Fact Checking - Mit Storytelling im Info-Armageddon punkten

"Schlacht um Fakten"
Bevor diese in Fahrt kam, zeichnete Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa per Videobotschaft ein düsteres Bild. Die Welt sehe sich gegenwärtig mit einem "Informations-Armageddon" konfrontiert, mit einer "Schlacht um Fakten". Ohne Fakten verliere man nicht nur Journalismus und Demokratie, sondern zudem die geteilte Realität, warnte sie. Auch Scholl stellte klar, dass Demokratien sehr verwundbar seien. Faktenchecks seien eine Reaktion auf diese Erkenntnis und müssten weiter professionalisiert werden, um für eine Zukunft gerüstet zu sein, in der auch Falschinformationen eine weitere Professionalisierung erleben würden.
In der Debatte um wahr oder falsch mischt im besten Fall die Wissenschaft mit. Die Coronapandemie rückte wissenschaftliches Arbeiten in den Fokus. Wie Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu ihren Erkenntnissen gelangen, war damals einem großen Teil der Bevölkerung nicht bekannt. "Die Pandemie war eine Chance zu erklären, wie Wissenschaft abläuft. Aber die ist schlecht genutzt worden", hielt Jana Meixner, Autorin bei der Plattform "Medizin transparent", welche Gesundheitsmythen und Behauptungen überprüft, fest. Man habe geglaubt, dass es reicht, die Fakten einfach hinzulegen. Dass dem nicht so ist, zeige die grassierende Verunsicherung und hitzige Grundstimmung.
Storytelling als mächtiges Instrument
"Die Gegenseite nutzt ein mächtiges Werkzeug: Emotionen. Davor haben wir uns in der Wissenschaft, die neutral und sachlich kommuniziert, immer sehr gefürchtet", so Meixner auf der von der APA - Austria Presse Agentur im Tech Gate veranstalteten Konferenz. Man müsse das aber überwinden und auf Storytelling setzen. "Eine falsche Geschichte kann man nicht mehr mit Fakten widerlegen, sondern nur mit einer besseren Geschichte", sagte sie. Dabei dürfe man nicht auf negative Emotionen setzen, sondern auf positive wie etwa Begeisterung und Faszination, welche Wissenschafterinnen und Wissenschafter für ihr Fach ohnehin mitbrächten.
Lea Pichler von der Plattform "Fäkt", die Science-Videos für junge Zielgruppen produziert, weiß, worauf man bei der Ansprache von Jugendlichen auf Social Media achten muss: "Innerhalb von drei Sekunden muss ein Video Jugendliche catchen." Dann hätte man sie in etwa weitere zehn Sekunden an Bord. Dass das nicht mit trockenen wissenschaftlichen Fakten gelingt, ist klar. "Man bedient sich den Strukturen und Tricks, die man von Social Media kennt", erklärte sie.
"Real, digital, scheißegal"
Prinzipiell wäre es schön, wenn die großen Tech-Konzerne ethische Richtlinien festlegen würden. "Aber es passiert nicht, sie wollen Polarisierung befeuern", sagte Pichler. Das sieht auch Kabarettist und Autor Thomas Maurer so, der selbst einst zum Vatertag mit einem Deep-Fake-Video, das ihn bei einer flammenden Werbeansprache für eine Krypto-Währung zeigt, überrascht wurde ("Eine schöne Flasche Cognac wäre auch ok gewesen"). "Real, digital, scheißegal" - an diesem Punkt sei man mittlerweile angelangt. Eine strenge Regulierung der Plattformen wäre dringend nötig. "Das ist aber schwierig, wenn in Amerika der Wahnsinn gezielt geschürt wird", sagte Maurer.
Europäische Alternative zu TikTok und Co. gesucht
Filmregisseur Friedrich Moser ("How to Build a Truth Engine") plädiert daher auf eine europäische Alternative zu TikTok, Instagram und Co. "Ich glaube nicht, dass man sich gegen einen Algorithmus, der gegen einen programmiert ist, durchsetzen kann. Wir brauchen unsere eigenen Plattformen", meinte er. Die Regulierung US-amerikanischer Konzerne müsse mit Blick auf Plattformen zwangsläufig scheitern, da man in Europa derzeit davon abhängig sei. "Es braucht Wettbewerb", sagte Moser, der die Wirtschaft als Verbündeten im Kampf gegen Desinformation sieht. "Deep Fakes waren ein riesiger Wake-Up-Call für Unternehmen, die gesehen haben, wie schnell Marken in puncto Reputation zerstört werden können."
Fassungslos zeigte sich Stephan Mündges, Koordinator des European Fact Checking Standards Network (EFCSN), angesichts der Tatsache, dass Facebook und Instagram professionelle Faktenchecks durch "Community Notes" ersetzen. Dabei sollen Nutzer die Aufgabe der Faktenchecker übernehmen und falsche Aussagen als solche kennzeichnen. "Das funktioniert einfach nicht", sagte er mit Blick auf erste Auswirkungen der Umstellung. "Tech-Firmen müssen sich mehr damit befassen, wie ihre Anwendungen missbraucht werden", sagte er. Halluzinierenden KI-Chatbots könnte etwa mit faktengeprüften Daten von seriösen Medienhäusern begegnet werden. Diese wären extrem wertvoll für das Training der Modelle, so Mündges, der sich hoffnungsvoll zeigte, dass manche der Big-Tech-Unternehmen der Idee etwas abgewinnen könnten.
Ermittlungen und Klagen gegen Faktenchecks
Dass es Faktencheckerinnen und Faktenchecker mitunter sehr schwer haben, unterstrich die georgische Journalistin Mariam Tsitsikashvili. Fakten seien in einem zusehends autoritären Umfeld wichtiger denn je. Man befinde sich aber konstant im "Überlebensmodus". Denn Faktenchecks - gerade zu politischen Themen - würden häufig Ermittlungen oder Klagen nach sich ziehen. "Manchmal kann ich nicht glauben, dass das in unserer Gesellschaft passiert", zeigte sie sich ernüchtert. Aber auch wenn die Gegenseite nicht müde werde, falsche Geschichten zu verbreiten, dürfe man deswegen nicht aufgeben.
Auf kleine, tägliche Änderungen achtgeben
In den USA sei die Lage noch nicht so brenzlig wie in Georgien, meinte "New York Times"-Journalist Christoph Köttl. Die Pressefreiheit werde auch nicht von heute auf morgen abgeschafft. "Wir müssen aber auf die kleinen, täglichen Änderungen aufpassen", mahnte er. Diese seien alarmierend. Wie Politiker über Presse und Journalisten sprechen, Gerichte einschalten oder damit drohen, sei mitunter entmutigend. Er fühle sich unwohler als noch vor fünf Jahren, wenn er eine Geschichte publiziere. Um Vertrauen in die journalistische Arbeit zurückzugewinnen, müsse man nicht nur Resultate präsentieren, sondern auch aufzeigen, wie man dorthin gelangt sei.
(APA)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.