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Viele Mütter wissen nicht, dass ihre Schmerzen behandelbar wären.
Viele Mütter wissen nicht, dass ihre Schmerzen behandelbar wären. ©handout/privat

"Geburt ist eine Grenzerfahrung" – was Frauen über Geburtsverletzungen und Rückbildung wissen sollten

Viele Frauen leiden nach der Geburt still – Schmerzen, Inkontinenz, Probleme beim Sex, Senkungsgefühle. Doch viele wissen nicht, dass all das behandelbar wäre. Zwei Expertinnen aus Vorarlberg erzählen, welche Geburtsverletzungen sie täglich sehen – und warum so viele Mütter zu spät um Hilfe bitten.

Wie sehr Schwangerschaft und Geburt Körper und Seele fordern

In einem hellen Behandlungsraum in Dornbirn begrüßt Magdalena Latzer ihre Patientinnen meist mit einem Satz, der sofort Druck rausnimmt: "Sie sind nicht die Einzige – und Sie müssen da nicht alleine durch."

Vor 13 Jahren hat sie gemeinsam mit Ines Holzmann und einer weiteren Kollegin die Praxis "Frauensache-Männerthemen" in Dornbirn gegründet. Ihr Spezialgebiet: Beckenbodenphysiotherapie. Täglich sehen sie, wie sehr Schwangerschaft und Geburt Körper und Seele von Frauen fordern.

"Wir behandeln zwar auch Männer und Kinder – aber das, was uns im Alltag am häufigsten begegnet, sind Frauen nach der Geburt mit Beschwerden", erzählt Latzer. Viele von ihnen laufen schon seit Wochen oder Monaten mit Schmerzen, Inkontinenz oder einem unangenehmen Druckgefühl im Unterleib herum – in dem Glauben, das sei eben der Preis fürs Mutterwerden. "So nach dem Motto: Du hast ein Kind bekommen, dass du jetzt Harn verlierst, ist halt normal", sagt Latzer. "Wir sind überhaupt nicht der Meinung, dass das so sein muss."

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"Wochenbett heißt Wochenbett – nicht Terminstress"

Aus Sicht der beiden beginnt gute Nachsorge schon, bevor das Baby überhaupt da ist. "Wundheilung und Rückbildung starten sofort nach der Geburt – und man kann sie optimal begleiten", erklärt Latzer.

Wichtig wäre deshalb, dass Frauen bereits in der Schwangerschaft wissen, wie sie sich im Wochenbett schonen können:

  • Wie hebe ich mein Baby, ohne dass mir alles weh tut?
  • Wie trage ich das Maxi-Cosi, ohne dass der Bauch zieht?
  • Wie gehe ich aufs WC, wenn ich am Damm genäht wurde? Wie kann ich generell schonend entleeren?

"Wenn ich das vorher schon einmal gehört und vielleicht geübt habe, muss ich nicht in der ersten Woche nach der Geburt fünf Termine organisieren, obwohl eigentlich Ruhe angesagt wäre", sagt sie. "Wochenbett heißt Wochenbett – nicht Terminstress."

In der "Frauensache-Männerthemen"-Praxis. ©handout/privat

"Spätestens dann braucht es dringend Hilfe"

In der Realität melden sich die meisten leider erst, wenn es irgendwo wirklich weh tut. Typische Geburtsverletzungen sind:

  • Schmerzen an der Dammnaht
  • Probleme an der Kaiserschnittnarbe
  • Harnverlust nach der Geburt
  • Scheidenrisse
  • Senkungsbeschwerden

"Senkungsbeschwerden heißt, dass die Frauen nach einer kleinen Spazier-Runde plötzlich einen Druck im Vaginalbereich spüren, ein Fremdkörpergefühl", erklärt sie. Manchmal gehe es sogar um Stuhlverlust. "Spätestens dann braucht es in unseren Augen dringend Hilfe."

Für jede Patientin wird ein individueller Therapieplan erstellt. ©handout/privat

Vaginale Geburtsverletzungen vs. Kaiserschnittnarbe

Die häufigsten Geburtsverletzungen, die die beiden in der Praxis sehen, sind Dammrisse – insbesondere Dammriss Grad 2 – und Kaiserschnittnarben. "Das sind zwei völlig verschiedene Baustellen", sagt Latzer.

Nach einer vaginalen Geburt gehe es vor allem darum,

  • die Wahrnehmung im Beckenboden wieder aufzubauen,
  • die Stabilität von Beckenboden und Unterbauch zu verbessern und
  • eine gute Narbenheilung im Dammbereich zu unterstützen.

