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Gewichtskontrolle und Dauer-Rufbereitschaft: Wenn "24-Stunden-Betreuung" zur Demütigung wird

Strobel/VOL.AT
Strobel/VOL.AT
Der in Vorarlberg weit verbreitete Begriff "24-Stunden-Betreuung" weckt seit Jahren die Illusion ständiger Verfügbarkeit – mit spürbaren Folgen für die Betreuerinnen, ihren Arbeitsalltag, gängige Rollenbilder und die Grenzen des Zumutbaren.

"24-Stunden-Betreuung" – ein Versprechen, das niemand halten kann

Der Ausdruck "24-Stunden-Betreuung" gehört in Vorarlberg längst zum Standardvokabular, wenn es um Pflege zu Hause geht – und führt doch in die Irre. Betreuerinnen, Vermittlungsagenturen und die Wirtschaftskammer berichten übereinstimmend, dass der Begriff falsche Vorstellungen weckt und im Alltag zu Überforderungen führt. In manchen Haushalten werde aus dem Marketingwort eine Erwartungshaltung: immer ansprechbar, immer zuständig, immer verfügbar.

"Die Leute glauben, wir sind immer da"

Lavinia Beuca arbeitet seit Jahren als Betreuerin in Vorarlberg. Sie erlebt, was Kolleginnen in der Branche immer wieder schildern: Der Begriff "24-Stunden-Betreuung" suggeriere Präsenz ohne Pause – und schlage sich direkt im Umgang mit den Betreuerinnen nieder.
"Die Leute begreifen das so, dass wir 24 Stunden für sie da sind. Aber es geht gar nicht. Kein Mensch kann 24 Stunden arbeiten", sagt sie.

Besonders Kolleginnen mit geringen Deutschkenntnissen würden die Belastung oft still hinnehmen. Die Realität in einigen Haushalten sei schlicht prekär: "Wir kriegen nichts zu essen", erzählt Beuca. Ältere Menschen würden häufig sehr wenig essen – entsprechend knapp falle dann auch die Verpflegung der Betreuerin aus. Dazu kämen abwertende Bemerkungen über Herkunft oder Sprache, weil sie aus Rumänien kommen. Ihr Appell ist klar: mehr Respekt, weniger Vorurteile – und ein Begriff, der die tatsächliche Arbeitssituation treffender beschreibt.

Agenturen zwischen Bedarf, Missverständnissen und Grenzen

Auch Herlinde Böhler-Kölbl von der Vermittlungsagentur "Ländle Betreuung" sieht den Begriff selbst als Teil des Problems. Niemand könne rund um die Uhr arbeiten, betont sie. Üblich seien Einsätze von etwa 7 bis 19 Uhr – mit Pausen, Ruhezeiten und klar geregelter Rufbereitschaft.

Konflikte entstehen dort, wo Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede und Erwartungen aufeinandertreffen. Nach Angaben der Vermittlerin ist in vielen Familien die Vorstellung verankert, dass "24-Stunden-Betreuung" eine dauerhafte Verfügbarkeit bedeutet, die Betreuerinnen faktisch nicht leisten können. Um Missverständnissen vorzubeugen, werden daher bereits im Vorfeld Aufgabenbereiche, Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen der Betreuung möglichst klar kommuniziert.

Gleichzeitig steigt der Bedarf an Betreuungskräften, während qualifiziertes Personal schwer zu finden ist. Für Böhler-Kölbl ist klar: Es brauche eine offenere Debatte darüber, was im Rahmen der Personenbetreuung leistbar ist – und wie weit die Verantwortung einer Betreuerin gehen darf, ohne dass daraus faktisch ein Dienst "rund um die Uhr" wird.

"Diesen Beruf gibt es nicht"

Auch Monika Frick, Fachgruppenobfrau für Personenberatung und Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Vorarlberg, kritisiert die Begrifflichkeit. "Diesen Beruf gibt es nicht", sagt sie über die sogenannte 24-Stunden-Betreuung. Personenbetreuerinnen seien selbstständig tätig – und hätten Anspruch auf Pausen und Ruhezeiten.

Trotzdem halte sich in vielen Haushalten die Vorstellung von ständiger Verfügbarkeit. Die Auswirkungen können drastisch sein: Frick berichtet von Betreuerinnen, die unzureichend verpflegt würden oder bei Ankunft und Abreise gewogen würden. In einem Fall sei sogar das Haushaltsgeld gekürzt worden – angeblich wegen einer Gewichtszunahme der Betreuerin.

Frick fordert mehr Aufklärung und eine realistischere Wahrnehmung des Berufsbilds. Denn hinter dem Begriff "24-Stunden-Betreuung" verbergen sich nicht nur organisatorische Missverständnisse – sondern Lebensrealitäten, die dringend differenzierter betrachtet werden müssen.

(VOL.AT)

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