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Gehirnjogging vor dem Bildschirm

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Die Zeiten, als Großeltern über die Computer- und Videospiele ihrer Enkel die Nase rümpften, sind vorbei. Zunehmend und mit wachsendem Erfolg bieten die Hersteller Software zum Gedächtnistraining für die ältere Generation an.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einem Demenzrisiko und Augenproblemen womöglich gut daran tun, ihre grauen Zellen am Bildschirm auf Trab zu halten. Wie hilfreich solche Programme aber tatsächlich sind, ist umstritten.

Der japanische Branchenriese Nintendo hat nach eigenen Angaben weltweit mehr als 8,6 Millionen Kopien seines Gedächtnistrainings-Programms „Brain Age“ für die Spielkonsole DS verkauft. Zwar verspricht der Hersteller keinen direkten gesundheitlichen Effekt. Wohl aber bringe die vom japanischen Neurologen Ryuta Kawashima entwickelte Software die Gehirne ihrer Nutzer „auf Hochtouren“, wirbt Nintendo. Die Aufgaben für die meist älteren Nutzer sind breit gestreut, reichen vom klassischen Gedächtnistraining bis hin zu Mathematik, Lesen und sogar Musik. Dem Unternehmen zufolge wird vor allem jener Teil des Gehirns stimuliert, mit dessen Hilfe gespeichertes Wissen im Alltag abgerufen wird.

Lynn Lipton ist begeistert: „Die Spiele helfen mir bei der Konzentration und verbessern das Erinnerungsvermögen“, sagt die 67-jährige Großmutter aus Poughkeepsie (US-Bundesstaat New York). Vor allem mit dem Einmaleins habe sie immer größere Probleme bekommen, erzählt sie. Heute schärfe sie ihren Verstand am Monitor.

Nintendo-Sprecher Andrew Carle sieht in einer alternden Gesellschaft großes Potenzial für solche Angebote. Viele Senioren wollten „ihr Gedächtnis trainieren und intellektuell aktiv bleiben“, sagt er. Die Wissenschaft habe festgestellt, dass sich das Gehirn genauso trainieren lasse wie der Körper, erläutert der Washingtoner Altersforscher. So könnten neue Nervenzellen sprießen und neue Verschaltungen entstehen – sogar verloren gegangene Funktionen könnten wiedererlangt werden, glaubt Carle.

Auch der amerikanische Neuro-Forscher C. Shawn Green von der Universität Rochester schreibt den Programmen eine gewisse positive Wirkung zu. So hätten seine Studien ergeben, dass Videospieler ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen hätten – was ihnen womöglich Vorteile etwa beim Autofahren verschaffe. Green ist sich jedoch im Gegensatz zu den Herstellern nicht sicher, ob Video- und Computerspiele geistigen Verfall oder Sehprobleme im Alter tatsächlich verhindern können.

Michael Scanlon glaubt das schon. Der frühere Neurowissenschafter der Universität Stanford ist Mitgründer von „Lumosity“, einer Internetseite, auf der Nutzer ihr Gehirn trainieren können. „Damit die Seite auch Spaß macht, haben wir uns viel bei den Video-Spielen abgeguckt“, sagt Scanlon. So bietet „Lumosity“ zum Beispiel ein tägliches zehnminütiges „Gehirn-Fitness“ an. „Menschen, die die Übungen gemacht haben, hatten ein besseres Gedächtnis und waren aufmerksamer.“

Anbietern wie Nintendo und „Lumosity“ geht es vor allem darum, die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern, etwa die Geschwindigkeit von Denkprozessen und das Erinnerungsvermögen. So wird zum Beispiel schnelles Kopfrechnen gefordert, oder die Nutzer müssen bei einem Videospiel bestimmte Hindernisse im Gedächtnis behalten. In Scanlons Augen bieten solche Spiele eine perfekte Ergänzung zu anderen Aktivitäten wie Kreuzworträtseln, die wiederum einen positiven Einfluss auf das Sprachvermögen hätten.

Während „Lumosity“ auf einzelne Abonnenten im Internet abzielt, setzen Softwareanbieter wie das US-Unternehmen Posit Science Corporation auf Verträge im großen Stil. Kürzlich hat der Anbieter einen Vertrag mit dem US-Pflegeversicherer Penn Treaty abgeschlossen – Ziel ist es laut dem Unternehmen, das Gedächtnistraining populärer zu machen und Demenzkrankheiten hinauszuzögern.

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