Was eine akademische Angelegenheit hätte werden können, verbindet sich zu einer geschmeidigen Mischung aus warmherziger Schilderung einer emanzipierten Frau und einem Essay über die Verantwortung der freien Denkerin. Ab Freitag im Kino.Als die jüdisch-intellektuelle Diaspora in New York 1960 die Nachricht von der Entführung des Naziverbrechers Adolf Eichmann nach Israel erreicht, beschließt die bis zu diesem Zeitpunkt nur in Fachkreisen bekannte Philosophin Hannah Arendt (Barbara Sukowa), für den “New Yorker” vom Prozess in Jerusalem zu berichten – eine Entscheidung, welche die seit 1941 im amerikanischen Exil lebende Denkerin mit heftigen Anfeindungen konfrontierte. Ihre Analyse des einstigen SS-Obersturmbannführers und Organisators der Deportationen in die Vernichtungslager als tumben Durchschnittsmenschen mit Bürokratensprache, der sich selbst als reinen Empfänger in der Befehlskette sah, traf auf Widerstand. Sogar ihr väterlicher Freund Kurt Blumenfeld (Michael Degen) wandte sich noch am Totenbett von Arendt ab. Die Philosophin blieb ihrer Überzeugung jedoch treu und legte 1963 ihre Studie “Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen” vor – und wurde spätestens damit zur öffentlichen Person der Zeitgeschichte.
“Hannah Arendt”: Tiefsinniges Kammerspiel über das banale Böse
Margarethe von Trotta konzentriert sich beinahe ausschließlich auf diese entscheidende Zeit. Sie vermeidet damit den Fehler vieler Biopics, die sich krampfhaft an den entscheidenden Stationen eines Lebens rastlos abarbeiten, ohne dabei auf den Menschen dahinter eingehen zu können. So bleibt dem Film die Muße, im Rahmen eines enggestrickten Kammerspiels den Zuschauern die Grundfragen von Meinungsstärke und der Stärke, die eigene Meinung auch gegen Widerstände zu vertreten, näherzubringen.
Zugleich wird Arendt nicht als eherne Säulenheilige porträtiert, sondern dank der frappanten Wandlungsfähigkeit von Barbara Sukowa auch als Privatmensch in ihrer Gesamtheit erfassbar. Von Trottas langjähriger künstlerischer Partnerin gelingt es, das markante Arendt-Englisch mit deutschem Akzent zu rekonstruieren, ohne dies als Persiflage erscheinen zu lassen. Auch der äußerst liebevollen Beziehung mit ihrem Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) räumt der Film Raum ein. Einzig in vier kurzen Rückblenden weicht von Trotta von ihrem konzisen Konzept ab und gibt in Rückblenden Impressionen der Liebesgeschichte zwischen der jungen Arendt und Martin Heidegger (Klaus Pohl), der sich später mit den Nazis arrangierte.
Über das Porträt einer Einzelperson wird “Hannah Arendt” eine Zeitcollage, die von Trotta ganz im Farbspektrum der 1960er hält und zugleich die Identitätssuche des jüdischen Volkes nach dem Holocaust begleitet. Und noch etwas hebt das Werk von anderen Filmen wohltuend ab: Selten wird heutzutage noch so genüsslich und ausdauernd auf der Leinwand geraucht.
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