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EZB hebt Leitzins auf 0,5% an

Die EZB erhöht den Leitzins auf 0,5 Prozent.
Die EZB erhöht den Leitzins auf 0,5 Prozent. ©APA/DPA/FRANK RUMPENHORST (Symbolbild)
Erstmals seit 2011 erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf 0,5% und reagiert somit mit einem kräftigen Schritt auf die ausufernde Inflation.

Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz um einen halben Punkt auf 0,50 Prozent zu erhöhen. Damit entfällt zur Freude der Sparer der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von 0,0 Prozent auf 0,50 Prozent.

Und die Europäische Zentralbank (EZB) legte heute noch nach: Für die nächsten Sitzungen kündigte die Zentralbank weitere Zinserhöhungen an.

Kurswechsel der EZB bahnte sich seit Juni an

Den heutigen Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkten in Aussicht gestellt. "Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte", teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.

Kritiker werfen EZB zu späte Einleitung der Zinswende vor

Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Kriegs in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hochverschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.

Einlagensatz auf 0,00 Prozent gehoben

Auch der Einlagensatz wurde angehoben - und zwar auf 0,00 Prozent. Banken müssen somit nicht mehr draufzahlen, wenn sie überschüssiges Geld bei der EZB parken.

Wende der EZB gilt als historisch

Die Wende der Europäischen Zentralbank (EZB) nach einer Ära der ultra-lockeren Geldpolitik gilt als historisch.
Die Rekordinflation im Euroraum bewegte die EZB nun zu dem ungewöhnlich kräftigen Straffungsmanöver: Angefacht von immer teurerer Energie im Zuge des Ukraine-Kriegs stiegen die Verbraucherpreise zuletzt um 8,6 Prozent. Die EZB verfehlt damit ihr Inflationsziel sehr deutlich. Denn sie strebt zwei Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft an.

EZB erhöht Leitzins auf 0,5%

Flankierend zur Zinswende haben sich die Währungshüter auf ein neues Krisenprogramm geeinigt, mit dem die EZB hoch verschuldeten Staaten wie Italien bei Turbulenzen am Anleihenmarkt beispringen kann. Das neue Instrument soll dabei helfen, dass die Geldpolitik gleichmäßig im Euroraum wirken kann und es nicht zu einem Auseinanderlaufen der Finanzierungskosten der einzelnen Eurostaaten kommt. Die EZB spricht daher von einem Werkzeug gegen die Fragmentierung der Eurozone.
Experten verweisen jedoch darauf, dass die EZB in rechtlich gefährliches Fahrwasser geraten könnte, sollte beispielsweise Italien inmitten einer akuten Regierungskrise gestützt werden. Dies wäre Wasser auf die Mühlen all jener Kritiker, besonders in Deutschland, die der EZB verkappte Staatsfinanzierung vorwerfen. Gegner früherer EZB-Anleihen-Kaufprogramme waren bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen.

Neues Anti-Krisen-Instrument

Das neue Anti-Krisen-Programm heißt Transmission Protection Instrument (TPI).
"Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen", erklärte die Notenbank. "Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt."

Die Arbeiten an diesem neuen Anti-Krisen-Instrument hatte die EZB nach Unruhen an den Finanzmärkten Mitte Juni forciert. Der Renditeabstand - der Spread - zwischen Staatsanleihen aus Deutschland und denen höher verschuldeter Euroländer, insbesondere Italiens, hatte sich nach der EZB-Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Sommer ausgeweitet. Heißt: Für Länder wie Italien wird es teurer, sich frisches Geld zu besorgen. Das könnte für solche Staaten angesichts schon gewaltiger Schuldenberge zum Problem werden.

Hohe Inflation zwingt EZB zum Handeln

Doch die hartnäckig hohe Inflation zwingt die EZB zum Handeln. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde "entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden", hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Andere Notenbanken wie die US-Fed und die Bank of England haben ihre Zinssätze bereits mehrfach angehoben.

Verbraucherpreise im Juni um 8,6 Prozent über Vorjahresmonats-Niveau

Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können.

Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft.

Gemischte Reaktionen in Österreich auf Zinsanhebung

Die Leitzinsanhebung durch die Europäische Zentralbank (EZB) trifft in Österreich auf gemischte Reaktionen. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) begrüßt in einer Aussendung den seiner Meinung nach "überfälligen Schritt". Auch das wirtschaftsnahe Institut Agenda Austria gibt sich vorsichtig optimistisch. Ablehnend äußerte sich die FPÖ.

©APA

Brunner erwartet weitere Schritte der EZB

Brunner erwartet, dass die EZB auch in Zukunft weitere Schritte setzt, wenn es die Inflationsdynamik erfordere. Die Notenbank müsse sich auf Preisstabilität als ihr Primärmandat besinnen. "Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Mitgliedsstaaten, mittel- bis langfristig die Budgets in Ordnung zu bringen, damit die Europäische Zentralbank den Handlungsspielraum hat, den es im Kampf gegen die Inflation braucht", so der Finanzminister.

Fuchs bezweifelt Bremsung der Inflation

FPÖ-Budget- und Finanzsprecher Hubert Fuchs bezweifelt hingegen, dass die Zinsanhebung die Inflation bremsen wird. Die Preissteigerung führt Fuchs auf die EU-Sanktionspolitik gegen Russland sowie auf die Schuldenaufnahme im Rahmen der Corona-Hilfsfonds und Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. "Bleiben wird unterm Strich als spürbare Auswirkung, dass Kredite teurer werden, worunter all jene zusätzlich leiden werden, die für die Schaffung von Wohnraum oder andere größere Investitionen einen Kredit aufgenommen haben", so Fuchs.

