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Europaparlament pro Türkei-Verhandlungen

Das Europaparlament hat sich erwartungsgemäß mit großer Mehrheit für den Start der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am kommenden Montag ausgesprochen. Pro und Contra | Chronik

Ankara habe dafür formal alle Voraussetzungen erfüllt, heißt es in einer von den Straßburger Abgeordneten mehrheitlich beschlossenen Resolution. Die von Österreich geforderten „Alternativen“ zu einem Vollbeitritt der Türkei wurden von den Abgeordneten verworfen. In der Entschließung verlangen die Abgeordneten, die Verhandlungen auf Eis zu legen, wenn Ankara das EU-Mitglied Zypern nicht formell anerkennt und gegen Menschen- und Minderheitenrechte verstößt.

Ferner stellen die Abgeordneten für einen Beitritt der Türkei zur EU die zusätzliche Bedingung, dass die Regierung in Ankara den Völkermord an den Armeniern anerkennen müsse. Die Zustimmung des EP ist für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen rechtlich nicht erforderlich, politisch aber von großer Bedeutung.

Im Streit um die Auslegung des Zollabkommens stellten die Abgeordneten der Türkei die Rute ins Fenster. Zum zweiten Mal verschob das EU-Parlament die Zustimmung zur Ratifikation des so genannten Ankara-Protokolls, das das Zollabkommen auf die zehn neuen Mitglieder – darunter auch Zypern – ausweitet. Die Verschiebung war von der konservativen EVP-Fraktion beantragt worden, da die Türkei bisher keine Versicherung gegeben hatte, dass die Erklärung über die Nicht-Anerkennung Zyperns rechtlich unverbindlich ist.


EU-Kommission zu EP-Abstimmungsverschiebung:

Die EU-Kommission betonte am Montag, dass die erneute Verschiebung der Abstimmung des EU-Parlaments über das Ankara-Protokoll kein Hindernis für eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am kommenden Montag sei. Bedingung für den Beginn von Beitrittsverhandlungen sei zunächst die Unterzeichnung des Protokolls, unterstrich eine Kommissionssprecherin in Brüssel.

Die Stellungnahme des Parlaments zum Zusatzprotokoll zum Zollabkommen, mit dem die Zollunion der EU mit der Türkei auf die 10 neuen Mitgliedstaaten ausgedehnt wird, sei in der Folge „essenziell“ und müsse über die Bühne gehen, bevor der Rat es ratifizieren könne. Erweiterungskommissiar Olli Rehn hatte in seiner Rede vor dem europäischen Parlament in Straßburg die neuerliche Verschiebung als „eine Art Eigentor“ bezeichnet.

EU-Abgeordnete und ÖVP Delegationsleiterin Ursula Stenzel bezeichnete die Verschiebung in einer Presseinformation als „Sieg der Vernunft“ und „wichtiges Signal an die Türkei, dass sich das Europäische Parlament diesem Druckmittel der Türkei nicht beugen will und wird“.


Reaktion des britischen Außenministers


Zuvor hitzige Diskussionen

Zu heftigen Reaktionen hat am Mittwoch eine Aussprache der EU-Abgeordneten in Straßburg über die Türkei fünf Tage vor dem geplanten Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen geführt. Grünen-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit warf den Gegnern eines türkischen EU-Beitritts vor, damit „auf der Welle rassistischer Ressentiments“ gegen den Islam zu „surfen“.

In Europa gebe es heute schon „mehr Muslime als Belgier“, sagte Cohn Bendit. Zwischenrufe aus den Reihen der deutschen CDU- Europaabgeordneten quittierte Cohn Bendit wenig diplomatisch: „Jetzt hältst du mal die Klappe. Du bist nicht der Mittelpunkt der Welt.“

“Demokratischer Skandal”

Der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer nannte den Rassismus-Vorwurf durch Cohn-Bendit einen „demokratiepolitischen Skandal“. 70 Prozent der Europäer und 80 Prozent der Österreicher lehnten einen EU -Beitritt der Türkei ab, betonte Mölzer. Der parteifreie österreichische Abgeordnete Hans-Peter Martin setzte sich sogar mit einem „symbolischen Sarg“ aus Karton im Plenum des Europaparlaments in Szene.

