AA

F: Zehnte Nacht in Folge der Krawalle

Trotz massiver Polizeipräsenz haben die sozialen Unruhen in Frankreich einen neuen Höhepunkt erreicht und erstmals auch das Zentrum von Paris erfasst. 1300 Autos brannten im ganzen Land.  | 

Trotz massiver Polizeipräsenz haben die sozialen Unruhen in Frankreich einen neuen Höhepunkt erreicht und erstmals auch das Zentrum von Paris erfasst. In der Nähe der Place de la République und anderen Stadtteilen gingen in der Nacht auf Sonntag 28 Autos in Flammen auf. Im ganzen Land brannten rund 1.300 Autos, so viel wie noch in keiner Nacht seit Beginn der Krawalle vor zehn Tagen. 349 Randalierer und Brandstifter wurden nach Polizeiangaben festgenommen. Wie ein Flächenbrand griff die Gewalt am Wochenende von der Ile-de-France rund um Paris auf die Provinz über. Brandanschläge wurden am Sonntag aus Avignon, Nizza, Toulouse, Marseille und Cannes im Süden gemeldet, aus Rennes und Nantes im Westen sowie aus den nördlichen Regionen um Lille, Roubaix und Saint-Dizier. Im Osten des Landes waren Straßburg, Mulhouse, Nancy, Metz und Thionville betroffen. In Evry bei Paris entdeckten Polizisten eine Werkstatt zur Herstellung von Molotow-Cocktails mit 150 Flaschen. Ein Schwerpunkt war die Stadt Evreux, rund 100 Kilometer westlich von Paris in der ländlichen Normandie gelegen. Dort wurden etwa 60 Autos sowie zahlreiche Geschäfte, ein Einkaufszentrum, eine Postfiliale und zwei Schulen angegriffen. Fünf Polizisten und drei Feuerwehrleute wurden leicht verletzt.

„Wir hatten große Angst und trauten uns nicht aus dem Haus“, sagte die 55-jährige Annie Partouche, die im dritten Bezirk von Paris eine laute Explosion hörte und am Fenster sah, wie Flammen in den Nachthimmel schossen. Die Fassade des angrenzenden Wohnhauses wurde mit Ruß geschwärzt. In den Vorstädten nordöstlich der Hauptstadt setzte die Polizei Hubschrauber mit Beamten ein, die die Gruppen gewaltsamer Jugendlicher aus der Luft filmten. Etwa 2.300 Polizisten waren im Großraum Paris im Einsatz.

In Drancy im Département Seine-Saint-Denis bei Paris nahmen Einwohner nach Informationen des Radiosenders France-Info zwei 14-Jährige fest, die einen Brand legen wollten. Innenminister Nicolas Sarkozy, der die gewaltsamen Jugendlichen als „Abschaum“ bezeichnet hatte, suchte in der Nacht zum Sonntag überraschend Einsatzkräfte in der Region Essonne auf. Dort ging zum dritten Mal ein Kindergarten in Flammen auf. Bei einem Brand in einem dreistöckigen sozialen Wohnungsbau erlitten zwei Menschen Rauchverletzungen, rund hundert weitere mussten in Sicherheit gebracht werden. In der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois brannte eine Turnhalle völlig aus. In Mureaux (Departement Yvelines) griffen am Samstagabend 30 Jugendliche die Ordnungskräfte mit Wurfgeschossen an.

Sarkozy rief dazu auf, die Unruhen „nicht politisch auszubeuten“. Kommunisten und Grüne hatten ihn wegen seiner gehässigen Aussagen zum Rücktritt aufgefordert. Bewohner der Problemstädte verlangten eine Entschuldigung. „Sarkozy hat das Feuer entzündet und bisher nicht gesagt, dass es ihm leid tut“, sagte ein aus Nordafrika stammender Bewohner von Aulnay-sous-Bois nordöstlich von Paris. Die katholische Bischofskonferenz rief dazu auf, auch die Ursachen der Gewalt zu ergründen. Repression sei keine Antwort.

In der Bevölkerung regte sich Protest gegen die Gewalt: Die Bewohner von Aulnay demonstrierten am Samstag für ein Ende der Ausschreitungen. Tausende Menschen trugen ein Banner mit der Aufschrift „Nein zur Gewalt, ja zum Dialog“ an ausgebrannten Autos vorbei durch die verwüsteten Straßen. Die Eltern jener beider Jugendlichen, deren Unfalltod am 27. Oktober auf der Flucht vor der Polizei in Clichy-sous-Bois die Unruhen ausgelöst hatte, riefen zu einem Ende der Gewalt auf.

Die meisten Täter stammen aus moslemischen Einwandererfamilien aus Nord- und Schwarzafrika. Experten sehen in dem Ausbruch der Gewalt einen Ausdruck für die lang aufgestaute Wut dieser Menschen. Die Aggression richte sich gegen ihre Behandlung durch die Polizei sowie gegen Rassismus, Arbeitslosigkeit und ihre Marginalisierung in der französischen Gesellschaft.


  • VOL.AT
  • Welt
  • F: Zehnte Nacht in Folge der Krawalle