Frau Paasikivi, wie verlief Ihr Einstieg als Intendantin der Bregenzer Festspiele?
Sehr intensiv, aber auch sehr gut. Bereits unmittelbar nach meiner Nominierung hatte ich begonnen, die Pläne zu entwickeln, sodass im Oktober 2024 schon vieles vorbereitet war. Es macht mir große Freude, mit einem teilweise neuen Team zusammenzuarbeiten und das Programm fertigzustellen. Nun freuen wir uns auf den Sommer und die Festivalzeit.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie die Berufung erhielten?
Ich war begeistert von den vielfältigen Programm-Möglichkeiten – von der imposanten Seebühne
bis zu kleineren Kammermusikformaten. Nach einem Jahrzehnt an der Finnischen Nationaloper ist es reizvoll, ganz neue, spannende Kombinationen gestalten zu können. Die Naturverbundenheit und der unmittelbare Bezug zum See bieten einmalige künstlerische Chancen.
Was bedeutet diese Nähe zur Natur für Ihre Arbeit?
Diese Nähe ist großartig. Auf der Seebühne prägt sie die Inszenierungen maßgeblich mit, denn die Umgebung mit See, Bergen und dem Lichtspiel des Sonnenuntergangs fordert uns auf, sie aktiv in die künstlerischen Konzepte einzubeziehen. Das inspiriert Regisseure und Bühnenbildner enorm.
Zum Auftakt bringen Sie Enescus „Oedipe“ im Festspielhaus — warum genau dieses Werk?
Enescus Musik besitzt eine archaische Kraft, und Sophokles’ Drama behandelt zeitlose menschliche Themen von enormer Intensität. Ich liebe starkes, ausdrucksvolles Musiktheater. „Oedipe“ ist daher die perfekte Eröffnung, um unsere künstlerische Vision kraftvoll zu präsentieren.
Welchen Stellenwert hat für Sie Internationalität in der Oper?
Oper war schon immer eine internationale Kunstform, geprägt von vielfältigen Perspektiven. Dirigenten, Regisseure und Künstler kommen aus verschiedensten Ländern und bereichern dadurch unsere Arbeit. Gerade diese Vielfalt ermöglicht es, eine gemeinsame künstlerische Sprache zu entwickeln – oft besser als politische Institutionen es schaffen.
Was macht den „Freischütz“ auf der Seebühne so besonders?
Philipp Stölzl hat Carl Maria von Webers Oper neu interpretiert: Musik und Dialoge wurden überarbeitet, Charaktere modernisiert. Herausgekommen ist ein visuell überwältigendes Spektakel, das generationsübergreifend begeistert – Opernneulinge genauso wie langjährige Kenner. Besonders die Inszenierung des Teufels ist hier sehr eindrucksvoll.
Wie komplex ist die technische Umsetzung einer Seebühnen-Produktion?
Sehr komplex, denn auf der Seebühne müssen wir außergewöhnliche Elemente berücksichtigen: Wetter, Sturm, Wasser, Tiere – Dinge, die in einem geschlossenen Opernhaus keine Rolle spielen. Das Bühnenbild ist ein großes architektonisches Bauprojekt, das für zwei Jahre Teil des Stadtbilds wird. Meine erste eigene Produktion auf der Seebühne, „La Traviata“ (2026/27), fordert uns besonders heraus.
Wird „La Traviata“ Ihr bisher aufwendigstes Projekt?
In gewisser Hinsicht ja. „La Traviata“ ist ein populäres Werk, doch die technische und gestalterische Umsetzung auf der Seebühne ist etwas völlig Neues. Ich vertraue hier voll und ganz unserem erfahrenen Team und freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Regisseur Damiano Michieletto, der sich von Beginn an begeistert zeigte.
Welche programmatischen Schwerpunkte setzen Sie langfristig?
Ich möchte die Bregenzer Festspiele weiter als offenes und internationales Festival etablieren, das zugleich stark in der Region verankert ist. Mein Ziel ist es, große Werke mit emotionaler Kraft und mutige Impulse in den Bereichen Kammermusik, zeitgenössische Musik und Nachwuchsförderung zu verbinden. Außerdem ist mir das Zusammenspiel von Kunst und Nachhaltigkeit besonders wichtig, gerade aufgrund unserer einzigartigen Lage am See. Ich lade Künstler ein, die etwas zu sagen haben – mit Haltung, Sensibilität und Leidenschaft.
Welche Rolle spielt für Sie das Zeitgenössische, etwa die Uraufführung eines „Emily Dickinson“-Projekts?
Zeitgenössische Werke wie die Weltpremiere des „Emily Dickinson“-Projekts „Emily – No Prisoner Be“ sind essenziell, um die Aktualität des Musiktheaters zu betonen. Dickinsons Themen – Frauenrechte, Identität, Leben und Liebe – sind von zeitloser Relevanz. Wenn unser Publikum nach der Vorstellung eine persönliche Verbindung zu diesen Themen herstellt und dadurch ein tieferes Verständnis füreinander entwickelt, dann erfüllt das Theater seine gesellschaftliche Rolle.
Kann Musiktheater auch politisch wirken?
Absolut. Oper und Theater sind mehr als reine Unterhaltung. Sie spiegeln gesellschaftliche Zustände und Konflikte wider. Gerade heute, angesichts der weltweiten Krisen und der politischen Instabilität, wird diese Funktion umso bedeutender. Kunst kann hier aufrütteln und zum Nachdenken anregen.
Welche nordischen Impulse bringen Sie aus Finnland nach Bregenz?
In meinem ersten Jahr möchte ich meine künstlerische Herkunft bewusst präsentieren – mit finnischen Künstlern und Werken. Etwa durch Jean Sibelius’ epische „Kullervo“-Sinfonie, ein kraftvolles Werk mit nordischer Urkraft, das erstmals hier zu hören sein wird. Mir ist wichtig, diese starken, emotionalen und musikalischen Traditionen meiner Heimat einzubringen, ohne jedoch die Vielfalt des Festivals einzuengen.
Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie in Bregenz?
Die Bregenzer Festspiele haben eine beeindruckende Tradition und Qualität – ich möchte darauf aufbauen und zugleich offen sein für neue Trends und Entwicklungen. Mich interessieren interdisziplinäre Projekte und der Dialog zwischen klassischer und zeitgenössischer Kultur. Wichtig ist mir stets, dass wir Neues wagen und damit die kulturelle Offenheit fördern.
Und Ihre ganz persönlichen Ziele hier am Bodensee?
Privat möchte ich unbedingt einmal zu Fuß auf den Pfänder wandern und die Region intensiv kennenlernen – ihre Kultur, ihre Sprache und ihre landschaftliche Schönheit. Ich freue mich sehr darauf, hier Wurzeln zu schlagen und meine Verbindung zu Vorarlberg stetig zu vertiefen.
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