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Glass Cliff: Frauen auf Spitzenposten, aber nur in der Krise

Wenn ein Unternehmen oder eine Organisation in eine Krise stürzt, sind es auffallend oft Frauen, die zum Aufräumen auf den Chefsessel berufen werden. Was auf den ersten Blick zufällig wirkt, wurde erstmals 2005 auch empirisch belegt. Für die "Glass Cliff" ("gläserne Klippe"), wie das Phänomen von den Studienautoren damals getauft wurde, gibt es auch in Österreich Beispiele.

Ausgangspunkt für die Forschung zur Glass Cliff war zu Beginn der 2000er-Jahre, dass ein Zusammenhang zwischen weiblicher Führung und schlechter Unternehmensperformance erkannt wurde. Zunächst sei daraus geschlossen worden, dass Frauen nicht führen können, erklärte Isabella Grabner, Professorin am Institut für Unternehmensführung an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) im Gespräch mit der APA.

Wirtschaftskammer-Personalie könnte jüngstes Beispiel sein

Dann habe eine genauere Analyse gezeigt, "dass es nicht so ist, dass Frauen eine schlechtere Performance bringen, sondern dass sie in Krisensituationen, wo das Unternehmen bereits schlecht performt, öfter in solche Positionen gebracht werden", erklärte Grabner. Die Bezeichnung ist eine Anlehnung an die sogenannte "Gläserne Decke". Der Begriff wurde in den 1970er-Jahren geprägt und beschreibt Stereotype und Vorurteile als "unsichtbare Barriere", die den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen verhindert, obwohl sie qualifiziert wären.

Nach Diskussionen rund um eine Gehaltserhöhung der Belegschaft in der Wirtschaftskammer (WKÖ), Erhöhungen der Bezüge in den Präsidien und verunglückte Kommunikation musste der bisherige WKÖ-Präsident Harald Mahrer vergangene Woche endgültig seinen Hut nehmen. Erstmals seit 1946 übernimmt mit Martha Schultz nun eine Frau den Job als Präsidentin der WKÖ, allerdings nur interimistisch. Sie will "jetzt zeigen, dass die Wirtschaftskammer bereit ist, sich zu verändern", wie sie an Mitarbeiter und Funktionäre schrieb. Laut dem gewerkschaftsnahen Momentum Institut ein typisches Beispiel für das Glass Cliff Phänomen. Der Thinktank hat bereits am vergangenen Wochenende ein Video dazu auf seinen Social-Media-Kanälen veröffentlicht.

"Typisch weibliche Attribute" nur in Krisenzeiten gefragt

Der Grund dafür, dass Frauen in Krisensituationen oft in Top-Positionen berufen werden, liege darin, dass sie mit "typischen Attributen wie kommunikativ, kooperativ und konfliktvermittelnd" in Verbindung gebracht würden, die in Krisensituationen als notwendig erachtet werden, sagte Grabner. Allerdings: "Führungsverantwortung und Führungsqualität werden dann doch wieder mit männlichen Attributen wie Durchsetzungsfähigkeit, Vision und Wachstumspotenzial assoziiert", so die WU-Professorin.

"Vor allem in Situationen, wo das Unternehmen finanziell, strukturell oder, wie jetzt bei der Wirtschaftskammer, auch reputativ angegriffen ist, dort glaubt man dann, dass eine Frau das besser machen könnte", so die Forscherin. Für Frauen biete sich damit eine seltene Chance auf eine Top-Position, "das sind aber Unternehmen, wo die Erfolgswahrscheinlichkeit von Anfang an viel kleiner ist". Im Fall von Martha Schultz sei die Aufgabe nun, zu beruhigen und erste strukturelle Maßnahmen zu überlegen, "wo man sagt, dafür braucht man eben diese weiblichen Attribute", sagte Grabner.

Grabner sieht für Frauen in Führungspositionen ein "Double-Bind-Dilemma": Einerseits würden die typisch weiblichen Attribute, aufgrund derer Frauen oft in Führungspositionen berufen werden, langfristig als "zu weich" und "nicht-führungsstark" wahrgenommen. Wenn eine Frau aber "durchsetzungskräftig" agiere, werde sie als "zu hart, zu aggressiv" empfunden. "Frauen können in solchen Situationen fast gar nicht gewinnen", sagte die WU-Forscherin.

Bierlein und Rendi-Wagner werden als prominente Beispiele gesehen

Ein weiteres österreichisches Beispiel für die Glass Cliff sieht Grabner in Brigitte Bierlein. "Dass wir in Österreich das erste und einzige Mal eine weibliche Bundeskanzlerin hatten, war wirklich dieser absoluten Krisensituation geschuldet". Weitere bekannte Beispiele seien etwa Theresa May, die rund um das Brexit-Referendum als Premierministerin des Vereinigten Königreichs übernahm, Marissa Mayer, die 2012 in einer Krise auf den Chefposten bei Yahoo berufen wurde oder Andrea Nahles, die 2017 in einer Krise zur Vorsitzenden der deutschen SPD gewählt wurde. Auch Pamela Rendi-Wagner, die nach dem Rückzug von Christian Kern 2018 als erste Frau Vorsitzende der SPÖ wurde, wird mit der Glass Cliff in Verbindung gebracht.

Insgesamt seien Strukturen in Unternehmen noch immer sehr männlich-dominiert und auf Männer orientiert, sagte Grabner mit Blick auf Personalmanagement und Beförderungssysteme. "Die Stereotype und die Biases manifestieren sich anders, aber sie sind noch immer da", so die WU-Professorin. Schwierig daran: offene Diskriminierung sei deutlich leichter zu erkennen als "diese, subtilen oft unbewussten Formen der Ungleichbehandlung".

Nachteile für Frauen ergeben sich vor allem durch Mutterschaft. "Was es bräuchte, ist eine verpflichtende Aufteilung der Elternzeit" zwischen Frauen und Männern, sagte Grabner. In Ländern wie Österreich würden Unternehmen bereits vor einer Schwangerschaft damit rechnen, dass Frauen in Karenz gehen und Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten würden entsprechend begrenzt. "Frauen werden so strukturell benachteiligt, da ist klar, dass die Karrieren und die Gehälter stagnieren", so die WU-Forscherin. Grabner sprach sich auch für verpflichtende Quoten für Führungspositionen aus, allerdings in Kombination mit Maßnahmen, die Unternehmenskultur, Personalmanagement und Gehaltstransparenz verbessern.

(APA)

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