Die Gespräche wurden nun in einem vom Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierten Projekt ausgewertet.
Wissen um KZs in Wehrmacht weit verbreitet
“Dabei hat sich unter anderem gezeigt, dass das Wissen um Konzentrationslager und Massenverbrechen weiter verbreitet war, als man bisher annehmen konnte”, erklärte Richard Germann vom Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft im APA-Gespräch. Die Ergebnisse wurden gestern, Mittwoch, Abend im Zuge eines Kolloquiums am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien präsentiert (siehe auch: “Abgehört – das familiengeschichtliche Portal zu den Gefangenenakten und Abhörprotokollen aus Fort Hunt)
Soldaten gezielt zusammengelegt
Gezielt legten die Alliierten auch Wehrmachtsoldaten aus gleichen Bereichen wie etwa der U-Boot-Technik oder Waffen-SS-Angehörige zusammen, um so die gewünschten Informationen zu generieren. “Da gab es die unterschiedlichsten Versuchsanordnungen”, schilderte Germann. Suchte man eher oberflächliches Wissen, legte man einfache Soldaten und Spezialisten zusammen, wollte man Details, fanden sich Experten eines Faches zusammen in einer Unterkunft wieder. Auch Generäle, Offiziere oder andere hohe Dienstgrade wurden gerne zusammengelegt, um mehr über Kriegspläne und Mechanismen der höheren Militärführung zu erfahren.
Worüber sich Soldaten unterhalten
Tatsächlich drehten sich die Gespräche der Soldaten meistens um den Krieg, die Technik und Waffen. Aber auch die Heimat und die Sorge um die Familie nahmen größeren Raum ein. “Man sorgte sich etwa aufgrund der Luftangriffe. Das interessierte den britischen Geheimdienst vor allem in Bezug auf die Möglichkeiten der psychologischen Kriegsführung”, meinte der Historiker.
KZs als Orte des Massenmordes bekannt
Zu den Themen, die den Abhörspezialisten als kriegsrelevant erschienen, gehörten auch der Austausch über Konzentrationslager und die Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung. “Das Wissen war doch breit gefächert”, erläuterte Germann. “Immer wieder wurden Konzentrationslager als Orte angesprochen, aus denen nur wenige Menschen wieder lebend herauskommen. Die Sache wurde meist direkt beim Namen genannt.” Mehrheitlich hätten die Soldaten diese Geschehnisse allerdings negativ gedeutet. Gefunden wurden die rund 20.000 Protokolle aus den Jahren 1940 bis Kriegsende in den Archiven Londons und Washingtons.
NS-Prominenz negativ bewertet
Aber nicht nur Waffen oder Familie gehörten zu den häufigsten Gesprächsthemen, auch die eigenen Vorgesetzten sowie die “Prominenz” des nationalsozialistischen Regimes waren Thema. “Tendenziell wurde über die Führungselite des Dritten Reichs eher negativ gesprochen”, sagte Germann. “Vor allem einzelne Persönlichkeiten wie etwa Hermann Göring wurden schlecht bewertet.” Einige Kriegsgefangene erkannten auch, welche Gefahr Deutschland durch die Entscheidungen Hitlers drohte und sprachen ganz offen darüber.
Österreich spielt kaum eine Rolle
Österreich selbst spielte dagegen in den Gesprächen der Gefangenen kaum eine Rolle. “Eine etwaige Sehnsucht nach Österreich wäre aus Gründen der psychologischen Kriegsführung sicher verschriftlicht worden”, zeigt sich Germann überzeugt. So wurden eher das persönliche Schicksal von Kurt Schuschnigg sowie der Moment des “Anschluss” besprochen.
“In diesem Punkt gab es mitunter deutliche Meinungsunterschiede zwischen deutschen und österreichischen Wehrmachtsangehörigen. Die Österreicher hatten sich die Eingliederung ins Dritte Reich sichtlich anders vorgestellt und wollten den Deutschen einen ‘Sieg von 1938’ nicht gönnen.”
Furcht vor der Rache sowjetischer Streitkräfte
Der Großteil der Protokolle stammt aus 1943/44 – daher spielen auch Zukunftsvorstellungen und Überlegungen zum Ende des Krieges eine Rolle. “Man fürchtete sich vor allem vor Racheaktionen der sowjetischen Streitkräfte an der Familie zuhause. Denn vielfach hatten die Soldaten die deutschen Gräueltaten an der sowjetischen Zivilbevölkerung selbst erlebt”, so der Historiker.
Keine gemeinsame Österreich-Identität
Die Zukunft Österreichs blieb dabei weiter kein Thema – ab und zu seien Stereotypen wie “alleine wirtschaftlich nicht lebensfähig” kursiert, meinte Germann. “Eine gemeinsame Österreich-Identität gab es aber einfach nicht.”
Über 3.000 deutsche Soldaten heimlich belauscht
Die Wissenschafter bieten Angehörigen und Nachfahren von österreichischen Kriegsgefangenen die Möglichkeit, Kopien von Akten aus dem US-Kriegsgefangenenlager Fort Hunt bei Washington zu erhalten. In dem Lager wurden während des Zweiten Weltkrieges über 3.000 deutsche Wehrmachtssoldaten, darunter knapp 300 aus Österreich, interniert, vernommen und über versteckte Mikrophone heimlich belauscht.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Abhörprotokolle kann übrigens über das neue Crowdfunding-Portal inject-power.at mitfinanziert werden, ab 20 Euro ist man dabei.
(APA/ red)
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