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EU-Rechnungshof: Medikamentenengpässe erreichen Rekordhöhe

In der EU fehlen wichtige Medikamente
In der EU fehlen wichtige Medikamente ©APA/THEMENBILD
Ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht des EU-Rechnungshofes warnt vor kritischen Engpässen bei Medikamenten in Europa: Die Zahl der von EU-Ländern gemeldeten Arzneimittelengpässe habe 2023 und 2024 Rekordhöhe erreicht, warnen die Prüfenden. Ein wirksames System auf EU-Ebene, den Medikamentennotstand zu bekämpfen, sei aber nicht vorhanden. Österreich liegt bei den gemeldeten Engpässen mit Platz elf im EU-Mittelfeld.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) habe in den vergangenen Jahren eine immer wichtigere Rolle gespielt, insbesondere während der Corona-Pandemie, so der Bericht. Die Überwachung der Arzneimittelversorgung in der EU fällt in erster Linie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, wobei die EMA die Koordinierung übernimmt. Allerdings sei diese immer noch nicht rechtlich befugt, die EU-Länder auch jenseits von Gesundheitskrisen zu unterstützen. Zudem werde sie von der Pharmaindustrie häufig erst spät und nur unvollständig über Engpässe informiert, um diese verhindern zu können.

"Bedeutung für Autonomie Europas"

"Arzneimittelengpässe können schwerwiegende Folgen für die Patienten haben, die öffentliche Gesundheit gefährden und sind für Ärzte, Apotheken und Länder mit hohen Kosten verbunden", so Klaus-Heiner Lehne, der als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs für die Prüfung zuständig war. "Die EU braucht eine wirksame Lösung zur Behebung kritischer Engpässe. Dazu muss sie das Problem an der Wurzel packen. Dies ist auch für die strategische Autonomie Europas von großer Bedeutung."

Zu Engpässen kann es bei allen Medikamenten kommen, bei innovativen patentierten Arzneimitteln ebenso wie bei patentfreien Generika oder Impfstoffen. Als kritisch gilt ein Engpass, wenn es in einem Land keine geeigneten Alternativen gibt und die EU um Hilfe gebeten werden muss. Die EU-Kommission nennt unterschiedliche Ursachen für die Engpässe, z.B. Schwachstellen in den Lieferketten. So sei die Produktion - insbesondere von Antibiotika und Schmerzmitteln - größtenteils nach Asien ausgelagert worden.

Österreich meldete acht Engpässe

Die meisten Engpässe wurden zwischen 2022 und 2024 laut EMA-Daten in Belgien, Spanien und Frankreich gemeldet. Österreich liegt im Mittelfeld auf Platz elf. In Österreich muss ein Mangel an einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel unverzüglich gemeldet werden, wenn dieses länger als zwei Wochen nicht verfügbar ist. Zwischen 2022 und Oktober 2024 meldeten die zuständigen nationalen Behörden insgesamt 136 kritische Engpässe an die EMA; Österreich meldete acht.

Die EU-Kommission hat heuer ein Gesetz über kritische Arzneimittel und 2023 ein neues Arzneimittelrecht vorgeschlagen, um die Versorgung mit Medikamenten zu verbessern. Beide werden derzeit noch vom EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer verhandelt. Die Prüfer warnen, dass die vorgeschlagenen Neuregelungen zwar das System verbessern könnten, aber nicht alle Probleme lösen würden. So müsse auch dafür gesorgt werden, dass Engpässe rechtzeitig gemeldet würden und die Pharmaindustrie im Falle eines kritischen Mangels gegensteuere.

Die nationale Beschaffung von Arzneimitteln orientiere sich in erster Linie an den Preisen und nicht an einer stabilen Versorgung, so der Bericht. Da die lokale Herstellung weniger wettbewerbsfähig war, begünstigte das die Auslagerung der Produktion in Niedriglohnländer (z. B. Asien) sowie weltweite Konzentrationstendenzen bei den Herstellern, was zu Abhängigkeiten und Mängeln führte. Die Tatsache, dass die gesetzliche Verpflichtung der Industrie für eine kontinuierliche Versorgung nicht funktioniere, habe zu fragmentierten nationalen Bevorratungsmaßnahmen geführt.

EU-Länder bestimmen ihre Gesundheitsversorgung

Die EU-Länder haben freie Hand bei der Gestaltung der Gesundheitsversorgung. Um Medikamentenengpässen vorzubeugen haben laut ERH-Bericht viele EU-Länder begonnen, Arzneimittel zu horten. Dies führe aber dazu, dass diese Medikamente anderswo fehlen, da sich die Länder nicht untereinander abstimmen würden ("Spillover"). Dass es nun erstmals eine EU-weite Liste kritischer Arzneimittel geben soll, sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch garantiere eine solche Liste noch keine bessere Verfügbarkeit.

Die EU-Länder müssen Brüssel über das Informationssystem über nationale technische Vorschriften (TRIS) über Maßnahmen informieren, die sich auf den Binnenmarkt auswirken könnten, unter anderem auch über Bevorratungsanforderungen bei Medikamenten. Einige Mitgliedstaaten wie Österreich haben dies getan und die Kommission habe daraufhin die nationalen Bevorratungsanforderungen reduzieren und die Spillover-Risiken begrenzen können, so der Bericht.

Der vorgeschlagene Rechtsakt zu kritischen Arzneimitteln soll die Mitgliedstaaten verpflichten, einige allgemeine Grundsätze bei der Vorratslagerung von Arzneimitteln einzuhalten. Bevorratete Arzneimittel könnten zudem aufgrund der länderspezifischen Packungen und Kennzeichnungsvorschriften nicht ohne Weiteres innerhalb der EU umverteilt werden. Ein gut funktionierender Binnenmarkt für Arzneimittel sei eine Voraussetzung für deren Verfügbarkeit, betont der Bericht. Dies erfordere EU-weite Regelungen wie etwa einheitliche Verpackungen.

Wieder mehr in der EU produzieren

Einige Mitgliedstaaten nutzen laut Bericht zudem nationale und EU-Mittel, um vermehrt wieder in der EU zu produzieren. Österreich hat nationale Mittel von rund 40 bis 45 Millionen Euro aufgewendet, um die bestehende lokale Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe zu unterstützen und auszuweiten. Diese Rückverlagerungen der Mitgliedstaaten waren jedoch unkoordiniert und könnten zu Doppelgleisigkeiten und erheblichen Kosten für die Steuerzahler führen, warnen die Prüfenden. Die Kommission müsse daher bewerten, inwieweit die Koordinierung nationaler Bevorratungsanforderungen notwendig und machbar sei.

(APA)

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