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"Hohenems erinnert mich an den Duft meiner Kindheit“

Sympathisch und gut gelaunt gewährt Eckart Witzigmann im W&W-Interview einen Blick hinter die Kulissen der Spitzengastronomie.
Sympathisch und gut gelaunt gewährt Eckart Witzigmann im W&W-Interview einen Blick hinter die Kulissen der Spitzengastronomie. ©MiK
Der Koch des Jahrhunderts im W&W Sonntags-Talk: Eckart Witzigmann über seine Kindheit in der Grafenstadt, die Vorarlberger Küche und seine „Henkersmahlzeit“.

WANN & WO: Aufgewachsen auch in Hohenems – welche Erinnerungen haben Sie an die Grafenstadt?

Eckart Witzigmann: Die feuchte Wärme der Backstube und der Duft nach Teig und frisch Gebackenem in der Radetzkystraße gehören für mich zu den vertrauten Gerüchen meiner Kindheit. Im Gegensatz zu meinen Kollegen habe ich deshalb einen kleinen Vorteil: das Vorarl­­berger Bäcker-Gen. Mein Großvater und mein Onkel Josef waren gestandene Bäcker, mein lieber Cousin Herbert sogar einer der jüngsten österreichischen Bäcker- und Konditormeister. Er ging in die Schweiz, arbeitete bei sehr guten Konditoreien und hat versucht, in Hohenems etwas ganz Feines anzubieten. Er war ein wahrer Meister, der in der Konditorei Pralinen, Torten, Schoko-Weihnachtsmänner, Osterhasen, Ostereier gefüllt mit hausgemachten Pralinen und Seidenschleife hergestellt hat. Meine Großmutter war Herrschaftsköchin. Dass sie eine hervorragende Mehlspeisenköchin gewesen ist, können Sie sich denken. Wenn ich als Kind meinen Urlaub in Hohenems verbracht habe, bin ich gerne beim Ausliefern mitgefahren und war in der Backstube. Ich schaute den Konditoren und Bäckern über die Schultern. Ich kann mich noch gut an die verschiedenen Brote, z.B. die Schweizer Laibe, erinnern und wie es gerochen hat morgens, wenn man reingekommen ist. Bei meinen Tanten habe ich dann erste Bekanntschaft mit der Muskatnuss geschlossen. Für mich war das damals ja fast etwas Exotisches, vollkommen Unbekanntes, deshalb waren meine Aufenthalte als Kind in Vorarlberg stets eine kleine Entdeckungsreise in die weite, unbekannte Welt der Kulinarik. Und meine Vorliebe für Leberspätzlesuppe und die heißgeliebten Kässpätzle hat meine tollen Tanten manchmal zu einer Art Wettbewerb herausgefordert.

WANN & WO: Ihr Vater wollte ja ursprünglich, dass Sie die Familien-Schneiderei übernehmen. Welche Be­­ziehung hatten Sie zu Ihren Eltern?

Eckart Witzigmann: Nach der Handelsschule war es der Wunsch meines Vaters, seine Schneiderei zu übernehmen, meine Mutter hätte mich lieber als Architekt gesehen. Deshalb waren sie letztlich über meinen Berufswunsch „Koch“ nicht sehr begeistert, haben mich jedoch trotzdem dabei unterstützt.

WANN & WO: In der mütterlichen Küche kamen Sie auch in den Kontakt mit der klassischen Vorarlberger Küche. Was macht den Reiz der traditionellen Kost aus?

Eckart Witzigmann: Meine Mutter hat nicht nur die Vorarlberger Küche gepflegt, sie war generell eine ausgezeichnete Köchin und war mit der gesamten bürgerlichen Küche jener Zeit vertraut. Was sie trotz schmalen Budgets auf den Teller gebracht hat, fordert mir bis heute allerhöchsten Respekt ab. Ich bin der festen Überzeugung, dass die klassischen Gerichte mehr Aufmerksamkeit haben sollten als die Moden, die jede Saison durchs Dorf getrieben werden und von denen ein Jahr später keiner mehr spricht. Ich kann da nur meine alte Weisheit wiederholen, dass gerade beim Kochen Zukunft eine solide Herkunft braucht.

WANN & WO: Warum entschieden Sie sich dann später in Bad Gastein, den Weg einer Kochlehre im Hotel Straubinger einzuschlagen?

Eckart Witzigmann: Hier kann man das Schlagwort von der frühkindlichen Prägung zitieren. Was meine Mama alles in der Küche gezaubert hat, war sicher der Auslöser für meine Neugierde in diese Richtung. Hinzu kam, dass ich für die Schneiderei meines Vaters häufig die maßgeschneiderten, berühmten Witzigmann-Keilhosen in die feinen Hotels bringen musste und dabei nicht nur immer ein passables Trinkgeld bekam, sondern auch einen Blick in die großen Küchen werfen konnte. Und was ich da sah, roch und schmeckte, hat mich zusätzlich fasziniert. Als ich dann zuhause sagte, ich will Koch werden, war – wie vorher erzählt – zwar tiefes Unverständnis auf der Seite meiner Eltern vorhanden, aber letztlich hat mein Vater es geschafft, mir eine Lehrstelle im Hotel Straubinger zu besorgen.

