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Identifizierung der WTC-Opfer dauert an

Die Katastrophe des einstürzenden World Trade Centers in New York stellt nicht zuletzt die Gerichtsmediziner vor kaum lösbare Aufgaben.

Auch ein Jahr nach dem 11. September stecken die offiziellen Stellen „immer noch mitten drin“ bei der Identifizierung der vielen Opfer, berichtet die deutsche Biologin Mechthild Prinz vom Office of Chief Medical Examiner New York City, der Behörde für Rechtsmedizin. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin legte sie nun in Rostock dar, welche unfassbare Mühe allein die Identifizierung von 20.000 Leichenteilen macht – neben dem Schmerz der Betroffenen.

„Meine bisher größte Aufgabe“, sagt die forensische Biologin. Und die Arbeit werde noch ein halbes, wenn nicht ein ganzes Jahr dauern. Denn angesichts des Anfangschaos „wurden auch Fehler gemacht“. Bis jetzt hat ihr Institut 289 „intakte Leichen“, wie es heißt, identifiziert. Doch bleibt offen, ob zu der Zahl der Toten, die sich gegenüber der anfänglichen Annahme auf etwa 2800 halbiert hat, nicht noch Obdachlose oder illegale Einwanderer hinzu kommen. Erst gut 1200 Opfer konnten bislang mit Hilfe moderner Methoden, darunter FBI- Computer, identifiziert werden.

Doch wie stellen Behörden in einem solchen Fall einen Totenschein über Vermisste aus, die nie gefunden werden? Das Gesetz schreibt zudem eine Mindestwartezeit von drei Jahren vor, sagt Prinz. Die ohnehin schwer getroffenen Angehörigen aber können nicht warten. Sie sind auf unbürokratische Abwicklung von Renten- oder Versicherungsansprüchen angewiesen. So habe man Totenscheine beschleunigt ausstellen können, wenn zumindest mehrere Identifikationen eingegangen seien.

„Es gab ja auch Betrugsversuche. Dies war auch ein Grund, warum sich die Zahl der Opfer später verringerte“, erläuterte Prinz. Denn manch einer hatte durch Falschangabe von Vermissten die Lebensversicherung zu kassieren versucht. Dass die Zahl der Opfer anfangs so überschätzt wurde, lag auch daran, „dass Verwandte und Freunde eine Person mehrfach (als vermisst) gemeldet hatten“, gerade bei Polizisten und Feuerwehrleuten. Manchmal geschah dies unter verschiedenen Namen oder Spitznamen. So wurden Überreste auch verschieden zugeordnet.

Die Erfassung all der Daten erwies sich als überaus schwierig, berichtet die Wissenschaftlerin weiter, auch da das Gen-Labor „auf solche Mengen nicht vorbereitet war“. Auch durfte die in einer so riesigen Stadt anfallende Routinearbeit nicht vernachlässigt werden. Immerhin wurden allein im Jahr 2000 in New York 7819 Leichen zur Klärung der Todesursache eingeliefert, sagt sie.

Als hilfreich zeigte sich nach ihrer vorläufigen Bilanz, dass New York überhaupt einen Katastrophenplan hatte und eine Freiwilligen- Sondereinheit (DMORT) mit mobilen Obduktions-Einrichtungen. „So konnte sofort eine Sammelstelle eingerichtet werden“, ein Zelt mit Kühl-Lastwagen am WTC, das später „zu einer Art Gedenkstätte wurde“. Die Leichen wurden auf dreifache Weise untersucht, falls möglich:
durch Obduktion mit DNA-Probe, Röntgen- und Zahnuntersuchung.

Die menschlichen Überreste wurden zunächst am Ort, später unter den von Baggern bewegten Trümmern auf Fließbändern von Kripo-Beamten sortiert. Darunter war manchmal nur noch ein Zahn ausfindig zu machen. „Wir wissen genau, dass wir von vielen nichts mehr finden werden“, weiß die Biologin. „Das hat auch mich verändert.“

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