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Großbritannien: Cameron kann künftig allein regieren – Nationalisten holen Schottland

Camerons Konservative gewinnt die Parlamentswahlen in Großbritannien. An der Absoluten dürfte er aber knapp vorbeischrammen.
Camerons Konservative gewinnt die Parlamentswahlen in Großbritannien. An der Absoluten dürfte er aber knapp vorbeischrammen. ©AP
Das hatte niemand vorausgesagt. David Cameron ist klarer Wahlsieger in Großbritannien und wird mit seinen Konservativen künftig wohl allein regieren. Schottland hat unterdessen politisch nur noch wenig mit dem Rest des Landes zu tun.

Das Lächeln David Camerons war noch zurückhaltend, aber vielsagend. Der britische Premierminister hat es geschafft: Seine Tories haben die Unterhauswahl gewonnen, und das viel deutlicher, als Wahlforscher – und sicherlich auch er selbst – vorausgesehen haben. Sein Satz “Das war eine sehr starke Nacht für die Konservativen” auf der kleinen Bühne in seinem Wahlkreis Witney klang bescheiden. In Expertenrunden wurde derweil darüber gesprochen, ob Cameron die Partei bei der Wahl am Donnerstag zu einer absoluten Mehrheit geführt hat.

Cameron großer Wahlsieger – absolute Mehrheit wahrscheinlich

Cameron und seine konservativen Tories werden künftig regieren können, ohne auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein. In der Früh lag die Konservative Partei laut BBC mit 313 gewonnenen Sitzen uneinholbar vor der Labour Party mit 227 Mandaten. Bisher wurden 627 der 650 Sitze ausgezählt. Laut Prognosen reicht es für Cameron sogar zur absoluten Mehrheit: Seiner Partei werden bis zu 329 der 650 Mandate im Unterhaus vorhergesagt.

Wahl-Debakel für Ed Miliband

Der Labour-Politiker Ed Miliband, dem von Meinungsforscher bis unmittelbar vor Öffnung der Wahllokale gute Chancen auf eine Ablösung Camerons in der Downing Street vorhergesagt worden waren, wurde zum großen Verlierer der Wahl. Die von ihm seit fünf Jahren geführten Sozialdemokraten kommen nur noch auf rund 230 Sitze und unterbieten damit noch ihr schlechtes Ergebnis von 2010, als sie 258 Parlamentarier stellten.

Zu den Verlierern zählen auch die bisher mitregierenden Liberaldemokraten. Ihre bisher 57 Mandate reduzieren sich auf nur noch etwa ein Dutzend. Als strahlende Siegerin steht hingegen die Vorsitzende der schottischen Unabhängigkeitspartei SNP, Nicola Sturgeon, da. Die SNP errang in Schottland 56 der 59 Sitze und stellt damit künftig die drittstärkste Fraktion in Westminster.

Labour-Chef gesteht Niederlage ein

Als Miliband seinen eigenen Wahlkreis Doncaster North am frühen Morgen gewann, nahm er die Worte “Niederlage” und “Rücktritt” zwar nicht in den Mund, die Botschaft war aber klar: “Das war eindeutig eine sehr schwierige enttäuschende Nacht für die Labour-Partei.” Blass und sichtlich erschöpft stand der 45-Jährige neben seinen Konkurrenten, spielte unsicher an seinen Händen herum, das Lächeln resigniert. Dass er den Parteivorsitz abgeben werde, schien am Freitagmorgen nur eine Frage der Zeit.

Die nächste Regierung habe eine große Verantwortung, alle Teile des Königreiches zusammenzuhalten. Miliband war mit dem Ziel angetreten, die Regierung von Premierminister David Cameron abzulösen.

Miliband tritt noch am Freitag zurück

Der deutlich unterlegene Herausforderer Ed Miliband tritt nach Informationen der BBC als Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour Party ab. Der Fernsehsender nannte keine Quellen. Miliband hat für den Mittag eine Erklärung angekündigt. Er ist seit 2010 Labour-Chef, nachdem er seinen Bruder David bei einem Parteitag im Rennen um den Vorsitz knapp überflügelt hatte.

Schottische Nationalisten erringen 56 von 59 Sitzen in Schottland

Die Schottische Nationalpartei (SNP) von Nicola Sturgeon hat unterdessen einen Erdrutschsieg in Schottland eingefahren. Die Partei, die nur in dem nördlichen Landesteil antrat, errang laut dem vorläufigen Endergebnis von Freitagmorgen 56 der 59 Mandate in Schottland. Bisher hatte sie nur sechs Sitze in Westminster gehabt.

“Glückwunsch an unsere 56 Parlamentsabgeordneten und danke an alle, die der SNP ihr Vertrauen ausgesprochen haben”, schrieb die Partei nach Bekanntgabe des Ergebnisses aus dem letzten Wahlkreis auf Twitter.

