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Filmfestspiele: Lebensräume und ihre sozialen Auswirkungen

Wie sehr Lebensräume und -verhältnisse Menschen beeinflussen können, ergründen einige der Wettbewerbsfilme der 65. Filmfestspiele von Venedig (27. August bis 6. September).

In “Vegas: Based On A True Story” zeigt der gebürtige Iraner Amer Naderi die Lichtblicke und Illusionen in der künstlichen Stadt Las Vegas. Der Wettbewerbsfilm aus Amerika handelt von einem Spieler, der fixiert auf eine Illusion langsam sein Leben ruiniert. Im türkischen Beitrag “Süt-Milk” von Semih Kaplanoglu und Melih Selcuk treffen die alte und neue türkische Gesellschaft aufeinander. Besser als die ersten beiden kam der dritte italienische Wettbewerbsfilm an. In “BirdWatchers” von Marco Bechis kämpft der Indiostamm Guarani-Kaiowa um die Erhaltung seines Lebensraums im brasilianischen Dschungel.

Ein Schrei durchbricht in “BirdWatchers” die Stille im Urwald. Nur in halb versklavter Form ist es den Guarani-Kaiowa erlaubt zu arbeiten, doch werden sie von den Brasilianern mehr geduldet als akzeptiert – zum Beispiel als Attraktion für jene Touristen, die zum Vogelbeobachten anreisen. Nach einigen Selbstmorden schreitet der Stamm zur Tat und will die Ungerechtigkeiten nicht mehr dulden. Moderne und traditionelle Welten prallen aufeinander, die Indios wollen nicht in Reservate gedrängt werden, die Weißen wollen keine Schwierigkeiten und ihre Vorteile nicht aufgeben. Marco Bechis hat geschafft, dass wieder ein italienscher Film im Wettbewerb lauten Applaus bei einer Pressevorführung bekam. Der Regisseur hat in Brasilien lebende Indios in seinen Film einbezogen. “Schauspielen ist Teil ihres Handelns, ihrer Rituale, der Religion”, so Bechis.

Während die wenigen Dialoge hier positiv auffallen, ist “Süt-Milk” etwas zu still geraten. Im türkischen Wettbewerbsfilm muss ein junger Mann erwachsen werden – dabei prallt sein Wunsch, Schriftsteller zu werden, auf die konservative Welt seiner Mutter, die Kühe und Schafe hütet. Der Weg zum Ausbruch fällt dem Sohn nicht leicht, denn die Erziehung hat ihn – wie überall – stark geprägt.

Eine Prägung, die nicht nur durch die Eltern, sondern durch einen besonderen Lebensraum entstand, zeigt “Vegas: Based On A True Story”. Abseits des Glitzers wohnt eine junge Familie in einem Haus an der Peripherie von Las Vegas, am Rande der Wüste und jenseits des Reichtums. Die Ankunft eines Fremden, der ihnen das große Geld verspricht, erscheint da als traumhafte Lösung. Doch sie fallen auf ein sogenanntes “Real Gambling” herein.

“Die Menschen schließen im Internet wetten ab, zum Beispiel ob jemand es schafft, einen anderen so zu täuschen, dass der eben seinen Garten umgräbt, da er überzeugt ist, dort das große Geld zu finden”, erzählt Regisseur Amir Naderi bei einer Pressekonferenz. Besonders beeindruckend ist das Schauspiel des jungen Sohns, der den Vater vor seinem Wahn und der Selbstzerstörung retten will. Der Film handelt von den neonfarbenen Illusionen im Hintergrund einer völlig künstlichen Stadt. “Vegas: Based On A True Story” hat schon das Interesse des Viennale-Direktors Hans Hurch erweckt, wie er im Gespräch mit der APA am Lido erzählte. Neben diesem möchte Hans Hurch aus dem Wettbewerbsprogramm bisher noch “Jerichow”, “Akires to kame” und “Gake no ue no Ponyo” auf der Viennale (17. bis 29. Oktober) zeigen.

“Gake no ue no Ponyo” von Hayao Miyazaki liegt derzeit bei den Bewertungen von internationalen Kritikern an oberster Stelle, gefolgt von “Akires to kame”. Mehr als die Hälfte des Festivals ist vorbei, aber noch stehen einige Screenings an, darunter “Hurt Locker” von Kathryn Bigelow, “The Wrestler” von Darren Aronofsky und “Rachel Getting Married” von Jonathan Demme könnten dem Lido noch einige Highlights aus Amerika bieten, bei einem Festival, das in diesem Jahr bereits nach ein paar Tagen alles andere als überfüllt wirkt.

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