"Ich bin nur noch herumgelegen und wollte nicht mehr aufstehen"

Der 10. Oktober steht im Namen der mentalen Gesundheit. Der internationale Tag der seelischen Gesundheit soll ein Zeichen gegen die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen setzen. Denn viele sind davon betroffen, doch die wenigsten reden in Vorarlberg darüber. Bei der Beratungsstelle Omnibus in Bregenz merkte man nach der Coronapandemie ein Anstieg an Anfragen.

20 Jahre jüngere Geliebte
Auch Angelika Sanli ist dort ehrenamtlich tätig und hilft unter anderem beim Brunch mit. Omnibus ist eine Peerberatungsstelle. Das heißt: Dort sind nicht Sozialarbeiter oder Psychologen tätig. Stattdessen können dort sämtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf ihre eigene Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung zurückgreifen. Auch Sanli ist eine Betroffene: Die 61-Jährige selbst hat eine Depression überstanden. Bei Omnibus ist sie dabei, um anderen mit dem selben Problem ihre Erfahrungen mitgeben zu können.
Heute geht es ihr wieder gut, sagt sie beim Besuch von VOL.AT bei der Beratungsstelle. Vor der Depression hat sie sich nie mit dem Thema psychischer Gesundheit befasst: "Wenn es einem gut geht, denkt man nicht daran, dass man irgendwann in eine Depression fallen könnte." Die achtfache Mutter dachte nie, dass es genau sie treffen könnte: "Bis dahin war ich ein eigentlich ein fröhlicher Mensch."

Doch für die Harderin gab es ein einschneidendes Erlebnis, als sie 44 Jahre alt war: Die Scheidung von ihrem Exmann. Er hatte ihr "von einem Tag auf den anderen Tag erzählt, dass er eine junge Geliebte hatte. Die war 20 Jahre jünger als ich. Und zwei Monate später war sie schwanger." Die Depression kam dann aber erst vier Jahre später im Alter von 48 Jahren, als sich Sanli und ihr Exmann dann scheiden ließen. Bis dahin glaubte sie noch daran, dass es nur eine Phase sein könnte und wieder alles gut werden wird. "Ich dachte, er kommt wieder zurück", erinnert sie sich zurück, warum sie sich bis zur Scheidung noch gut gefühlt hat.
"Mit allem überfordert"
Dafür traf es sie dann um so härter. "Das war ganz eine schwere Zeit für mich. Ich bin nur noch dagelegen und wollte nicht mehr aufstehen", so die 61-Jährige. "Du bist einfach mit allem überfordert, mit der Arbeit, mit dem Haushalt, mit den Kindern." In der Zeit konnte sie dann auch nicht mehr ihren Job in der Altenbetreuung ausüben und war krankgeschrieben.
In dieser Zeit machte sie sich Vorwürfe. Am Schlimmsten war für die 61-Jährige, dass sie sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern konnte. Der jüngste Sohn war zu diesem Zeitpunkt nämlich erst sieben Jahre alt. "Gott sei Dank hat das meine Schwester für mich übernommen", so die achtfache Mutter. Ihre Schwester hat dann auch die Hebel betätigt, dass Sanli sich in stationäre Behandlung im Landeskrankenhaus Rankweil begab: "Sie hat mich wachgerüttelt. Meine Schwester hat gesagt, es geht nicht so weiter, wir müssen sie in eine Klinik bringen." Dort war sie dann drei Monate stationär in Behandlung.

"Angelika, du bist wieder gesund"
Dies ist inzwischen schon fünfzehn Jahre her. Doch damit war es nicht getan. Auch nach dem Krankenhausaufenthalt lag ihr weiterhin am Herzen, etwas für die eigene mentale Gesundheit zu tun. Weiterhin nahm sie Medikamente, auch heute noch. Zudem ist sie Teil einer Selbsthilfegruppe, wobei der Austausch mit Gleichgesinnten im Vordergrund steht. Dort trifft sie auf Verständnis. Das viele Reden über die Depression half ihr besonders.
Zudem nahm sie das wöchentliche Wanderangebot der sozialpsychiatrischen Dienststelle Promente in Anspruch. Vor fünf Jahren sagte dann ein Mitarbeiter in der Psychischen Gesundheits- und Krankenpflege dort zu ihr: "Jetzt bist du wieder gesund Angelika, jetzt musst du nicht mehr bei den Wanderungen mitgehen."

Das Tanzen wiederentdeckt
Auch sie selbst kann diese Wahrnehmung bestätigen. Sie fühlt sich wieder genesen: "Jetzt fühle ich mich wieder gesund. Ich fühle mich wieder unternehmenslustig und bin wieder glücklich. Jetzt haben eine Freundin und ich wieder das Tanzen für uns entdeckt." Sie ist auch wieder gerne und viel unter Menschen. Durch ihre Enkel hat sie wieder eine neue Aufgabe für sich entdeckt. Auch das gute Verhältnis zu ihren vier Söhnen und vier Töchter stärkt sie. Gerade das würden auch viele Leute bewundern, wenn sie offen über ihre überstandene psychische Erkrankung spricht: Dass sie es mit so vielen Kindern geschafft hat. Anderen Betroffenen möchte sie eines besonders mitgeben: Dass es wieder vorbeigeht und besser wird.
(VOL.AT)
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