In Hinblick auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Ankara warnte er: „Wenn das umgesetzt wird, wird die EU im Sarg der Geschichte landen. Ziehen Sie die Reißleine! Stoppen Sie die Verhandlungen!“

Der Fraktionsführer der Sozialisten (SPE), Martin Schulz, warf der konservativen Europäischen Volkspartei vor, einen „Eiertanz“ rund um die Türkei aufzuführen. „Sie wollen die Türkei nicht als Vollmitglied in der EU.“ Dies solle der EVP-Fraktionschef Hans-Gert Pöttering auch klar sagen.

Pöttering hatte damit gedroht, die Abstimmung im Europaparlament über die Ratifizierung des Ankara- Abkommens zur Zollunion erneut zu verschieben. Grund dafür sei die Tatsache, dass die türkische Regierung der EU-Kommission bisher keine schriftliche Zusicherung gegeben habe, dass die türkische Zusatzerklärung über die Nicht-Anerkennung Zyperns keine rechtliche Verbindlichkeit für die Ratifizierung des Zollprotokolls durch das türkische Parlament habe.


Zypern – Harte Nuss für EU-Kandidat Türkei

Die Frage der Anerkennung der Republik Zypern ist schon vor Beginn der Beitrittsgespräche zwischen der Türkei und der EU zu einer harten Nuss geworden. Während die Union – und ihr Mitgliedsland Zypern – die Anerkennung Nikosias durch Ankara fordern, beharrt die türkische Seite als Vorbedingung auf einer politischen Lösung für die geteilte Mittelmeerinsel im Rahmen der Vorgaben der UNO.

Die griechischen Zyprioten haben den von der UNO vorgelegten Wiedervereinigungsplan im Vorjahr in einem Referendum zurückgewiesen. Die Türkei, die mit Nordzypern ein Stück EU-Territorium militärisch besetzt hält, verweigert daher nach wie vor zypriotischen Schiffen und Flugzeugen die Einreise, obwohl sie das Protokoll für Erweiterung der Zollunion auf die neuen EU-Mitglieder unterzeichnet hat – keine guten Voraussetzungen für die Beitrittsverhandlungen.

Wegen der seit 1974 bestehenden Teilung Zyperns existieren in diesem Teil Europas noch immer Zustände, die an den Kalten Krieg erinnern. Mitten durch die Hauptstadt – griechisch „Nikosia“, türkisch „Lefkosa“ – verläuft zwischen Wachposten und Stacheldraht eine UNO-kontrollierte Pufferzone. Sie trennt die international anerkannte „Kypriaki Dimokratia“ („Republik Zypern“) von der isolierten „Kuzey Kibris Türk Cumhuriyeti“ (KKTC), der „Türkischen Republik Nordzypern“.

Nach dem von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegten Plan sollte der völkerrechtlich nicht existente Separatstaat in seiner bisherigen Form beseitigt werden. Das von der Türkei okkupierte Gebiet sollte Teil eines aus zwei Einheiten bestehenden Bundesstaates und der EU werden. Während bei den Volksabstimmungen im April des Vorjahres die türkische Volksgruppe dem Plan zustimmte, lehnten ihn die Griechen ab.

Sie kritisierten unter anderem, dass laut den Vorgaben des UNO-Plans der überwiegenden Mehrheit der nach der türkischen Invasion 1974 aus dem Norden vertriebenen 200.000 griechischen Zyprioten und deren Nachkommen die Rückkehr in ihre Heimatorte verwehrt werde. Zugleich könnte ein großer Teil der von der Türkei angesiedelten 110.000 Festlandtürken und der türkischen Truppen auf der Insel bleiben.