Mehr Selbstständigkeit hatten die Londoner Parteichefs den Schotten versprochen und dann nach dem Referendum doch nur über England geredet. Es war das erklärte Ziel von Parteichefin Nicola Sturgeon, Cameron aus der Downing Street zu vertreiben. Daraus wird nun nichts. Dass die SNP fast alle der 59 schottischen Parlamentssitze gewonnen hat, wird Großbritannien trotzdem zu schaffen machen, spätestens während des EU-Referendums. Zumindest ein “Brexit”, also der Ausstieg aus der Union, dürfte zu einem neuen Schottland-Referendum führen – diesmal vielleicht mit anderem Ergebnis.

Die Schotten hatten sich erst im September in einer Volksabstimmung gegen die Abspaltung von Großbritannien ausgesprochen. Dies hatte dem Ansehen der SNP, die sich an vorderster Front für die Unabhängigkeit stark gemacht hatte, aber nicht geschadet.

“Der schottische Löwe hat gebrüllt”

“Der schottische Löwe hat gebrüllt”, sagte der frühere SNP-Chef Alex Salmond. “Ein heftiger Wind bläst heute morgen durch das große Tal von Schottland.”

Schottin jüngstes britisches Parlamentsmitglied seit 1667

Schottland war bisher eine Labour-Hochburg, doch verloren nun auch führende Politiker wie der schottische Labour-Chef Jim Murphy ihr Mandat an die SNP. Der Labour-Wahlkampfmanager Douglas Alexander unterlag seinerseits gegen die erst 20-jährige SNP-Kandidatin Mhairi Black, die damit zum jüngsten Mitglied des Unterhauses seit 1667 wird. Auch der schottische Labour-Chef Jim Murphy muss seinen Sitz im Parlament für die SNP räumen.

Camerons “Politik für jeden”

Cameron – im Tory-blauen Anzug und überraschend frisch nach einer durchgemachten Nacht – las schon einmal ein kleines Regierungsprogramm vor: “Politik für jeden” wolle er machen und das Vereinigte Königreich zusammenhalten. Und natürlich sein Großprojekt durchziehen: das Referendum über die EU-Mitgliedschaft. Dazu könne es nun schon im kommenden Jahr kommen und nicht wie versprochen spätestens Ende 2017, mutmaßte der Politologe Tony Travers von der London School of Economics.

Londoner Bürgermeister zieht ins Parlament ein

“Es ist ein bemerkenswerter Umschwung”, sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson, der sein Direktmandat klar gewann und damit ins Parlament einzieht, aber sein Bürgermeisteramt behält. Die Umfragen noch am Tag der Wahl hatten einen wesentlich knapperen Wahlausgang vorhergesehen.

Die großen Verlierer der britischen Wahl

Die britische Wahlnacht hatte neben Miliband weitere große Verlierer: Nick Clegg und seine Liberaldemokraten wurden böse abgestraft von ihren Wählern. Von bisher 57 Sitzen dürfen die LibDems, bisher Camerons Koalitionspartner, wohl nur rund ein Dutzend behalten. “Grausam” sei die Nacht und “eine Abstrafung”, gab Clegg unverblümt zu und kündigte Gespräche über seine Zukunft an. Wirtschaftsminister Vince Cable schaffte es nicht mal als Abgeordneter ins Parlament. Wenn Cameron alleine regiert, droht den Liberalen – wenigstens vorübergehend – der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.

Ukip gewinnt laut Exit Polls zwei Parlamentssitze

Die rechtspopulistische Ukip, die einen Austritt Großbritannien aus der Europäischen Union anstrebt, gewann laut der Prognose zwei Parlamentssitze – ebenso wie die Grünen. 2010 hatten nur 3,1 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei Ukip-Kandidaten gemacht und kein Abgeordneter war ins Parlament eingezogen. Im Herbst waren zwei konservative Parlamentarier zu Ukip gewechselt, nachdem die EU-Gegner bei der Europawahl stärkste Kraft geworden waren.

Farage nicht im Parlament

Der Parteichef der UK Independence Party (UKIP), Nigel Farage, hat es nicht ins britische Parlament geschafft. Der Vorsitzende der eurokritischen Partei verlor mit 32 Prozent der Stimmen bei der Unterhauswahl in seinem Wahlkreis South Thanet gegen den Kandidaten der Konservativen Partei, Craig Mackinlay, mit 38 Prozent. Vor der Wahl hatte Farage angekündigt, vom UKIP-Parteivorsitz zurückzutreten, sollte er das Direktmandat nicht gewinnen. UKIP fordert eine Begrenzung der Einwanderung und einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

(dpa/APA/red)

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