Lehner: Zu spät aber richtig

Zu spät aber richtig ist der Zinsschritt aus Sicht der Agenda Austria-Ökonomin Heike Lehner. Sie vermutet hinter der deutlich Zinsanhebung aber einen Kompromiss: Im Gegenzug seien wohl Anleihenkäufe im Rahmen des Transmission Protection Instrument (TPI) an schwächere Bedingungen geknüpft, so Lehner. Mit dem TPI legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern.

Die Zinsen steigen um jeweils 0,50 Prozentpunkte, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Damit entfällt der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von 0,0 Prozent auf 0,50 Prozent.

Reaktion der WIFO auf den Leitzins

Die von der Europäischen Zentralbank am Donnerstag beschlossene Erhöhung des Leitzinses um 0,5 Prozentpunkte war aus Sicht des Wifo-Experten Atanas Pekanov die richtige Entscheidung. "Der Zinsschritt ist aggressiver als erwartet." Im Juni hatte die EZB noch eine Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte angekündigt." Mit ihrem Vorgehen zeige die Notenbank aber ihre Entschlossenheit, die Inflation zu bekämpfen und stärke so auch ihre Glaubwürdigkeit, sagte der Experte gegenüber der APA.

Höherer Leitzins führt zu weniger Investitionen

Der höhere Leitzins werde dazu führen, dass weniger investiert wird und sich die Wirtschaftsaktivität verlangsamt. Das wiederum dämpfe den Druck auf die Preise. "Geldpolitik funktioniert aber langsam", so Pekanov. Es brauche Zeit, den Zyklus vom Zinsschritt, zur Dämpfung der Kreditnachfrage, zum Rückgang der Investitionen, zu einer geringeren Wirtschaftsaktivität und schließlich zu niedrigeren Preisen zu durchlaufen. Bis sich der Effekt einstelle, werde zumindest ein halbes Jahr vergehen.
Auch auf den Arbeitsmarkt werde sich der höhere Leitzins auswirken indem die Beschäftigung zurückgehen werde. Das sei aber gewünscht, weil es ebenfalls den Preisdruck reduziere.
Die Erhöhung des Leitzinses wirke aber auch noch über einen anderen Kanal, nämlich die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Der Euro habe seit Bekanntwerden des EZB-Beschlusses bereits 1 Prozent gewonnen. "Ein stärkerer Euro bedeutet günstigere Importe", sagte Pekanov. Firmen, die Güter aus dem Ausland kaufen würden, profitierten somit ab sofort von niedrigeren Preisen.

Hohe Inflation durch die Energiepreise

Auch die hohe Inflation werde zu einem großen Teil von den Energiepreisen getrieben, die außerhalb der EU entstehen. Experten sprechen deshalb von einer "importierten Inflation". Die Aufwertung des Euro habe somit auch hier einen direkten Effekt auf die Preise.
Bei den Spar- und Kreditzinsen werde der erste Zinsschritt noch keine großen Auswirkungen auf die Endverbraucherinnen und -verbraucher haben: "Die Zinsen waren bisher im negativen Bereich", so Pekanov. Die Banken hätten zwar Zinsen an die EZB gezahlt, diese aber nicht an Endkunden weitergegeben. Wenn die Zinsen in den kommenden Monaten weiter in den positiven Bereich steigen, werde sich das aber auch beim Endkunden niederschlagen. Sparer bekommen dann mehr Zinsen, Kreditnehmer bezahlen mehr Zinsen.

Bankexperten erwarten weitere Erhöhungen

Von der APA befragte Ökonomen rechnen nach der heutigen Anhebung des Leitzinses im Laufe des Jahres mit weiteren Erhöhungen. Sofortige Auswirkungen auf die Inflationsrate werden nicht gesehen, in weiterer Folge wird aber eine dämpfende Wirkung erwartet.

Die EZB habe sich heute von der Negativ-Zinspolitik der vergangenen Jahre mit einem Schlag verabschiedet, so Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek im APA-Gespräch. Die Anhebung um 50 Basispunkte, demonstriere Entschlossenheit im Kampf gegen die Inflation. Die EZB müsse auch schauen, dass Zweitrundeneffekte möglichst niedrig gehalten werden. Die heutige Entscheidung sei der Beginn einer Zinsbewegung, die dazu führen müsste, dass es in den nächsten Monaten gewisse Bremseffekte bei der Inflation gebe.

Weitere Zinserhöhungen erwartet

Die Experten rechnen nun mit weiteren Zinserhöhungen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Anhebung um 50 Basispunkte im September sei sehr hoch, angesichts der Aussagen, dass die EZB datengetrieben agiere und von Monat zu Monat evaluiere, so Brezinschek angesichts der relativ hohen Inflationszahlen. Auch Mostböck rechnet mit weiteren Zinserhöhungen, auf jeden Fall scheine die EZB heute die Zinswende eingeleitet zu haben. Bruckbauer erwartet, dass es bis Jahresende noch zu Erhöhungen um weitere 75 Basispunkte kommen wird und die EZB im ersten Quartal kommenden Jahres noch einmal um 50 Basispunkt erhöht.

(APA/Red)

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