Mit Hinweis auf das Referendum stellt Ankara jetzt die griechischen Zyprioten als Blockierer dar. Dabei waren es Nordzypern und die Türkei, die jahrzehntelang eine Wiedervereinigung verhinderten. Unter dem früheren Volksgruppenführer und ehemaligen KKTC-„Präsidenten“ Rauf Denktas widersetzte sich Nordzypern vehement einer Versöhnung mit den Griechen.

Erst als eine pro-europäische Regierung im Norden – unter dem nunmehrigen Präsidenten Mehmet Ali Talat – gewählt wurde, änderte sich die Haltung der Zypern-Türken. Auch für Ankara und dessen EU-Bestrebungen war der unflexible Patriarch Denktas zu einem Klotz am Bein geworden.

Die Notwendigkeit eines türkischen Separatstaates auf Zypern rechtfertigten Denktas und das türkische Militär stets mit der Verfolgung der Türken nach der Unabhängigkeit der Mittelmeerinsel von Großbritannien 1960. Mit der damals erlassenen Verfassung wurde Zypern eine Präsidialrepublik und ein einheitlicher Staat mit Gewaltenteilung zwischen Griechen und Türken (damals 82 bzw. 18 Prozent der Bevölkerung) im Verhältnis von 70 zu 30 Prozent geschaffen.

Radikale griechische Nationalisten, die den Anschluss an Griechenland (Enosis) anstrebten, heckten in dieser Zeit den verhängnisvollen „Akritas-Plan“ aus, benannt nach einem byzantinischen Heldenepos. Der Plan sah die Vertreibung der Türken aus Zypern vor. 1963 und 1964 kam es zu schweren Unruhen und Massakern an türkischen Zyprioten. Daraufhin wurden auf Grund eines Sicherheitsratsbeschusses UNO-Truppen auf Zypern stationiert.

Als am 15. Juli 1974 die in Athen herrschende Obristenjunta einen – letztlich fehlgeschlagenen – Putsch gegen den zypriotischen Präsidenten Erzbischof Makarios anzettelte, kam es wieder zu blutigen Ausschreitungen gegen die türkisch-zypriotische Volksgruppe. Ankara reagierte mit einer Militärintervention, die zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte. Türkische Truppen besetzten fast 40 Prozent des Territoriums, nahezu 200.000 griechische Zyprioten wurden aus dem okkupierten Norden vertrieben. Über 1.800 Menschen verschwanden spurlos.

In den darauf folgenden Jahrzehnten endeten mehrere Anläufe zu Verhandlungen zwischen den Volksgruppen ergebnislos. Zudem forderte die Türkei erfolglos die Anerkennung der 1983 ausgerufenen Republik Nordzypern. Erst nach dem Wahlsieg der moderat-islamistischen AK-Partei in der Türkei 2002 kam Bewegung in die Zypern-Frage. Hoffnungsvoll begonnene Verhandlungen in der Schweiz auf Grundlage des UNO-Wiedervereinigungsplans unter Einbeziehung der Türkei und Griechenlands scheiterten aber letztlich im März 2004. Die griechischen Zyprioten fühlten sich über den Tisch gezogen und meinten, ihre Forderungen seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Derzeit ist ein neuer Anlauf für die Lösung des Zypern-Problems nicht in Sicht. Die griechischen Zyprioten lehnen den Annan-Plan weiter ab, aber auch die Regierung in Ankara kann kaum Konzessionen machen. Sie steht unter dem Druck der Nationalisten im eigenen Land und der in Nordzypern angesiedelten Anatolier. Wie unter diesen Voraussetzungen eine von der EU gegenüber Ankara geforderte Anerkennung Nikosias noch während der Beitrittsverhandlungen und einer Öffnung der Häfen für zypriotische Schiffe zu Stande kommen soll, steht in den Sternen.

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