Ein Kaiserschnitt hingegen ist "eine große Bauch-OP". "Da liegt der Fokus auf der sogenannten Rumpfkapsel – dem Zusammenspiel aus Bauch, Beckenboden, Rücken und Zwerchfell", so Latzer. Ziel sei, dass die Gesamtstabilität wieder stimmt. "Das betrifft zwar auch Frauen nach vaginaler Geburt, aber der Schwerpunkt ist je nach Geburtsmodus ein anderer."

"Je besser wir die Situation kennen, desto gezielter können wir helfen"

In vielen Fällen ist es für die Therapeutinnen hilfreich, auch einen Tastbefund durchzuführen.

Was ist ein vaginaler Tastbefund?

Ein vaginaler Tastbefund ist eine behutsame, manuelle Untersuchung über die Vagina, bei der die Therapeutin spürt, wie sich Gewebe, Muskulatur und Narben anfühlen und wie gut sich der Beckenboden an- und entspannen kann.

"Das erklären wir in Ruhe – und es ist immer freiwillig", betont Latzer. "Aber ein guter Tastbefund sagt uns, wie es dem Gewebe geht: Kraft, Ausdauer, Schnellkraft, Verschieblichkeit, Narbenzustand.“

Besonders sensibel gehen sie mit Frauen um, die Missbrauchserfahrungen hatten. "Wir drängen niemanden, wir lassen Zeit – aber je besser wir die Situation kennen, desto gezielter können wir helfen."

Narben, die ziehen – und was man dagegen tun kann

Narben nach Dammriss oder Kaiserschnitt können lange Probleme machen. "Da gibt es ganz viele verschiedene Techniken, wie wir arbeiten können", sagt Holzmann.

In der Praxis kommen unter anderem zum Einsatz:

  • manuelle Narbenmobilisation
  • Arbeiten am Bindegewebe
  • Wiederherstellen der Gewebeverschiebbarkeit
  • unterstützende Cremes
  • ein sogenannter Minilaser bei schmerzhaften, verklebten Narben

"Wir haben mit dem Laser sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn die Gleitfähigkeit nicht gegeben ist", erzählt sie. Ziel sei immer, dass das Gewebe wieder weich, elastisch und belastbar werde – und nicht bei jeder Bewegung ziehe.

Beckenbodenphysiotherapie kann Schmerzen, Senkungsgefühle und Inkontinenz deutlich verbessern. ©handout/privat

Tabuthema Sex: Schmerzen, Scham und konkrete Hilfe

Sex nach der Geburt ist oft ein Tabuthema – in der Praxis der beiden aber fixer Bestandteil. "Das ist tatsächlich eines der häufigeren Themen – und wir sprechen es fast immer aktiv an", sagt Latzer. In Fragebögen, die die Frauen ausfüllen, wird auch nach Schmerzen beim Geschlechtsverkehr gefragt.

Wenn eine Narbe die Ursache ist, können manuelle Techniken helfen: "Wenn das Gewebe wieder gut gleitet, nimmt der Schmerz häufig ab", erklärt sie.

Ein anderer häufiger Grund für Schmerzen ist eine erhöhte Grundspannung im Beckenboden. "Wenn wenig Kraft und Bewegung da sind, fährt der Körper aus Sicherheitsgründen die Spannung hoch. Er hält alles fest – und kann dann nicht mehr gut loslassen", beschreibt Holzmann. "Aber gerade beim Geschlechtsverkehr braucht es eine entspannte Muskulatur – nicht eine, die innerlich auf 'Alarm' steht."

Die Praxis befindet sich in der Sebastianstraße in Dornbirn. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Stillende Mütter haben zusätzlich oft mit Trockenheit zu kämpfen. "In der Stillphase ist die Scheide hormonell bedingt weniger befeuchtet. Da geht es viel um Aufklärung und um Tipps für Gleitmittel und Schleimhautpflege", ergänzt Latzer.

Und dann ist da noch die Psyche: "Wer eine traumatische Geburt erlebt hat, kann sich oft schwer wieder öffnen. Das kann ein Grund für Schmerzen oder Nicht-Wollen sein – das muss man ernst nehmen." In solchen Fällen verweisen die beiden gezielt weiter – an Psychologen, Psychotherapeuten oder Sexualtherapeuten.

Nach der Geburt braucht der Körper Zeit – und oft gezielte Unterstützung. ©VOL.AT/Emilia Waanders

"Geburt ist eine Grenzerfahrung": Warum viele Frauen sich schämen

Dass so viele Frauen überhaupt erst spät Hilfe suchen, hat viel mit Scham zu tun. "Natürlich ist es kein einfaches Thema, wenn man im Intimbereich Schmerzen hat oder inkontinent ist", sagt Holzmann. "Die erste Hürde ist oft schon, das beim Arzt anzusprechen."

