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HRW: EU mit Türkei-Deal "auf völlig falschem Weg"

Die Europäische Union ist mit ihrem geplanten Flüchtlingsdeal mit der Türkei "auf einem völlig falschen Weg". Das sagt der Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), Wenzel Michalski, mit Hinweis auf die "immer schlimmere" Menschenrechtslage in der Türkei und die unsichere Situation der Flüchtlinge dort im Gespräch mit der APA in Wien.


Besonders die Pläne für einen 1:1-Austausch von Flüchtlingen zwischen der EU und der Türkei seien “nicht ausgereift und sehr seltsam”: “Wer garantiert, dass das nach Menschenrechtsmaßstäben abläuft?”. Letztlich käme eine Rückführung von Flüchtlingen, die die EU bereits erreicht haben, in die Türkei einer “Massenabschiebung gleich – und die ist verboten”.

Michalski sieht in solchen Maßnahmen einen Hinweis darauf, dass die Politik auf eine abschreckende Wirkung und ein dadurch herbeigeführtes Versiegen der Flüchtlingsströme hofft: “Die Politiker in der EU setzen auf Abschreckung, nicht auf eine menschenrechtlich vertretbare Lösung.”

Ähnliches sieht der HRW-Direktor auch im Zusammenhang mit der nach wie vor katastrophalen Flüchtlingssituation am griechischen Grenzort Idomeni. Hier hofften die Politiker ebenfalls “auf ein abschreckendes Beispiel”. Dabei müsste vermehrt humanitäre Hilfe den auf freiem Feld campierenden Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden: “Die griechische Regierung muss überzeugt werden, dass die (aus dem Ausland erhaltene) Hilfe dort ankommt.” Auch andere EU-Länder seien da in der Pflicht.

Warum tausende Flüchtlinge in Idomeni nach wie vor vor der verschlossenen mazedonischen Grenze “im Elend” ausharren, statt in die vorgesehenen Flüchtlingsunterkünfte zu gehen, konnte der Menschenrechtler allerdings auch nicht sagen. “Diese Menschen sind oft traumatisiert und denken oft nicht logisch”, verwies er auf eigene Erfahrungen mit Flüchtlingen in Berlin, die häufig über soziale Medien aufkommende Gerüchte ganz schnell für bare Münze nähmen.

Der HRW-Deutschland-Direktor sprach sich als Lösung der Krise für eine Einrichtung von Ankunftszentren in der Region aus – etwa in der Türkei, in Jordanien, im Libanon. Hier sollten schnelle und faire Asylverfahren ablaufen und die anerkannten Flüchtlinge dann legal und sicher in ihr Aufnahmeland kommen: “Das muss nicht unbedingt in der EU sein – wer sich halt bereit erklärt”. Die Einrichtungen sollten allerdings für alle Flüchtlinge gleichermaßen offen sein, nicht nur für Syrer. Seiner Hoffnung nach würden solche Maßnahmen auch die Flüchtlingsströme deutlich reduzieren und den Schleppern das Geschäft abgraben.

Michalski äußerte Unverständnis bezüglich der österreichischen Flüchtlingspolitik, die eine “plötzliche Kehrtwende um 180 Grad” vollzogen habe. Es sei “nicht ok, aufgrund eines politischen Kalküls Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen”, die durch die Schließung der Grenzen entstünden. Ebenso dürfte man die Zahl der Personen, die einen Asylantrag stellen dürften, nicht limitieren.

Der Menschenrechtler sieht hinter der Kehrtwende der rot-schwarzen Regierung eine “Panik vor Stimmenverlust” und “Angst vor der erstarkenden FPÖ”. Er gab allerdings zu bedenken: “Eine Politik, die auf Angst aufbaut, spielt allerdings eher der AfD (populistische Partei in Deutschland, Anm.), der FPÖ oder dem Front National von Marine Le Pen in die Hände”. Michalskis Warnung: “Angstmacherei ist in der Politik immer ein schlechtes Geschäft”.

(Das Gespräch führte Petra Edlbacher/APA)

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