. Worin sehen Sie hier die Gründe, bzw. trifft das Ihrer Meinung nach in Vorarlberg überhaupt zu?

Elif Dagli: Es gibt zu dieser Behauptung keine offizielle und repräsentative Erhebung bzw. sind diese Beobachtungen auch nicht flächendeckend gültig. Es handelt sich vielmehr um die subjektive Wahrnehmung einiger. Als Gemeinden in Tirol (Haiming, Roppen) beispielsweise zu Sperrgebieten erklärt wurden, hat es sich nicht um MigrantInnen gehandelt. Ob mit oder ohne Migrationshintergrund sollte aber keine große Bedeutung spielen, denn ein Mensch ist ein Mensch und es geht um unser aller Gesundheit. Hier sollte die Nationalität, Religion oder Weltanschauung keine Rolle spielen. Ich habe von Anfang an durchaus die Sorgen und Ängste auch innerhalb der muslimischen Community wahrgenommen, alle versuchen sich so gut wie möglich selbst zu schützen. Daher treiben solche Aussagen meiner Meinung nach nur einen Spalt in die Gesellschaft, den wir gerade in Krisenzeiten nicht benötigen!

Generell kann man sagen, dass Corona-Infektionen dort häufiger auftreten, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben, wo sie nicht die Möglichkeit haben, auf Home Office umzusteigen oder der Arbeitsgeber keine regelmäßige Testung durchführen lässt und sich generell in einer schlechteren sozialen Lage befinden. Auch wurde nicht von Anfang an überall darauf geachtet, die migrantischen Communities mit entsprechendem Infomaterial zu erreichen.

Natürlich führen große Zusammenkünfte und Familienfeierlichkeiten teilweise zu Clusterbildungen, aber die kommen in allen Schichten der Gesellschaft vor, wie wir auch an der Infektion des mittlerweile gottseidank genesenen stv. Landeshauptmanns von Oberösterreich sehen konnten.

VOL.AT: Wie steht es um die Test- bzw. Impfbereitschaft in der Vorarlberger Community?

Elif Dagli: Unser Bundesland Vorarlberg ist sehr gut aufgestellt und organisiert. Insgesamt sind die Zahlen auch gut und ich hoffe wirklich, dass wir eine Modelregion für Österreich bleiben. Es ist schön, dass wir das Privileg genießen, vor einigen Wochen Öffnungsschritte tätigen zu können. Das trägt zu unser aller Lebensqualität bei.

Jeder Mensch hat ein ureigenes Interesse an der Gesundheit und der Einhaltung der Maßnahmen zur Erhaltung seiner Gesundheit. Als Glaubensgemeinschaft appellieren wir an unsere Mitglieder, sich regelmäßig testen zu lassen, die Maßnahmen verantwortungsvoll mitzutragen und sich sobald es geht impfen zu lassen. Denn der sicherste und effektivste Weg, sich selbst, seine Familie und die am meisten gefährdeten Personen vor dem Coronavirus zu schützen, ist die Inanspruchnahme dieser Angebote.

VOL.AT: Im Vorjahr wurden Reiserückkehrer in die Heimatländer auch für steigende Infektionszahlen verantwortlich gemacht. Inwiefern wird hier der „Green Pass“ eine Rolle spielen?

Elif Dagli: Ja, auch das wurde behauptet, aber auch hier ging es nicht ausschließlich um Menschen mit Migrationshintergrund, sondern generell um alle UrlauberInnen. Wir dürfen nicht vergessen, woher die aktuell gefährlichsten Virusmutationen kommen und welche Rolle z.B. auch die Öffnung der Skipisten bei ihrer Ausbreitung gespielt haben.

Die Einführung eines Green-Passes sehe ich mit gemischten Gefühlen. Grundsätzlich ist es ein Weg, um so rasch wie möglich wieder zur Normalität zurückkehren zu können.

Der Pass könnte zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen (Geimpfte und Ungeimpfte), die einen hätten Privilegien den anderen gegenüber. Es besteht in der Gesellschaft Verunsicherung, was die Inhaltsstoffe und die Sicherheit der Impfung betreffen. Hier gilt es, sachlich und respektvoll vorzugehen und die Menschen von der Impfung zu überzeugen, anstatt sie zu diskreditieren und sie womöglich auch in die Arme von VerschwörungstheoretikerInnen zu treiben.

Schlussendlich werden aber letztlich diejenigen, die geimpft sind auch nicht drumherum kommen, sich vor einer Reise einer Testung zu unterziehen, denn ein Restrisiko besteht immer. Daher ist fraglich, ob der Pass als Freibrief für einen (Heimat)Urlaub als Anreiz ausreicht. Und ob die Menschen aktuell überhaupt an Reisen denken und nicht eher daran arbeiten, ihre finanziellen Existenzen wieder aufzubauen.

Zur Person: Elif Dagli

Name, Alter, Wohnort: Elif Dagli, 29, Mäder
Ausbildung, Beruf, Funktion: BA Islamische Religionspädagogik abgeschlossen, derzeit MA Islamische Religionspädagogik, Religionslehrerin in den Pflichtschulen, Mitglied des Obersten Rates der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Vorsitzende der islamischen Religionsgemeinde Vorarlberg + Vorsitzende für das Referat für Gleichbehandlung und Frauenförderung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich
Familienstand: ledig
Hobbys: Studieren, Volleyballspielen, Inlineskating, Wandern

(VOL.AT)

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