WANN & WO: Wie verliefen Ihre Lehrjahre in Bad Gastein und später Ihre Wanderjahre auf der ganzen Welt?

Eckart Witzigmann: Na ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, hat man früher gesagt. Ich habe während meiner Zeit dort viel gelernt, damals wurden Köche noch in allen Bereichen ausgebildet und in der Küche herrschte ein fast militärischer Ton. Und auch während der Stationen nachher war ich immer der Wissbegierige und habe früh gelernt, dass man mehr als den Durchschnitt leisten muss, um an die Spitze zu kommen. An freien Tagen bin ich freiwillig in den Betrieb gegangen, ich wollte gar nicht frei haben. Ich wollte mitarbeiten, lernen, immer weiterkommen.

WANN & WO: Bei den Gebrüdern Haeberlin kamen Sie zum ersten Mal in den Kontakt mit der Nouvelle Cuisine. Wie viel Lehrgeld zahlt man als Jungkoch und wie hat sich Ihr Zugang zur Küche von diesem Zeitpunkt an verändert?

Eckart Witzigmann: Zunächst einmal hat Haeberlin, mein Mentor, eine Küche gemacht, mit dem Einschlag einer klassisch modernen, regionalen Küche, aber noch keiner Nouvelle Cuisine. Meine Arbeit bei den Gebrüdern Haeberlin war dann für mich das Sprungbrett in die Welt der großen Köche und Küchen und deren Restaurants. Damals gab es keine EU, keine offenen Grenzen oder den Austausch über Ländergrenzen hinweg. Ich war als Saisonarbeiter in Illhäusern, als ich meinen Dienst antrat. Paul und Jean-Pierre haben mich weiter empfohlen und mir weitere Möglichkeiten geschaffen, zu Roger Vergé, den Brüdern Troisgros, auch zu Paul Bocuse. In Frankreich fand ich genau das, was ich immer gesucht hatte: Ich durfte alle erdenklichen Menüs zubereiten und hatte dafür die besten Produkte und das phantastischste Ambiente.

WANN & WO: Nach Ihren ersten beiden Michelin-Sternen im Münchner „Tantris“ erkochten Sie sich den dritten in Ihrem ersten eigenen Restaurant „Aubergine“. Welchen Anspruch haben Sie damals an sich und Ihre Köche gestellt?

Eckart Witzigmann: Das lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Ich wollte der Beste werden, etwas schaffen, was vorher noch nicht da war, eine neue Zeit einläuten. Nicht der Anspruch und die Erwartungen anderer, führen zu Spitzenleistungen, sondern der Anspruch an sich selbst. Die Ernsthaftigkeit der Arbeit, die Liebe zum Detail, das Bewusstsein für Qualität. Herausragen kann nur der, der sich selbst der strengste Kritiker ist.

WANN & WO: Zahlreiche Spitzenköche zählten zu Ihren Schülern, darunter auch Dieter Koschina aus Dornbirn. Welche Anekdote fällt Ihnen zum inzwischen in Portugal tätigen Spitzenkoch ein?

Eckart Witzigmann: Über Dieter kann ich nur Gutes berichten, er war stets fleißig, aufgeweckt, strebsam und neugierig. Und letztlich hat er eine grandiose Karriere in der Vila Joya, Algarve, gemacht.

WANN & WO: Von der Times wurden Sie als „Koch der Könige und Götter“ betitelt. Welcher Gast stellte Sie vor die größte Herausforderung?

Eckart Witzigmann: Da schweigt des Sängers Höflichkeit …

WANN & WO: Inzwischen sind Sie Patron des Ikarus im Hangar 7. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Eckart Witzigmann: Ich bin stolz und glücklich, die Vision von Dietrich Mateschitz, aber auch die Menschen, die hinter dieser Idee stehen, umsetzen und als Patron begleiten zu dürfen. Die innovativsten Köche der Welt sind hier monatlich eingeladen und ich freue mich immer sehr, vielleicht von einem Kollegen oder einer Kollegin noch etwas zu erfahren, was selbst ich noch nicht wusste – man lernt nie aus …

WANN & WO: Jungköchin Milena Broger (24) aus dem Bregenzerwald kochte kürzlich bei „Gelinaz!“ auf und zählt zu den aussichtsreichsten Talenten in der österreichischen Szene. Welche Talente haben Sie auf dem Radar?

Eckart Witzigmann: Nachdem ich nicht die gesamte österreichische Kochszene überblicken kann, will ich da niemand hervorheben. Aber ganz allgemein lässt sich sagen, dass in Österreich große Talente nachwachsen und bereits ein phantastische Zahl von Köchen und Köchinnen am Herd steht, die auch international keinen Vergleich scheuen müssen. Frauen sind im Vormarsch.

WANN & WO: Wo liegen die Quellen Ihrer Inspiration? Wohin geht Ihre kulinarische Reise?