In der Praxis versuchen sie, "einen ganz feinen Umgang" zu pflegen. Beide sind selbst Mütter und wissen, wie sehr Schwangerschaft und Geburt an den eigenen Grenzen rütteln. "Geburt ist eine Grenzerfahrung", sagt Latzer. "Das muss man auch so stehen lassen – und gleichzeitig darf man sich Hilfe holen, um das gut zu verarbeiten."

Belastung nach der Geburt: Was erlaubt ist – und was nicht

Wie viel eine frischgebackene Mutter heben oder gehen kann, lässt sich laut Holzmann nicht pauschal sagen: "Eine fixe Kiloangabe ist schwierig – eigentlich sagt es einem der Körper sehr genau." Spürt eine Frau beim Heben oder Gehen Druck nach unten, Unwohlsein oder ein Ziehen, sei das ein klares Warnsignal. Auch die körperliche Ausgangslage spielt eine Rolle – jemand, der bis zum siebten Monat noch gejoggt ist, hat andere Möglichkeiten als jemand mit wenig Bewegung.

Viele Mütter wissen nicht, dass ihre Schmerzen behandelbar wären. ©handout/privat

Für den Sport gilt dennoch eine klare Grenze: "Vor drei Monaten nach der Geburt gibt es sicher kein Joggen – egal wie gut man vorher war", sagt Latzer. Erst wenn die Wundheilungsphasen abgeschlossen sind und Gewebe, Stabilität und Beckenboden (auch per Ultraschall) geprüft wurden, kann die Belastung langsam gesteigert werden – am besten begleitet von einer spezialisierten Physiotherapeutin.

Ähnlich individuell ist der frühzeitige Wiedereinstieg in den Job: "In Österreich darf man vor acht Wochen gar nicht arbeiten – das ist eine unglaublich wertvolle Regelung", so Latzer. Danach komme es auf den Beruf und die körperliche Situation an: Zwei Stunden im Büro seien etwas anderes als ein anstrengender körperlicher Job. Wichtig sei, "dass es für alle Beteiligten gut passt".

"Wir verpassen viele Frauen, die sich die Therapie nicht leisten können, obwohl sie dringend Hilfe bräuchten"

Obwohl sich die Versorgung in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat – seit 2016 ist das Krankenhaus Dornbirn ein zertifiziertes Beckenbodenzentrum, und höhergradige Dammrisse sowie Kaiserschnittpatientinnen werden dort standardmäßig physiotherapeutisch betreut – sehen Latzer und Holzmann weiterhin große Lücken. "Spezialisierte Beckenbodenphysiotherapie gibt es derzeit nur als Wahlleistung", erklärt Holzmann. "Die Frauen kommen zwar mit ärztlicher Zuweisung, bekommen aber nur einen Teil der Kosten refundiert." Die Folge: "Wir verpassen viele Frauen, die sich die Therapie nicht leisten können, obwohl sie dringend Hilfe bräuchten."

Die Physiotherapeutinnen Ines Holzmann und Magdalena Latzer. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Ihr großer Wunsch ist daher, dass die Behandlung zur regulären Kassenleistung wird – und langfristig sogar fix im Eltern-Kind-Pass verankert ist. Jede Frau sollte, so die beiden, einmal in der Schwangerschaft und einmal nach der Geburt automatisch Zugang zu einer physiotherapeutischen Beratung haben: zur Vorbereitung auf die Geburt, für Tipps für den Start daheim und für einen Beckenboden-Check, der klärt, ob Rückbildungskurse ausreichen oder individuelle Therapie nötig ist.

Damit Frauen überhaupt bei der richtigen Person landen, betont Latzer: "Beckenbodenphysiotherapeut ist nicht Beckenbodenphysiotherapeut. Ich kann einen Kurs machen oder kann mich richtig in die Thematik spezialisieren." Sie rät zu Fachlisten – etwa bei PhysioAustria oder im Land –, in denen Therapeuten mit nachgewiesenen Qualitätskriterien geführt werden. "Wenn man eine Zuweisung hat, sollte man schauen, dass man bei jemandem landet, der wirklich spezialisiert ist", so Latzer.

Die richtige Therapie kann verhindern, dass Probleme chronisch werden. ©handout/privat

"Einfach Ja sagen"

Am Ende des Gesprächs wird es persönlich. Beide sind selbst Mütter – und wissen, wie verletzlich die Zeit rund um die Geburt ist. Was würden sie anderen Frauen mitgeben, die nach der Geburt mit Beschwerden kämpfen?

Holzmann überlegt kurz und sagt dann: "Wenn dir jemand Hilfe anbietet, einfach Ja sagen. Ja, bitte. Danke." Hilfe annehmen sei kein Zeichen von Schwäche, sondern gesunder Selbstschutz.

Latzer nickt: "Darüber reden, sich nicht schämen. Es gibt nichts, wofür man sich genieren müsste – weder für Tränen noch für Inkontinenz oder Schmerzen beim Sex."

(VOL.AT)

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