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Flüchtlingsexperte kritisiert "Politik der Schande" Europas

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"Die europäische Migrationspolitik ist eine Politik der Schande," sagte Francois Romeo Ntamag, Aktivist und Migrationsexperte, am Montag zur APA. Die auch von Österreich forcierten Rückführungsabkommen seien unwirksam und trügen zu einer "Verschlechterung der Situation" bei, indem sie Leute "einfach rauschmeißen". Europa wolle mit "verantwortungsloser Politik" kurzfristig die Situation lösen.

Nicht alle Herkunftsländer haben die Rückführungsabkommen unterzeichnet, was laut Ntamag dazu führe, dass Kameruner im Senegal landen oder in Mali, wo sie, Rassismus und Xenophobie ausgeliefert, stranden. Der Aktivist selbst ist Migrant aus Kamerun und Mitbegründer der Selbsthilfeorganisation Association des Refoules d’Afrique Centrale au Mali (ARACEM) in Bamako, der Hauptstadt Malis. Sie versucht, zurückgeschobenen Migranten aus allen Ländern “ein Minimum an menschlicher Würde” zu bieten. Viele der Migranten, berichtet er, kommen ohne Kleidung, mit Krankheiten, ohne Geld und Perspektiven durch die Wüste.

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Die Europäische Union würde gewinnen, so Ntamag, indem sie mehr auf die Basisvereinigungen und -akteure achten würde, die in Unmittelbarkeit zu den Betroffenen aktiv sind und könnte so verhindern, dass so viele Menschen im Meer ertrinken und nach Europa kommen. Der Blick solle heute weniger auf die Ursprungsländer als auf die Transitländer gerichtet sein. “Der allergrößte Teil der Migration findet ja innerhalb des afrikanischen Kontinents statt.” Nur eine Minderheit versucht, nach Europa zu emigrieren.

Aber, “so hoch man die Zäune auch baut, es wird nicht gelingen die Migration ganz aufzuhalten”, erläutert der Aktivist. Man könne jedoch – und das sehe er auch als Aufgabe der “reichen Ländern”, die durch die Ausbeutung Afrikas Gewinne verzeichnen – die Jugend und die Möglichkeiten in den Herkunfts- und Transitländern stärken, denn “niemand verlässt freiwillig sein Land”.

Ntamag ist auf Einladung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) für die Veranstaltung “Warum wir gehen. Wohin wir wollen. Migrationsursachen in Afrika” gemeinsam mit dem Ökonom Zakaria Sorgho, der über die ökonomischen Ursachen der Migration aus Afrika forscht, in der Diplomatische Akademie zu Gast in Wien. Auch Sorgho betont die Notwendigkeit der besseren Zusammenarbeit zwischen Experten aus Europa und Afrika.

Jährlich drängen 15 bis 25 Millionen junge Menschen auf den afrikanischen Arbeitsmarkt, der von Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und dem Überlebenskampf im informellen Sektor geprägt ist. Die westafrikanische Wirtschaft bräuchte laut dem Ökonom ein jährliches Wachstum von rund sieben Prozent, derzeit liegt es bei rund vier bis fünf, um ausreichend Arbeitsplätze zu generieren. Dafür wiederum bräuchte es eine Diversifizierung der Wirtschaft, das Schaffen neuer Sektoren außerhalb der Landwirtschaft wie etwa die Weiterverarbeitung der Produkte vor Ort etc.

Es sei ein “Teufelskreis”, so Sorgho, dass die internationale Handelspolitik auf der einen Seite dem afrikanischen Markt sein Handeln diktiere indem man die Finanzierung durch internationale Geldgeber auf bestimmte Bereiche wie die Landwirtschaft einschränke und zum anderen damit indirekt Migration forciert. Es sei jetzt möglich, das Momentum zu nutzen, um die afrikanischen Regierungen zu befähigen, ihre eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse zu ergründen und Strukturen zu schaffen, die die Perspektiven der eigenen Bevölkerung stärken.

Die strukturellen Ursachen von Migration bleiben, ist sich Ntamag sicher, derzeit noch nach wie vor weitgehend ausgeblendet. Der afrikanische Kontinent stecke nach wie vor im Kolonialismus fest: “Es sind die mächtigen europäischen Länder die bis heute indirekt bestimmen wer in Afrika an der Macht ist weil sie afrikanische Despoten aktiv unterstützen.” Zudem seien die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) an Bedingungen geknüpft und Wirtschaftssektoren würden für die europäischen Interessen geöffnet. Es werde Zeit, dass man sich “auf Augenhöhe” begegnet und den Neokolonialismus überwindet, so Ntamag. Afrika könne, so der Aktivist, nicht ohne die Technik, Ausbildung und das Know-how Europas und Europa nicht ohne die Rohstoffe und Bodenschätze aus Europa auskommen. (APA)

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