Eckart Witzigmann: Selbst zum Markt zu gehen ist immer die größte Quelle der Inspiration. Man beobachtet das Angebot, die Saison und kommt mit Produzenten und Händlern in Kontakt. Das wurde zum wesentlichen Faktor meiner Küche und bis heute mein Credo. Und hält zugleich uns Köche am Boden, denn das Produkt ist der Star in der Küche! Mein Motto ist: Inspiration ist die Voraussetzung für Kreativität.

WANN & WO: Wie stehen Sie Trends wie Veganismus gegenüber?

Eckart Witzigmann: Ich will an dieser Stelle nicht als Orakel oder Sterndeuter auftreten, aber ich sehe keinen einzigen, allein selig machenden Trend. Aber es gibt eine Menge spannender Entwicklungen, Strömungen und Tendenzen, die ich ihnen hier nicht verheimlichen will. Die vegetarische und vegane Küche ist auf dem Vormarsch, der Michelin-Stern für das vegetarische Restaurant „Tian“ in Wien, dokumentiert das nur allzu deutlich. Wir müssen erkennen, dass es dabei nicht nur um Gesundheit und das eigene Wohlbefinden geht, sondern zunehmend auch um ideologische Inhalte. Das tierische Eiweiß zeichnet sich hier als das größte Feindbild ab. Aber generell sollte man Kochen nicht durch die ideologische Brille, sondern im Einklang mit Ökologie und Nachhaltigkeit stehen. Und schmecken sollte sie auch …

WANN & WO: Immer mehr Wirte stellen wieder auf klassische, hochwertige Wirtshausküche um – ist die gehobene Küche vom Aussterben bedroht?

Eckart Witzigmann: Die Spitzengastronomie von heute war noch nie auf einem so hohen Niveau und noch nie hat diese Gastronomie so breite Schichten unserer Gesellschaft erreicht. Wenn man sieht, wie viele junge Leute in Blogs und Foren diesem Thema nachgehen, dann ist klar, das Thema ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Und das ist doch eine tolle Sache und für die Zukunft essenziell. Die Hochküche wird in ihrem Elfenbeinturm nicht überleben, sie muss sich öffnen und immer wieder aufs Neue faszinieren. Aber die Leute wollen heute immer seltener drei Stunden bei einem Menü sitzen, die Küche muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen und nicht in ihrer alten Prägung verharren. Das Leben ist von jeher Veränderung, da macht die Küche keine Ausnahme. Was sich jedoch nicht verändern darf, ist der Anspruch auf das beste Produkt, das wird auch in alle Ewigkeit die Basis jeder guten Küche bleiben. Ich glaube, die Franzosen haben das sehr geschickt gemacht. Sie sind ihrer Basis treu geblieben, haben behutsam geändert und ihre Küche in die Gegenwart transferiert, ohne dabei die Vergangenheit zu verraten. Richtig in Mode sind immer die Dinge, die einen Halbschritt hinter der Avantgarde sind. Und die kommen auch nicht so schnell aus der Mode oder passen sich dem Zeitgeist an.

WANN & WO: Sie waren verheiratet und sind auch Vater eines Sohnes und einer Tochter. Bleibt neben Ihrer Profession überhaupt noch Zeit für Familie? Wie bringen Sie Privatleben und Berufung unter einen Hut?

Eckart Witzigmann: Ich kann da nur aus eigener Erfahrung berichten, dass es ungeheuerlich schwer ist, in diesem Geschäft erfolgreich zu sein und zugleich ein erfülltes Familienleben zu haben. Wenn man dem Beruf und dem Ehrgeiz alles unterordnet, dann gibt es kein Privat- oder Familienleben, da hat der Herd immer Priorität. Das ist sicher auch mit ein Grund dafür, dass heute in der Gastronomie ein eklatanter Nachwuchsmangel herrscht.

WANN & WO: Was war die größte Niederlage in Ihrem Leben? Und wie haben Sie sie weggesteckt?

Eckart Witzigmann: Das war – ich muss es leider immer noch sagen – der plötzliche Unfalltod meines Vaters.

WANN & WO: Welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihrer Persönlichkeit, auf welche würden Sie gerne verzichten?

Eckart Witzigmann: Kreativität, Fleiß, handwerkliche Perfektion und eine kleine Prise Besessenheit waren stets meine Antriebe. Das Suchende, der Zweifel am eigenen Tun, der Wunsch, das Beste noch perfekter zu machen, hat die Menschen an meiner Seite sicher auf harte Belastungsproben gestellt …

WANN & WO: Welche Beziehung pflegen Sie heute zu Ihrer alten Heimat Hohenems und Vorarlberg?

Eckart Witzigmann: Ich habe dort immer noch Verwandte, nur leider sieht man sich nicht sehr oft. Mein Job hat mich immer noch im Griff. Davon abgesehen steht Vorarlberg für mich immer für eine sehr engagierte Gastronomie auf einem sehr hohen Niveau, eingebettet in eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch.

Die gesamte Ausgabe der WANN & WO lesen Sie hier!

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