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Große Koalition in Europa ohne Mehrheit - Liberale legen zu

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Europas Wähler haben den Stab über die langjährige Große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten gebrochen.

Bei der Europawahl haben die beiden großen Parteienfamilien am Sonntag ihre seit 1979 bestehende gemeinsame Parlamentsmehrheit verloren. Die Europäische Volkspartei (EVP) blieb stärkste Kraft, als EU-Kommissionspräsidentin brachte sich aber die Liberale Margrethe Vestager in Stellung.

Nach einer aktualisierten Sitzprognose des Europaparlaments kam die EVP auf 179 der 751 Mandate im Europaparlament, die Sozialdemokraten erreichten 152 Mandate. Gemeinsam fehlen den beiden großen Fraktionen damit 45 Sitze auf die absolute Mehrheit. Bisher hatten die beiden Parteienfamilien die EU-Topjobs untereinander aufgeteilt, was nun nicht mehr möglich sein wird. Bei der Europawahl 2014 hatten sie 221 bzw. 191 Sitze erreicht.

Starke Zugewinne für die Liberalen

Starke Zugewinne konnten die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron verstärkten Liberalen verbuchen, die auf 105 Mandate (2014: 67) kamen. Auch die Grünen legten auf 69 Mandate (50) zu, während die Linken deutlich auf 38 Sitze (52) verloren. Die drei Fraktionen, in denen rechtspopulistische und europaskeptische Parteien zusammengeschlossen sind, werden künftig 171 Mandate haben. Ob der unter anderem von der italienischen Lega und der FPÖ betriebene Plan eines Zusammenschlusses dieser Parteien aufgeht, war aber offen.

Sitze im EU-Parlament
Sitze im EU-Parlament ©APA

Die beiden großen Parteienfamilien hatten mit europaweiten Spitzenkandidaten ihren Anspruch auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten untermauert. Während EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber am Sonntagabend offen ließ, ob er selbst Kommissionschef wird, räumte Timmermans seine Niederlage ein. “Meine politische Fraktion hat verloren, deshalb müssen wir bescheiden sein und ein klares Programm präsentieren”, sagte der niederländische Sozialdemokrat.

Linksliberale Vestager will Chefsessel

Dagegen stellte die dänische Linksliberale Vestager klare Ansprüche auf den Chefposten in der Brüsseler Behörde. “Das Machtmonopol ist aufgebrochen”, sagte die EU-Wettbewerbskommissarin in der Nacht auf Montag in Brüssel. Die Wahl sei “ein Signal für den Wandel”. Es werde Gespräche in den kommenden Tagen geben, es gebe auch Raum für eine neue Führung in den EU-Institutionen, sagte Vestager. Sie sprach sich für eine “progressive Koalition” von politischen Kräften aus, die auch den Klimawandel bekämpfe.

Weber sagte, es sei für EVP, Sozialdemokraten und Liberale an der Zeit, “ab jetzt zusammenzuarbeiten”. Der deutsche EU-Kommissar Günter Oettinger forderte die Sozialdemokraten auf, sich hinter Weber zu stellen. Der siegreiche Spitzenkandidat solle vom schwächeren unterstützt werden, sagte er der “Welt”. Wenn das nicht geschehe, “dann könnten wir eine Blockade im Parlament haben”, mahnte er in der “Welt”.

Grüne mit “Mandat für Wandel”

Erfreut über das Abschneiden ihrer Parteienfamilie zeigte sich die Grüne Ska Keller. “Wir haben ein Mandat für Wandel bekommen”, sagte Keller am Wahlsonntag und zählte “echten Klimaschutz und ein soziales Europa” sowie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Prioritäten auf.

In den 28 Mitgliedsstaaten fielen die Ergebnisse durchaus unterschiedlich aus. Zwar wurden EU-Gegner und Rechtspopulisten in Frankreich, Italien und Großbritannien die stärkste Kraft, in einigen Ländern mussten sie aber empfindliche Rückschläge hinnehmen.

Ergebnis in Großbritannien
Ergebnis in Großbritannien ©APA

So flog etwa in den Niederlanden die Freiheitspartei von Geert Wilders aus dem Europaparlament, während die Dänische Volkspartei drei ihrer vier Europamandate verlor und die rechtsextreme griechische Goldene Morgenröte praktisch halbiert wurde. In Finnland blieben die Wahren Finnen unter den Erwartungen, im benachbarten Schweden legten die Schwedendemokraten hingegen deutlich zu.

Le Pen als Wahlsiegerin in Frankreich

In Frankreich schnitt die Partei der Rechtspopulistin Marine Le Pen zwar schwächer ab als 2014, schlug dafür aber das Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron laut offiziellen Ergebnissen. Wie das französische Innenministerium am frühen Montagmorgen nach Auszählung fast aller Stimmen in Paris mitteilte, kam Le Pens Partei Rassemblement National (RN/Nationale Sammlungsbewegung) auf 23,4 Prozent der Stimmen. Hochrechnungen am Wahlabend hatten Le Pens Partei bereits vorne gesehen. Le Pen sprach am Sonntagabend von einem “Sieg des Volkes” und forderte Macron auf, die Nationalversammlung aufzulösen. Das würde Neuwahlen bedeuten.

