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"Ich schreibe Lieder, weil ich muss"

Ganz am Anfang, im Frühjahr 2004, hat sich der englische Popsänger James Blunt als Underground-Musiker gefühlt.

Freundliche Kritiken, geringe Umsätze, ein nach gut einem Vierteljahr Verweildauer in den Verkaufsregalen fast abgetauchtes Debüt „Back To Bedlam“. Dann im Sommer ein Auftritt beim Glastonbury-Festival mit der Ballade „You’re Beautiful“, danach Dauereinsatz in den Popradios dieser Welt, und dasselbe Album war plötzlich ein Megaseller. „Es war fantastisch, zuzusehen, wie sowas passiert“, sagt Blunt im AP-Gespräch zu seinem zweiten Album „All The Lost Souls“ (Warner). „Ich habe Glück gehabt.“ Zehn Lieder hat der inzwischen 34-jährige Engländer größtenteils im vergangenen Jahr zurückgezogen auf Ibiza geschrieben und dann im Studio mit seiner eingespielten Tourband aufgenommen. Knapp unter 40 Minuten ist das Album lang, weil das die maximale Konzentrationsdauer sei, sagt er. Die Zuhörer sollen das Album als Ganzes verarbeiten können. Blunt liefert in sanften Pop verpackte Balladen, unter die er aber auch etliche Midtempo-Songs mischt. Ein kommerzielles Kalkül oder den Druck, den Erfolg des Debüts zu wiederholen oder zu übertreffen, habe es nicht gegeben.

„Ich schreibe keine Lieder, um sie mit Raffinesse zu verkaufen. Ich schreibe keine Songs, um gute Kritiken zu bekommen; ich schreibe nicht, um von Kritikern gefeiert zu werden. Ich schreibe Lieder, weil ich muss“, so Blunt. „Um das Leben zu verstehen und darüber nachzudenken – über meinen Platz darin und mein Bewusstsein. Ich habe einfach das Album gemacht, das ich machen wollte.“

Bewusst und selbstbestimmt zu leben sei das große Thema des Albums. Das erste Album sei vielleicht vor allem bei weiblichen Fans so hervorragend angekommen, das zweite überschreite die Geschlechterbarriere, ist Blunt überzeugt. „Männer sind genauso bewusst wie Frauen. Dieses hier hat mehr Tempo und ist vielseitiger als das erste, ist kantiger. Es ist also ein Album für alle, es sei denn, jemand mag die Musik von James Blunt nicht. Der dürfte dann Probleme haben, es unvoreingenommen zu hören.“

Der Trubel um seine Person habe ihn in den vergangenen dreieinhalb Jahren nicht aus der Bahn geworfen, ihm eher intensivere Erlebnisse verschafft: „Ich bin mehr gereist als je zuvor und habe mehr Menschen als je zuvor getroffen. Jede Erfahrung, jede Freundschaft, Beziehung, jeder Augenblick mit der Familie, mit Fremden hatte eine Intensität, die viel größer als im normalen Leben war. Denn da lief immer ein Tonbandgerät mit, klickten Kameras, waren Film-Crews oder ein Publikum. Und dieses Publikum gibt allem eine Intensität. Und Erfahrungen, kombiniert mit dieser Intensität, inspirieren mich, geben mir die Lieder. Ich hatte also die Inspiration zu schreiben, ein bisschen mehr Wissen und Erfahrung. Das zweite Album ist also viel einfacher als das erste.“

Ob er ein sehr ehrgeiziger Mensch sei? „Mein Ehrgeiz besteht darin, bis ins Alter Musik machen zu können. Das erste Album war etwas besonderes; sein Charme war seine Unschuld. Das zweite hat etwas mehr Tiefe und Erfahrung, und darauf bin ich stolz. Ich spüre ein Gefühl der Freiheit im gesamten Prozess.“ Es komme darauf an, warum man überhaupt Musik mache – und er mache keine Musik für eine Hitparadenposition. „Ob man auf Platz vier oder fünf ist – was bringt das schon? Musik ist kein Wettbewerb, sondern in erster Linie der Ausdruck von Gefühl. Und wenn man auf diesem Weg Menschen erreicht, ist es auch eine großartige Kommunikation.“

Dass es im WWW Anti-Blunt-Seiten gibt, auf denen Besucher ein Bild von ihm mit Gemüse bewerfen können, mache ihm nichts aus. „Das ist doch nur ein Computer-Bild und nicht wirklich ich“, sagt er und lacht. „Ich denke Underground ist cool und Mainstream ist ein böses Wort. Es war einmal, da habe ich nicht so viele Platten verkauft und war per Definition Underground. Das ist dann alles positiv. Dann, als dieselben Songs kommerziell erfolgreich wurden, war es auf einmal Mainstream, und dann kommt der Antipopulist hervor. So ist die Welt: Wenn die Mehrheit etwas mag, ist es nicht cool. Ich nehme das nicht persönlich; es ist nachvollziehbar.“

Ob nun “1973“, „Same Mistake“ oder „Shine On“ ebenso erfolgreich werden wie „You’re Beautiful“ und das Debütalbum, ist Blunt nach eigenen Angaben nicht wichtig. „Für mich zählt, dass ich Spaß habe. Es ist nicht die erste Million (verkaufter Alben), auf die es ankommt. Oder die zweite Million, falls es die gibt. Oder die zehnte Kopie. Es ist die erste CD, die ich liebe.“

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