Entgegen den üblichen Regeln des Protokolls holte Prodi seinen Gast am Dienstag persönlich mit einer langen Wagenkolonne vom Brüsseler Flughafen ab. Mehr als 200 Anhänger des aus seiner internationalen Isolation strebenden afrikanischen Staatschefs begrüßten Gaddafi mit Jubelgesängen, Trommeln und Transparenten mit seinem Foto im Brüsseler Europa-Viertel.
Gaddafi will sich im Besonderen für eine Aufnahme seines Landes in das Mittelmeer-Kooperationsprogramm der EU einsetzen. Ungeachtet des betont herzlichen Empfangs für Gaddafi hat die Kommission die Aufnahme Libyens in den so genannten Barcelona-Prozess der Euromediterranen Partnerschaft von einer Lösung unter anderem der Entschädigungsverhandlungen wegen des Anschlags auf die Berliner Diskothek La Belle abhängig gemacht.
Die Polizei hielt vor dem Kommissionsgebäude Anhänger und Gegner Gaddafis auseinander. Während 200 Menschen Gaddafi mit Freudengesängen begrüßten, riefen 50 Exil-Libyer: Gaddafi, Terrorist. Gaddafi ist ein Wolf im Schafspelz, hieß es auf einem Transparent. Ein übereifriger Anhänger Gaddafis gelangte als Sicherheitsbeamter verkleidet in die unmittelbare Nähe des Staatschefs. Während dieser im Kommissionsgebäude Prodi vor Fernsehkameras zum Händedruck traf, trat der Mann plötzlich vor und hielt Gaddafi einen Brief hin. Belgische Sicherheitskräfte zogen ihn weg.
Prodi bemüht sich seit längerem um eine Annäherung Libyens an die EU. Der Besuch in Brüssel wurde erst durch die Bereitschaft Libyens möglich, Entschädigung für Bombenanschläge etwa für die Lockerbie-Opfer zu zahlen und sich überdies von Massenvernichtungswaffen loszusagen.
In EU-Kreisen hieß es, möglicherweise werde Gaddafi offiziell die Aufnahme in das EU-Mittelmeerprogramm beantragen. Das Partnerschaftsprogramm regelt Handels- und Kulturbeziehungen der EU mit elf Mittelmeerländern einschließlich Israels. Prodi und Gaddafi kamen in der Kommission unter einem historischen Engelsbild zu einem ersten Gespräch zusammen.
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