Ergebnis Frankreich
Ergebnis Frankreich ©APA

Orban holt über 50 Prozent

Erwartungsgemäß einen klaren Sieg mit 52 Prozent der Stimmen fuhr die rechtskonservative Fidesz des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban ein, der sich als Bindeglied zwischen EVP-Parteien und den EU-Gegnern sieht.

Ergebnis Ungarn
Ergebnis Ungarn ©APA

In Italien landete überraschend die Demokratische Partei auf dem zweiten Platz hinter der Lega von Vizepremier Matteo Salvini.

Ergebnis Italien
Ergebnis Italien ©APA

Während die deutsche SPD auf den dritten Platz hinter die Grünen zurückfiel, fuhren die spanischen Sozialisten einen klaren Sieg ein und werden mit 20 Mandaten künftig die größte nationale Delegation in der S&D-Fraktion stellen.

Ergebnis in Deutschland
Ergebnis in Deutschland ©APA
Ergebnis in Spanien
Ergebnis in Spanien ©APA

In Rumänien haben die regierenden Sozialdemokraten (PSD) die Europawahl verloren. Die Partei unter dem Vorsitz des vorbestraften Liviu Dragnea kam auf 23,39 Prozent der Stimmen, wie die zentrale Wahlbehörde in Bukarest am Montag nach Auszählung fast aller Stimmzettel mitteilte. Drei miteinander konkurrierende Oppositionsparteien erreichten zusammen 54,8 Prozent. Die bürgerliche Partei PNL liegt mit 26,8 Prozent vorne, gefolgt vom öko-bürgerlichen Bündnis USR-Plus mit 21,39 Prozent. Die linke Oppositionspartei Pro Romania des früheren Ministerpräsidenten Victor Ponta kam auf 6,61 Prozent.

Schlappe für Linke in Griechenland

In Griechenland rief der linksgerichtete Ministerpräsident Alexis Tsipras vorgezogene Neuwahlen aus, weil die konservative Nea Dimokratia (ND) mit Abstand den ersten Platz erkämpfte. Eine empfindliche Niederlage musste auch die sozialdemokratische Smer in der Slowakei hinnehmen, die erstmals seit Jahren nicht mehr stärkste Kraft des Landes ist und von der pro-europäischen liberalen Partei “Positive Slowakei” der neuen Präsidentin Zuzana Caputova überholt wurde.

Siegreich waren mit ihren Parteien auch die Regierungsparteien in Polen, Tschechien, Bulgarien, Portugal, Schweden und Dänemark. In Finnland wurden die Sozialdemokraten aber gerade einen Monat nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl von Konservativen und Grünen überholt.

So wählten die kleinen Staaten

Auf Malta gewann die sozialdemokratische Regierungspartei die EU-Wahl laut vorläufigem Endergebnis klar. Die Partei von Ministerpräsident Joseph Muscat kam demnach auf 55,9 Prozent der Stimmen und vier Mandate. Die konservative Nationalist Party erreichte 36,2 Prozent der Stimmen und zwei Mandate. Die anderen Parteien erreichten insgesamt 7,9 Prozent und blieben ohne Mandate.

In Lettland gewann die lettische Regierungspartei “Einigkeit” die EU-Wahl. Dennoch fiel sie laut vorläufigem Endergebnis im Vergleich zum Ergebnis vor fünf Jahren von 46 auf 26,24 Prozent und auf zwei Mandate (bisher 4) zurück. Als Parteienbündnis “Neue Einigkeit” (JV) hatte sie bei den Parlamentswahlen im Vorjahr nur 6,69 Prozent erreicht, wodurch das jetzige Ergebnis eine große Steigerung darstellt.

In Litauen können in der EU-Wahlnacht die Anhänger der oppositionellen Vaterlandsunion jubeln: Ihre konservative Partei kann nunmehr mit 18,81 Prozent der Stimmen drei der elf litauischen EU-Mandate absahnen, wie die Wahlbehörde in der Nacht auf Sonntag mitteilte. Erfolgreich war auch der regierende Bund der Bauern und Grünen. Im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren konnte sie sich mit 13,11 Prozent verdoppeln und erhält nun zwei Mandate.

Hohe Wahlbeteiligung

Mit 51 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung nach Schätzungen des Europaparlaments den höchsten Wert seit 20 Jahren. Es handelte sich um den ersten Anstieg seit den ersten Direktwahlen im Jahr 1979. 2014 war die Wahlbeteiligung noch bei 42,6 Prozent gelegen.

(APA/dpa/ag.)

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