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EU-Stabilitätspakt im Ruhestand

Schritt für Schritt verabschiedet sich der Euro-Stabilitätspakt in den Ruhestand - dabei ist er erst fünf Jahre alt. Damit scheinen sich Berlin und Paris durchgesetzt zu haben.

Mit ihrem Vorschlag, die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich bis auf weiteres ruhen zu lassen, hat die EU-Kommission am Dienstag endgültig die Seiten gewechselt. Währungskommissar Joaquón Almunia kehrte der harten Haltung seines Vorgängers Pedro Solbes den Rücken und schlägt sich auf die Seite derer, die eine flexiblere Auslegung des Paktes wünschen.

Ob das gut ist oder schlecht, muss sich erst erweisen. Klar ist jedenfalls, dass die Jahre lange Konfrontation zwischen Berlin und Paris auf der einen und der EU-Kommission auf der anderen Seite beendet ist. Ihren Höhepunkt fand der Streit, als die EU-Finanzminister im November 2003 gegen den Willen Brüssels die Verfahren gegen Deutschland und Frankreich auf Eis legten. Solbes wollte die Verfahren damals weiterdrehen, wodurch Strafzahlungen in Milliardenhöhe näher gerückt wären.

Die von der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof eingebrachte Klage gegen den Beschluss der Finanzminister wiesen die Luxemburger Richter teilweise zurück. Sie beanstandeten in ihrer Entscheidung vom Juli lediglich, dass beide EU-Institutionen nicht im Konsens handelten. Deshalb musste Almunia nun einen neuen Vorschlag vorlegen, der als Signal der Versöhnung gewertet werden muss. Denn obwohl die EU-Kommission in ihrer Herbstprognose für Deutschland eine Neuverschuldung von 3,4 Prozent vorhersagte, sieht Almunia von einer Verschärfung des Verfahrens ab.

Dies mag zum einen daran liegen, dass Brüssel den Angaben aus Berlin vertraut. Denn im Gegensatz zur EU-Kommission erwartet der deutsche Finanzminister Hans Eichel für 2005 eine Neuverschuldung von nur noch 2,9 Prozent, wodurch Deutschland den Stabilitätspakt erstmals seit drei Jahren wieder einhalten würde. Zum anderen greift Almunia aber dem vor, was viele EU-Staaten ohnehin beabsichtigen: die Reform des Paktes. Nach Eichels Vorstellungen sollen Defizitverfahren sich künftig nicht mehr unter Berufung auf die Paragrafen verselbstständigen.

Vielmehr soll ein Land bei der Feststellung des Defizits nach der jeweiligen wirtschaftlichen Situation bewertet werden. Eichel will dabei berücksichtigt wissen, ob ein Land – wie Deutschland – zu den EU-Nettozahlern gehört. Zudem müssten der Gesamtschuldenstand bedacht werden sowie die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Auch der Stand der Strukturreformen müsse bei der Bewertung einfließen. Schließlich dürfe im Fall Deutschlands auch die anhaltend hohe finanzielle Belastung der Wiedervereinigung nicht außer Acht gelassen werden.

Nach Berücksichtigung all dieser Faktoren sollen nach dem Willen der Berliner Regierung EU-Kommission und Ministerrat künftig entscheiden, wie mit einem Defizitsünder vorzugehen ist. Nicht „Juristerei und Rechenschieber“ dürften dabei maßgeblich sein, sondern die ökonomische Vernunft, argumentiert Eichel. Almunia ist diesen Vorstellungen nicht abgeneigt. Entschieden werden soll über die Reform des Paktes unter Luxemburger EU-Präsidentschaft im nächsten Frühjahr.

Mögen Eichels Vorstellungen auch noch so stichhaltig sein, die Signale könnten verheerend sein. Das deutet sich mit der Entscheidung Brüssels vom Dienstag bereits an. Am Mittwoch nächster Woche will die EU-Kommission entscheiden, wie es mit dem Verfahren gegen den größten Defizitsünder Griechenland weitergehen soll. Angesichts der Enthüllungen, wonach Athen den Sprung in die Eurozone nur mit falschen Zahlen schaffte und von Anfang an gegen den Pakt verstoßen hat, müsste die Kommission in diesem Fall hart sein.

Dies bedeutete, dass Almunia das Verfahren auf die nächste Stufe bringen müsste, womit Strafzahlungen näherrücken würden. Die Regierung in Athen polterte aber bereits, wenn dies im Fall Deutschlands nicht geschehe, sei nicht einzusehen, dass an Griechenland jetzt ein Exempel statuiert werde. Das sind keine guten Vorgaben für die weiteren Verhandlungen der EU-Finanzminister, die die Vorschläge der EU-Kommission verabschieden müssen. Dabei schwelt zudem noch der Fall Italien.

Almunia befindet sich in einer Zwickmühle: Ist er auch im Fall Griechenlands milde, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, den größten Skandal um den Stabilitätspakt nicht zu ahnden. Treibt er das Verfahren gegen das Land voran, riskiert er ein ähnliches Gezerre im Kreis der Finanzminister wie vor gut einem Jahr. In beiden Fällen wird der Verlierer der Stabilitätspakt sein.

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